„Böses Erwachen, wenn wir nicht lieben lernen“

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Haben dauerhafte Paar-Beziehungen eine Chance? Ein Paartherapeut, eine Familiensoziologin und eine Mediatorin diskutieren über Wege zum Gelingen. Das Gespräch moderierte R. Bogensberger

Lieben muss man/frau auch lernen, sind sich der Paartherapeut Herbert Antonu, die Familiensoziologin Ulrike Zartler und die Mediatorin Barbara Petsch in der FURCHE-Diskussion einig. Aber was müsste in den Lehrbüchern stehen?

Die Furche: Ein aktuelles Buch postuliert die These vom Ende der Liebe, da die Menschen, mit der Freiheit überfordert, immerzu nach dem Besseren suchen (siehe Seite 21). Teilen Sie diese These?

Herbert Antonu: Es gibt den schönen Satz: Wer Verliebtheit sucht, wird nicht bei der Liebe ankommen. Es ist schon so, dass wir in einer Konsumgesellschaft leben, wo alles konsumiert wird, auch Beziehungen. Ich erlebe es in meiner täglichen Praxis, dass Beziehungslosigkeit herrscht. Es gibt weiters den Spruch von Meister Eckhart: Ist nicht drinnen, ist nicht draußen, ist nicht draußen, ist nicht drinnen. Das heißt, ich muss Beziehungsfähigkeit in mir haben und leben, daraus wird Beziehungsfähigkeit nach außen.

Die Furche: Teilen Sie also die These des Buches?

Antonu: Ja. Ich glaube, dass sich Beziehungsmodelle verändern und sich ergänzen. Es gibt heute etwa Übergangsbeziehungen: Beide Partner entscheiden sich bewusst, mit diesem Menschen nur eine gewisse Zeit zusammenzubleiben. Es gibt auch immer mehr Fernbeziehungen. Das führt dazu, dass die Liebe aufgrund der Entfernung nicht so wachsen kann.

Barbara Petsch: Aus meiner Sicht als Mediatorin suchen die Paare viel zu spät Hilfe bei Paarkonflikten. Es gibt für alles Kurse, nur für die Liebe – wie liebe ich richtig und wie führe ich eine Beziehung richtig – gibt es keine Lehrgänge.

Die Furche: Was müsste vor allem gelehrt werden?

Petsch: Kommunikation! Die Leute reden heutzutage nicht mehr miteinander, das persönliche Gespräch geht verloren, es werden eher SMS oder E-Mails verschickt. Beim persönlichen Gespräch werden aber nicht nur Worte transportiert, sondern auch Körpersprache und Gefühle.

Die Furche: Sehen Sie als Soziologin auch das Ende der Liebe heraufziehen, Frau Zartler?

Ulrike Zartler: Ich kenne das Buch noch nicht. Nach dem, wie Sie das Buch zusammengefasst haben, teile ich die These nicht. Die Liebe ist eine soziale und anthropologische Konstante. Studien zeigen, dass die Sehnsucht nach Partnerbeziehungen ungebrochen hoch ist. Es gibt aber Veränderungen in der Art, wie Beziehungen begonnen und gelebt werden. Auch aufgrund der Anforderungen der Erwerbsarbeit ist das Internet zu einem Medium geworden, um eine Beziehung zu beginnen: Ich wähle mir den Partner aus, der passt – die Realität sieht oft anders aus.

Die Furche: Dass Menschen Beziehungen wollen, meint auch Sven Hillenkamp in seinem Buch „Das Ende der Liebe“. Nur scheitern sie leicht. Stimmt der Befund, dass Beziehungen so brüchig sind?

Zartler: Auf keinen Fall stimmt das Bild, dass Menschen von heute auf morgen sagen: Die Beziehung stimmt nicht mehr und deshalb beende ich sie. Eine Scheidung ist etwas, das sich Menschen üblicherweise sehr gut und lang überlegen. Was wir in den Studien sehen, ist, dass es unterschiedliche Muster gibt, wie Beziehungen aufgelöst werden, und sie sind geschlechtsspezifisch. Eines der Muster ist folgendes: Frauen überlegen sehr lang, ob sie diese Beziehung beenden möchten. Aus ihrer Sicht kommunizieren sie das auch, es kommt aber beim Mann nicht an. Wenn Frauen dann die Entscheidung getroffen haben, die Beziehung zu beenden, weil sie keine Hoffnung mehr haben, dass sich etwas ändert, dann ist das der Zeitpunkt, wo der Mann erst einsteigt. Dann hört man den Satz, der auch medial oft verbreitet wird: „Von Heute auf Morgen will sich meine Frau scheiden lassen. Es gab keine Anzeichen.“ Das ist ein massives Kommunikationsproblem. Hier geht es um Coping-Kompetenzen: Wie gehe ich mit Stress, Kommunikation und Wertschätzung in einer Beziehung um.

