Liebe! Warum nicht lebenslang?

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Scheidungen sind wieder häufiger geworden.Warum werfen so viele Paare das Handtuch?

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Scheidungen sind wieder häufiger geworden.Warum werfen so viele Paare das Handtuch?

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Zuerst wird gelitten, weil das Erleben dieses Gefühls so aufwühlend ist. Man verschmilzt, wird eins, ist unsagbar glücklich.

Später wird gelitten, weil in der Folge nicht das passiert, was wir uns eigentlich erwartet haben. Am Ende wird aufgegeben. Aus und vorbei. Sie war nicht stark genug, die Liebe. Man verlässt einander oder findet sich vor dem Scheidungsrichter wieder. Das ist in den meisten Fällen aufreibend, verletzend, prägend.

1999 wurden in Österreich 18.512 Ehen rechtskräftig geschieden. Damit ging eine mehrjährige Periode zu Ende, in der die absolute Zahl der Scheidungen auf bereits hohem Niveau leicht rückläufig war und die Scheidungsrate nur sehr schwach zunahm. Im Vorjahr stieg sie wieder um 4,8 Prozent auf 40,45 je 100 Heiraten. Das heißt: 40 Prozent aller gegenwärtig geschlossenen Ehen dürften - unter der Voraussetzung, dass die Scheidungsraten gleich bleiben - mit der Trennung enden. Die Situation bei den Lebensgemeinschaften dürfte nicht weniger dramatisch sein. Warum werfen so viele Paare vorzeitig das Handtuch?

Natürlich gibt es keine Liebe ohne Idealisierung. Aber es herrscht offensichtlich immer noch ein kollektives Idealbild von Ehe und Partnerschaft, von einem harmonischen und liebevollen Zusammenleben vor, das der Realität nicht standzuhalten vermag. Die Liebe, die meist wie ein Traum begann, erstickt am Alltag, an den täglichen Trivialitäten von Ordnung und Schlamperei, von Geld- und Erziehungsdifferenzen, von Überforderung, Unzulänglichkeit und Unfähigkeit.

* Am schwersten fällt es, den anderen Menschen in seiner Individualität sein zu lassen. Einen Menschen lieben heißt: ihn so sehen, wie Gott ihn gemeint hat (Fjodor M. Dostojewski). Also ihn eben nicht nur so zu sehen, wie man selber meint. Ein hoher Anspruch und doch genau das, was die Liebe so unvergleichlich und beständig macht. Zu hoch für die Niederungen des täglichen Beieinanderseins? Dominanz- und Machtkämpfe, die Veränderungs- und Herummodelierungsversuche sind immer noch ein furchtbares Übel in den Partnerschaften. Irgendwann wird nur mehr in "gewohnter Weise" reagiert: Die Gesten der Zuneigung, Liebe, Toleranz und Sensibilität werden weniger, Gespräche seltener. Wozu auch? Man kennt einander eh schon. Irrtum - das Kennenlernen hat nur irgendwann an einem Punkt aufgehört - bis man plötzlich merkt: Die beiden Enden an Wünschen, Vorstellungen lassen sich ja gar nicht mehr zusammenbinden.

* Natürlich ist Neues immer interessanter als Gewohntes. Schlimm wird es nur, wenn nicht bemerkt wird, dass sich einer der beiden verändert hat. Wer Entwicklungsschritte macht, Erfahrungen gewinnt, Wünsche entwickelt und feststellen muss, dass der Partner nicht mitwill, wird zermürbt durch die Spannungen und dem Gefühl des ständig Zurück-geworfen-werdens.

* Die eigene Gefühlswelt reicht nicht aus, um zur Gefühlswelt des anderen Zugang zu finden. Die Menschen, so bestätigen Forscher, sind in ihren Emotionen erstaunlich divergent. Wer daher lernt, dass die Welt für einen anderen Menschen ganz anders aussehen kann, hat schon eine der anspruchsvollsten Fähigkeiten für das Gelingen einer Partnerschaft begriffen. Er kann den anderen Menschen "verstehen", seine Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse "nachempfinden". Einfühlungsvermögen gilt inzwischen ohnehin als Schlüssel bei den Partnerschaftsforschern. Die meisten Probleme entstehen an der mangelnden Einsicht in die Verschiedenheit der Menschen. Bejahend auf sie einzugehen statt zu treiben und zu zwingen, ist für viele immer noch eine Überforderung.

* Kein Mensch kann für den anderen die ganze Welt sein. Und doch spielt sich das soziale Leben der meisten Paare in den eigenen vier Wänden ab. Dieses Aufeinander-fixiert- sein wird allerdings zunehmend als ein Hauptproblem erkannt. Beziehungen laufen dann gut, wenn man einander Freiheiten lässt, bei den Interessen, den Hobbys, den Freunden. Diese Bedürfnisse zu artikulieren, muss allerdings auch oft erst gelernt werden.

* "Love is not enough." Es muss auch eine Rückkoppelung an den Sinn einer Beziehung geben. Was verbindet uns eigentlich? Zur Liebe mischt sich immer etwas hinzu, worüber aber selten Klarheit herrscht. Schützen wollen, (sich) geben wollen. Beistehen und für den anderen dasein wollen, mit ihm gemeinsam etwas aus dem Leben heraussuchen, was Sinn hat. Freude am Gemeinsamen, Zufriedenheit über das Geschaffene ... Manches von diesen Vorstellungen und Wünschen wird nicht genug berücksichtigt, manches überfordert.

* Was uns zum Thema Liebe und Partnerschaft heute in Talk-Shows, Illustrierten, Büchern anspringt, wird immer entsetzlicher und verwirrender. Nichts wird mehr verschwiegen, alles angesprochen ("Ich finde Dich nur mehr scheiße!" "Ich habe nur guten Sex beim One-night-stand!"). Ohne Scheu oder Respekt. Vor allem junge Menschen werden derzeit förmlich von Klischees über Liebe und Sex niedergepresst. Wie Ping-Pong-Bälle werden Ausdrücke, Geständnisse, Erlebnisse hin- und hergeschlagen. Dazu die ständigen Aufforderungen, seine Außenhaut auf Hochglanz zu bringen, um liebenswert und liebesfähig sein zu können. Der Druck zu Konformismus und die Aufforderungen zu reproduzieren, was man da so täglich sieht, ist gewaltig. Mann/Frau sucht, getrieben von den Vorstellungen aus der Konsumwelt, den "richtigen" Partner - und muss zwangsläufig enttäuscht sein.

Wittgenstein hat vorgeschlagen, oft gebrauchte Wörter wieder zu waschen, um sie vom Schlamm zu befreien, der um sie herum gelegt worden ist. Offensichtlich bedarf das Wort "Liebe" eines besonders gründlichen Bades. Vielleicht wird es dann wieder klarer und weniger überfrachtet. Und vielleicht werden dann die Anstrengungen, an der Erhaltung und Weiterentwicklung zu arbeiten, auch wieder zunehmen.

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