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Allein sein - phasenweise. Gebunden sein - aber nicht zu eng: Die Ansprüche an Beziehungen werden immer höher. Neben die Sehnsucht nach Geborgenheit ist der wachsende Wunsch nach Selbstverwirklichung getreten. In der Lebensform der "seriellen Monogamie" findet diese Entwicklung ihren deutlichsten Niederschlag.

Julia sitzt gemütlich am Balkon ihrer Singlewohnung und trinkt ein gutes Glas Wein. Allein. Das wohlbekannte Grübeln setzt ein und es fühlt sich immer schwerer an. Hätte ich Manfred doch nicht verlassen sollen? Aber es hat einfach nicht mehr gepasst! Die erste Zeit war ja schön ... Aber nach einem Jahr wurde er plötzlich so anders. Naja, beim Nächsten wird alles besser. Und bis es so weit ist, genieße ich meine Freiheit - und versuche herauszufinden, wer ich wirklich bin.

Manfred, davor Richard und davor Willi; Julia, davor Beate und davor Uli: Die Fachwelt spricht bei dem Phänomen des regelmäßigen Partnerwechsels von serieller Monogamie. Die Eheform im klassischen Sinn sei nur mehr eine von vielen Beziehungsformen, lautete auch die Conclusio der soeben zu Ende gegangenen 22. Goldegger Dialoge zum Thema "Aus der Egoismusfalle - Selbstfindung zwischen Einsamkeit und Geborgenheit". So ortet etwa der Zukunftsforscher Matthias Horx eine Individualisierung der Lebensformen. Die starren Normen und einengenden Korsette der von den Eltern arrangierten und notgedrungen erduldeten Ehen gehörten endgültig der Vergangenheit an.

Single, Double, Patchwork

Neue Formen entwickeln sich: Junge Ehe, bewusste Singles zur Selbstverwirklichung, homosexuelle Paare, Haushalte von Alleinerzieherinnen und Alleinerziehern oder auch Patchworkfamilien, in der sich Menschen zusammenfinden, die jeweils eigene Kinder aus anderen Beziehungen mit ins System bringen. Bei den Generationenfamilien nehmen die oft schon pensionierten Eltern ihre Kinder und Enkelkinder wieder vermehrt ins Haus, etwa um der allein erziehenden Mutter unter die Arme zu greifen. All diese Formen können theoretisch auch zeitlich hintereinander erfolgen. Bedingt durch die wesentlich höhere Lebenserwartung steht auch mehr Zeit zur Erreichung der eigenen Lebensziele zur Verfügung. Neue Lebensabschnitte entstehen, etwa jener der "Postadoleszenzphase", meint Matthias Horx. In dieser verabschieden sich Jugendliche vom Elternhaus und machen sich auf den Weg zu sich selbst. Sie reisen, entdecken sich in Selbsterfahrungsgruppen und pflegen ihr Freundschaftsnetzwerk. In dieser Phase wird auch die serielle Monogamie erprobt, um später besser einschätzen zu können, wie und mit wem man Beziehung leben möchte. Dass man grundsätzlich das Leben zu zweit verbringen will, ist freilich für die meisten sonnenklar: 97 Prozent der Singles sind nur solche auf Zeit, sie formulieren den Urwunsch nach einer dauerhaften Beziehung und nach Geborgenheit, aber auch nach gemeinsamem Wachstum innerhalb der Beziehung.

Probleme? Ex und hopp!

Die Vorteile der seriellen Monogamie lägen in der Authentizität der Beziehung, so Regine Schneider, Autorin des Buches "Die Liebe kommt, die Liebe geht. Über die serielle Monogamie" (Schröder Verlag, München 2001). Masken, falsches Festhalten an der nicht mehr spürbaren Liebe fallen weg. Diese Haltung sei laut Schneider nicht zuletzt ein Abbild unserer Wegwerfgesellschaft: Nach dem Motto "Ex und hopp" herrsche oft eine große Faulheit, an der eigenen Beziehung zu arbeiten.

Oft lautet die Devise aber auch: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Sich selbst treu zu bleiben steht vor der Treue gegenüber der Partnerin oder dem Partner. Der Schlüssel liegt für die deutsche Sozialwissenschafterin Herrad Schenk in der Entscheidungskompetenz.

Qual der Partnerwahl

Noch selten zuvor gab es so viele mögliche Lebensformen wie heute. Doch welche ist die richtige? Wir sind sogar zur Wahl gezwungen, denn das gesellschaftliche System und die immer flexibler werdende Arbeitsplatzsituation mache ein Kopieren des Lebens der eigenen Eltern oft unmöglich, so Schenk. Selbstreflexion, die Bereitschaft zu Kompromissen, die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen, der Mut zur Lücke und eine hohe Entscheidungskompetenz - diese Skills würden heutzutage von beziehungsfähigen Erwachsenen, von Drehbuchautoren des eigenen Lebens verlangt. Aus der Fülle an Möglichkeiten gilt es, sein eigenes Leben zu basteln. Wobei sozial und finanziell Privilegierte mehr Gestaltungsfreiraum hätten als Menschen aus den so genannten unteren sozialen Schichten, so Schenk. Denn die Familiengeschichte, die eigene Erziehung und äußere Sachzwänge machen es oft schwer, die ureigensten Ziele und Wünsche umzusetzen.

Dennoch kann sich eine Frau inzwischen sehr bewusst entscheiden, ob, wann, mit wem und wie viele Kinder sie bekommen möchte. "Kopfgeburten", also jene Kinder, die erst nach einem langen Planungsprozess gezeugt werden, sind zur Selbstverständlichkeit geworden. So sehr wir auch planen und wünschen und basteln: Manchmal kommt es trotzdem ganz anders, als man denkt - ähnlich einem Filmdrehbuch. Sämtliche Mitwirkende haben Ideen und Änderungswünsche parat. Die Familienaufstellungsarbeit zeigt, wie Menschen oft unbewusst Rollen aus dem System übernehmen, ohne es zu wollen oder gar zu planen. Ein archaisches Wissen scheint für so manche Beziehungsverwirrung verantwortlich zu sein. Der Familientherapeut Karl-Heinz Domig weiß: Erst dann, wenn das eigene Schicksal angenommen wird und alte Verstrickungen aufgelöst sind, ist ein freier Gestaltungsspielraum möglich. Viele Entscheidungen seien zwar reversibel, so Domig, dennoch hinterlasse jede einzelne eine Spur in der Landkarte der eigenen Biografie. Ehen sind auflösbar, Freundschaften wechselbar und Jobs veränderbar. Nur eine Entscheidung bleibt eine Entscheidung fürs Leben: die Elternschaft. Die Idee des Ehevertrages zwischen Eltern und deren Kindern liegt nahe. "Ich schwöre Dir die Treue in guten wie in schlechten Zeiten, bis Du erwachsen bist und die Verantwortung für Dich selbst übernimmst." Buchtitel wie "Glückliche Scheidungskinder" oder die wiederkehrende Aussage "Den Kindern geht es seit der Scheidung viel besser" müssten laut Domig individuell überprüft werden - und zwar auf lange Sicht.

Geborgenheit und Distanz

Bei vielen Jugendlichen käme es durch die vorgelebte Beziehungsverwirrung der Eltern zu Beziehungsunsicherheiten. Es wachse aber auch das Wissen um den Wert einer fairen und partnerschaftlichen Beziehung. Nicht umsonst werden in Umfragen nach der Liebe die Identifikation mit der Partnerschaft und die persönliche Entwicklungsmöglichkeit als wichtigste Faktoren einer glücklichen Partnerschaft genannt. Die Meinung des anderen, der faire Austausch zweier Individuen in Begegnung halten Partnerschaften zusammen. Verfällt der Andere zu sehr der Harmonie, verschwimmen die Grenzen. Das bedeutet oft das Ende der Beziehung - die Paare leben nebeneinander her.

Der Schweizer Vorreiter der Paartherapie, Jürg Willi, definiert Beziehung folglich als ein "Sich gemeinsam auf den Weg machen zu sich selbst, mit Hilfe des Partners". Dadurch entstünde ein Eigennutz für beide: "Was hilft es mir, meinen Partner zu unterdrücken, wenn ich dann einen depressiven Menschen neben mir habe, der mich auf dem Weg nicht kraftvoll begleiten kann?" so Willi. Das Ziel der Liebesbeziehung sei es, sein persönliches Potenzial auszuleben und zu erleben. Die Kunst liege im fortwährenden Überprüfen der Wünsche und der Grenzen - frei nach dem Motto: "Bleib bei mir, aber komm mir nicht zu nah!"

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