Die Furche: Was sind aus Ihrer Sicht Gründe, warum Beziehungen so brüchig sind, Herr Antonu? Ein Zuviel an Egoismus und Freiheit?

Antonu: Es ist die Sehnsucht nach Individualität. So wie die äußere Welt, ist auch die innere. Unsere Welt ist schnelllebig, oberflächlich, wir leben in einer Konsum- und Wegwerfgesellschaft. All das können sie auch auf Beziehungen umlegen. Ich habe oft Klienten, die beruflich sehr viel erreicht haben und sich fragen: Was jetzt? Ich sage dann: Sie sind zu wenig primitiv. Das heißt, zu wenig ursprünglich, naturbezogen und verwurzelt. Wenn ich diese Beziehungsqualitäten nicht habe, dann wird es schwierig. Partner werden heute oft ausgetauscht, man „konsumiert“ eben einen anderen. Es wird kaum etwas repariert. Es fehlen auch gemeinsame Visionen: Etwas Konkretes, das sich gemeinsam in einer Beziehung entwickelt und beide fasziniert.

Petsch: Der Schlüssel für eine gute Beziehung ist das Ich. Wenn ich mich selbst nicht akzeptiere, wie kann ich dann einen anderen lieben? Wenn ich lese, dass sich junge Mädchen die Brust vergrößern lassen wollen, ihre Nase korrigieren oder sich zu dick fühlen, wie sollen sich diese auf die Mängel eines anderen einlassen, wenn sie mit sich selbst nicht im Klaren sind? Ein weiterer Grund für die Brüchigkeit ist die Sprache: Wenn der Mann, wenn es Kinder gibt, die Frau mit „Mama“ anspricht, dann sagt das etwas über die Wertschätzung aus. Zudem, wie Herr Antonu schon sagte: Wir leben in einer sehr schnelllebigen Zeit, da gerät das Innehalten, die Zeit für den anderen, ins Hintertreffen.

Zartler: Auch aus der Forschungsperspektive sieht man deutlich, dass Stressfaktoren einen großen Einfluss auf Beziehungen haben. Unzufriedene Paare haben oft mehr Stress als andere – im Beruf, in der Beziehung, Freizeit oder Kindererziehung; und sie können schlechter damit umgehen.

Die Furche: Haben lebenslange Beziehungen, bzw. die Ehe, überhaupt noch eine Chance?

Zartler: Zunächst muss gesagt werden: Bis dass der Tod euch scheidet, heißt heute etwas vollkommen anderes als vor 50 oder 100 Jahren. Die Zeitspanne, die ein Paar ausfüllen muss, um dieses Ideal zu erfüllen, hat sich durch die erhöhte Lebenserwartung vervielfacht. Die Zeit, wo ein Paar mit minderjährigen Kindern zusammenlebt, wird immer kürzer, jene, wo man als Paar zusammenlebt, immer länger. Diese Zeit muss gefüllt werden, dafür braucht es andere Konzepte.

Die Furche: Wird an das Konzept „Lebenslang“ noch geglaubt?

Zartler: In der österreichischen Wertestudie sagen 28 Prozent auf die Frage, ob die Ehe eine überholte Einrichtung ist, Ja. Gleichzeitig gibt es bei Jugendliche laut Jugendwertestudie starke Tendenzen zu heiraten: Fast 80 Prozent geben an, dass sie heiraten wollen, zwei Drittel sogar kirchlich.

Die Furche: Was müsste also getan werden, dass wieder mehr Menschen, die immer noch das Ideal anstreben, auch wirklich Erfolg haben? Man sagt ja gemeinhin, wenn zwei sich lieben, geht der Rest von selbst.

Petsch: Dem ist aber nicht so! Es muss endlich in Prävention investiert werden, diese sollte schon bei Kindern ansetzen: Wie gehe ich auf Menschen zu, wie kommuniziere ich, wie löse ich Konflikte. Es geht um Beziehungsarbeit – ich weiß, das ist ein unpopuläres Wort.

Die Furche: Sie sind auch für das Projekt des Katholischen Familienverbandes „Wir trauen uns mit Recht“ tätig. Das sind rund zweistündige Seminare, in denen Paare Rechtliches und Psychosoziales zum Thema Ehe und Beziehungsleben erfahren.

Petsch: Das ist ein Baustein im präventiven Bereich. Es geht darum, dass man gut informiert und auf gleicher Augenhöhe in eine Beziehung geht.

Die Furche: Wird es angenommen?

Petsch: Nur langsam.

Die Furche: Apropos Prävention: Sie, Herr Antonu, bieten einen Beziehungscheck für Menschen, die eine Beziehung beginnen. Was kann das bringen?

Antonu: Das umfasst zehn Sitzungen zu je zwei Stunden. Es ist für Menschen gedacht, die sich sagen, wir wollen aus unserer Beziehung Ernst machen. Das Paar wird einzeln und zu zweit zu verschiedenen Themen befragt: Herkunft, Ängste, Erwartungen, Lebensziele, Sexualität, Spiritualität. Dann erstelle ich ein Profil und schaue, wo könnte es Probleme geben.

Die Furche: Wird das angenommen?

Antonu: Durchaus!

Die Furche: Der Beziehungscheck kostet ca. 2500 Euro, ist also eher etwas für Besserverdienende. Was könnte noch getan werden?

Antonu: Was oft in Beziehungen fehlt, ist die tiefe Bezogenheit aufeinander, der achtsame Umgang und die Toleranz. Epikur sagt: Es darf sein. Wenn ich das nicht vom Kopf, sondern vom Herzen sage: Es darf sein, dass der andere anders ist als ich; es ist eine Bereicherung, ich werde dadurch reicher und runder.

Zartler: Wir haben diese Befundlage: Menschen in Paarbeziehungen stehen vor großen Herausforderungen. Aus allen Bereichen strömen Anforderungen auf sie ein. Aber es gibt vielfach nur geringe Kompetenzen, damit umzugehen. Diese müsste man aber trainieren, man müsste bereits in der Schule ansetzen. Ich glaube aber nicht, dass wir Modelle entwickeln können, die dazu führen, dass es zu einem dramatischen Rückgang der Scheidungsrate kommt. Man kann das Rad nicht zurückdrehen. Es ist durchaus ein Fortschritt, der gesellschaftlich auch anerkannt ist, dass es die Möglichkeit gibt, eine Beziehung, die sehr unbefriedigend verläuft, zu beenden. Im individuellen Fall kann man sehr viel tun, um Beziehungen befriedigender zu gestalten, aber auf statistischer Ebene werden sich diese Maßnahmen nicht auswirken.

Die Furche: Was ist dann Ihr Szenario für die Zukunft: Weiter steigende Scheidungsraten oder ein Trend zu traditionellen Formen?

Zartler: Das kann ich wissenschaftlich fundiert nicht sagen. Meine Prognose: Die Scheidungsrate wird nicht in dem Ausmaß steigen wie in den letzten Jahrzehnten. Es wird zu unterschiedlichen Segmenten kommen mit unterschiedlichen Entwicklungen. Fernbeziehungen werden zunehmen, nicht weil es aus Sicht der Paare ein wünschenswertes Konzept wäre, sondern auch aus der Notwendigkeit von Beruf bzw. Karriere heraus.

Petsch: Paarbeziehungen haben schon so viele Höhen und Tiefen in der Geschichte der Menschheit überlebt, sie werden auch unsere Zeit überleben. Wichtig ist mir, dass man auch um Beziehungen kämpfen kann, es lohnt sich zu investieren, Zeit hineinzustecken in das Heilen einer Beziehung. Das Blickfeld soll auch auf jene Beziehungen gerichtet werden, die gelingen und auf die Aspekte, die zum Gelingen beitragen.

Die Furche: Meinen Sie nur dauerhafte Beziehungen oder auch kurze, dennoch gelungene?

Petsch: Beides hat seine Berechtigung. Jeder entscheidet, wie er oder sie das Leben gestaltet.

Antonu: Viel zu viele Menschen gehen aus einer großen Bedürftigkeit in eine Beziehung, das bedeutet Abhängigkeit. Und dort, wo Macht ist, ist keine Liebe, und wo Liebe ist, keine Macht. Es wäre wichtig, aus einer Stärker heraus in eine Beziehung zu gehen, nicht aus einer Notwendigkeit heraus.

Die Furche: Könnte man provokativ nicht einfach sagen: Nehmen wir diese Brüchigkeit von Beziehungen doch einfach hin!

Antonu: Nein! Wenn wir uns nicht ernsthaft um Beziehungsqualitäten bemühen und dafür im psychosozialen Bereich nicht einiges anbieten, dann wird es ein böses Erwachen geben. Wenn die Beziehungsfähigkeit weniger und oberflächlicher wird, dann traue ich mir die Prognose aufzustellen, dass psychiatrische Erkrankungen und Selbstmorde zunehmen werden. Ich weigere mich, in einer Welt zu leben und meine Kinder in eine Welt zu setzen, wo wir Zuschauer oder Mittäter sind, wenn unsere zwischenmenschlichen Werte, unsere Ökologie, Wirtschaft, Gesellschaft zerbrechen. Der Mensch braucht stabile Beziehungen. Das Ich braucht ein Du!

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