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Kinder leiden besonders

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Wer sich wegen der zunehmenden Scheidungshäufigkeit sorgt, wird oft darauf hingewiesen, früher sei es mit den Ehen auch nicht besser gewesen. Man habe nur die Fassade gewahrt. Heute sei man ehrlicher: Man gehe man auseinander, wenn es nicht mehr klappt.

Dieses Argument ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Früher war der gesellschaftliche Druck (bis in die dreißiger Jahre gab es keine Scheidungen) zur Aufrechterhaltung der Ehe enorm. Wieviel menschliches Elend es damals bei aufrechter Ehe gab, läßt sich schwer erfassen. Daß es gegeben war, ist nicht zu bezweifeln. Nur sollte dies nicht zur Verniedlichung der heute gegebenen Problematik dienen. Denn die hohen Scheidungsziffem spiegeln menschliches Elend in großem Ausmaß wider.

Wer das Zerbrechen einer Ehe in seinem Bekanntenkreis miterlebt, weiß, mit wieviel Not dieser Vorgang verbunden ist - zunächst beim betroffenen Paar selbst. Den Grad der Belastung weist sogar die Statistik aus: Die Sterblichkeit Geschiedener liegt (besonders bei den Männern) deutlich höher als die der Verheirateten, ja selbst der Verwitweten. Für einen 30jährigen Mann ist es nach diesem Kriterium bedrohlicher, sich scheiden zu lassen, als stark zu rauchen.

Auch die Untersuchungen der US-Psychologin Judith Wallerstein über die Spätfolgen von Scheidungen zeigen, wie schwerwiegend die Konsequenzen eines solchen Schrittes sind. Dabei war die Psychologin mit der Hypothese an ihre Arbeit gegangen, daß halbwegs „normale und gesunde Menschen innerhalb eines Jahres in der Lage sein müßten, mit den Problemen einer Scheidung fertig zu werden."

Ganz im Gegenteil: Am meisten litten die Kinder. Ihre Eltern lagen meist weiterhin im Streit miteinander - am Telefon oder an der Tür beim Abholen der Kinder.

15 Jahre Beobachtung von 60 Scheidungsfamilien zeigten: Die meisten Kinder hatten nach deruo Scheidung ein „Gefühl der Zerstörung", stärker als das Leid nach dem Tod eines Elternteils. Scheidung heißt für Kinder nämlich nicht nur Verlust der Geborgenheit, sondern meist auch Verlust ihrer Eltern als Gesprächspartner. Mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, haben diese meist weder Kraft noch Zeit, sich ihren Kindern zuzuwenden. Dabei brauchten diese so dringend Trost. Sie verlieren ja fast immer einen Elternteil (meist den Vater).

Bei Grundschulkindern beobachtete Wallerstein massive Schuldgefühle, Selbstvorwürfe, ihren Eltem nicht ausreichend geholfen zu haben. Bei älteren dominieren Wut-und Ohmachtsgefühle, während 14-bis 17jährige sich überwiegend in ihrer Selbstachtung verletzt fühlen.

Besonders bedenkenswert: 40 Prozent der Kinder litten sogar zehn Jahre nach der Scheidung unter den Streitigkeiten ihrer Eltem, fühlten sich ständig hin- und hergerissen. Und noch etwas: Als junge Erwachsene hatten Scheidungskinder häufig Angst, dauerhafte Beziehungen einzugehen.

Das Phänomen der Scheidung trägt also die Gefahr der Selbstauf-schaukelung in sich. Gerade deswegen ist es dringend geboten, die Ehe als Ort menschlicher Entfaltung aufzuwerten und abzusichern.

Zu wünschen wäre fraglos eine Politik der unzweideutigen Förderung von Ehe und Familie. Noch wichtiger aber erscheint mir folgendes: Je weniger die Ehe von außen her gestützt ist, umso mehr muß das innere Band der Beziehungen gefestigt werden. Das bedeutet vor allem: intensive Ehevorbereitung, Anbieten von Ehebegleitung, Anleitung zur Konfliktbewältigung und Ermutigung zur Ehe durch gelebtes Vorbild. Das ist nicht zuletzt eine Herausforderung für Christen, erfahrbar zu machen, welche Kraft der Versöhnung Gott im Alltag einer sakramental gelebten Ehe schenkt.

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