6870876-1978_23_05.jpg
Digital In Arbeit

Scheidung und Selbstmord haben gemeinsame Wurzel

19451960198020002020

In der kommenden Woche wird der dritte und letzte Abschnitt der großen österreichischen Familienrechtsform abgeschlossen werden. Der wohl heißest umstrittene Teil des Gesetzes, nämlich die Scheidungsregelung, wird zuletzt behandelt. Zahlreiche Vertreter von Kirche und Politik kamen zu Wort; ein wenig in Vergessenheit ist jener Bereich geraten, in dem dieses Gesetz gelebt werden muß: Die Psyche des Menschen. In einer Studie von Millendorf er, Fuchs, Gaspari über die Familie in Europa wurde ein auffälliger Bezug zwischen Ehescheidung und Selbstmordrate hergestellt. Jene Länder Europas, die eine hohe Scheidungsquote zu verzeichnen haben, weisen auch hohe Selbstmordraten auf.

19451960198020002020

In der kommenden Woche wird der dritte und letzte Abschnitt der großen österreichischen Familienrechtsform abgeschlossen werden. Der wohl heißest umstrittene Teil des Gesetzes, nämlich die Scheidungsregelung, wird zuletzt behandelt. Zahlreiche Vertreter von Kirche und Politik kamen zu Wort; ein wenig in Vergessenheit ist jener Bereich geraten, in dem dieses Gesetz gelebt werden muß: Die Psyche des Menschen. In einer Studie von Millendorf er, Fuchs, Gaspari über die Familie in Europa wurde ein auffälliger Bezug zwischen Ehescheidung und Selbstmordrate hergestellt. Jene Länder Europas, die eine hohe Scheidungsquote zu verzeichnen haben, weisen auch hohe Selbstmordraten auf.

Werbung
Werbung
Werbung

Der bekannte Wiener Psychiater, Univ.-Prof. Dr. Erwin Ringel, hat aus Anlaß der Scheidungsreform in einem Gespräch mit der „FURCHE“ zum Problemkomplex Ehe - Scheidung -psychische Störungen Stellung genommen: „Scheidung bedeutet Scheitern und jedes Scheitern belastet den Menschen. Manche Menschen sind dieser Belastung nicht gewachsen und in diesem emotionalen Konflikt kann es zu psychischen Störungen, ja sogar zu Selbstmordneigung kommen.“

In ganz besonderem Maße verweist Ringel auf das Schicksal der Kinder aus gestörten Familien. Die Scheidung der Eltern sei auch für die Kinder ein schweres Trauma, sie entwickeln in der Folge weniger Selbstvertrauen, weniger Selbstwertgefühl, weniger Lebensfreude, den Lebensraum positiv zu durchdringen. Seit Jahrzehnten sei wissenschaftlich nachgewiesen, daß die sogenannte „broken home“-Situation ganz wesentlich mit der späteren Selbstmordneigung zusammenhänge. Jedoch könne man nicht den einfachen Schluß ziehen: Hohe Scheidungsquoten bedingen hohe Selbstmordquoten. Beide Phänomene besitzen eine gemeinsame Wurzel: „Es wachsen immer mehr Menschen heran, die für zwischenmenschliche Beziehungen, für das Gemeinschaftsgefühl nicht reif werden; deren Beziehungen zu anderen Menschen scheitern dann ebenso wie ihre Beziehung zum Leben.“

Anderseits könnte man die Selbstmordquoten sicher nicht durch eine Erschwerung der Scheidung senken: „Es liegt ja nicht an dem Außenfaktor

Scheidung oder Nicht-Scheidung, es liegt vielmehr an der Intaktheit familiärer Beziehungen.“ Und diese sind heute vielfach schwer gestört. Die Menschen haben nicht gelernt, einander als Partner anzusehen, „sondern benutzen einander - wenn wilr extrem formulieren-als Objekt“. Prof. Ringel mißt einer neuen Gesinnung der Partnerschaft in der Ehe „ungeheure Bedeutung“ zu, bezweifelt in dieser Hinsicht jedoch gleichzeitig die bewußtseinsbildende Kraft gesetzlicher Regelungen: Partnerschaft könne nicht verordnet, sondern nur erlernt werden. Vielmehr sei umgekehrt die Gesetzesform eher eine Konsequenz gesellschaftlicher Veränderungen.

Darüber hinaus zweifelt Ringel an der Sinnhaftigkeit genereller Scheidungsmechanismen: „Jeder einzelne Fall muß individuell geprüft werden“, aber Gerichte seien hier überfordert. „Der Richter kann wohl ein juristisches, aber wahrscheinlich nicht ein psychohygienisches Problem prüfen.“ Und weiter: „Die Frage ist aber immer nur die, kann man die gestörte Ehe wieder funktionsfähig machen? Und da fürchte ich, das kann man vielfach nicht.“

Das wichtigste Kriterium bei der Entscheidung über die Fortsetzung einer Ehe sei durch die Situation der Kinder bestimmt. Weder dürfe das Kind jenes Schlachtfeld sein, auf dem die gestörte Ehe ausgetragen wird („Schlachtfelder werden verwüstet und so werden es die Seelen der Kinder“), noch solle es zum Kampf um das Kind kommen („das Kind darf kein Zerrissener werden“). Es müssen also

in jedem Fall Verhältnisse gefunden werden, die vor allem dem Kind die bestmöglichen Lebensbedingungen bieten: „Sei es durch die Fortsetzung der Ehe, oder durch Scheidung. Hier gibt es kein allgemeingültiges Gesetz: Weder um jeden Preis beisammen bleiben, noch unter allen Umständen die Scheidung.“

Sicherlich aber dürfen Menschen nicht wie bisher infolge tragischer Umstände („die wir ja gar nicht beurteilen können“) zum Gezeichneten werden, etwa zu „Christen zweiter Ordnung“: Und „die Seelsorger wissen das ganz genau, sie versuchen ja täglich, für diese Menschen Verständnis aufzubringen“. Ringel verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Sylvesteransprache des Wiener Kardinals, wonach die Kirche den Geschiedenen nicht mehr verdamme und verurteile, sondern die Tragik und menschliche Not sehe und verstehe.

Um so mehr als die Ehe - „von Gott eingesetzt“ - ihren Sinn behalten habe und behalten werde, obwohl sie den Menschen vor eine der schwierigsten Aufgaben des Lebens stellt. Die Institution Familie werde sich auch weiterhin immer wieder Modifikationen unterziehen, aber sie müsse und werde bestehen bleiben: „Sie ist - in Parallele zu einem Churchill-Zitat über die Demokratie - mit all ihren Mängeln immer noch das Beste, das ich kenne.“ Zahlreiche Versuche anderer Gemeinschaftsformen sind gescheitert, wie dies das Beispiel Kommune beweist: sie bringe mehr neurotisierte Kinder hervor als jemals gestörte Familien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung