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Exodus und Auferstehung

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Es ist ein langer Weg von der Verdrängung der eigenen Homosexualität und der Selbstisolation bis hin zur Grunderfahrung des Angenommen-Seins.

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Es ist ein langer Weg von der Verdrängung der eigenen Homosexualität und der Selbstisolation bis hin zur Grunderfahrung des Angenommen-Seins.

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Mit siebzehn. Das Unglaubliche passiert: verliebt in einen Mann! Er: Boris, Russe, neunzehn. Liebe zwischen zwei jungen Männern. Alles heimlich und versteckt, durch Ausreden getarnt, durch Lügen vertuscht. Nach langer trauter Nacht immer erst in der Früh leise nach Hause geschlichen. Niemand darf es hören. Doch davor: das Wunderbare, jene Stunden erster Liebe, voll Poesie und Nähe, voll Witz und Charme. Geschichten und Gedichte. Berührungen und Rührungen. Dostojewskij und Shakespeare dabei unsre Propheten und Leitsterne:

Soll ich, bei meiner Lebenslust, versauern,

Weil Heuchler sieh bigott das Maul zerreißen?

Und Schwächre geil auf meine Schwäche lauern, Und, was ich gut nenn', hämisch böse heißen?

Nein, ich bin, der ich bin (...)

W. Shakespeare

Seit dieser Liebesgeschichte sind siebzehn Jahre vergangen. In die Erinnerung jenes jugendlichen Verliebtseins mag sich romantische Verklärung beimisehen, möglich. Und dennoch halte ich es bei dem, was wir jetzt unternehmen wollen, nämlich einem theologischen Streifzug durch das Gebiet der Homosexualität, für einen anregenden und hilfreichen Zugang.

Ehrliche Theologie nimmt ja den konkreten Menschen und seine konkreten Erfahrungen ernst und zum Zentrum und Ausgangspunkt der Deutung auf eine andere, neue Wirklichkeit hin. Also fragen wir: Was ist da mit diesen zwei jungen Leuten passiert? Wie hat das ihr Leben verändert gegenüber den Jahren zuvor? Welche Zukunft hat ihnen das eröffnet? Und was hat das mit Gott zu tun? Mit der neuen Wirklichkeit, die wir gemeinhin Reich Gottes nennen?

Mit zwölf habe ich gewußt, daß ich schwul bin. Und mir dabei geschworen: Es würde nie jemand erfahren. Und somit die Isolation tief in mich eingeschrieben. Die unscharfe, kaum offen artikulierte, eher diffus wirkende gesellschaftliche Ablehnung homosexuellen Lebens war von mir brav verinnerlicht worden. Und dann das! Diese wahrhaft erschütternde Zeit mit Roris. Und sie hat alle (Selbst) Unterdrückung Lügen gestraft. Mit einem Mal wurde es mir sonnenklar das, was du da erlebst mit ihm: Es ist im Sinne unseres Gottes, er freut sich an unserer Freude und Lust. Eine unglaubliche Erfahrung der Annahme! Und Gott sah, daß es gut war.

Eben diese menschliche Grunderfahrung ist es, die uns den Maßstab gibt für die ethische Beurteilung aller unserer Lebensvollzüge: die Erfahrung, daß etwas gut ist. Und das nicht nur für mich, sondern auch für den anderen, ja für alle an diesem Geschehen Beteiligten. Was uns letztlich zu einer Haltung weltumspannender Verantwortung und Solidarität führt. Ich will es die Selbstevidenz des Guten nennen. Wer auch immer in Not ist und Hilfe erfahren darf, weiß das unverbrüchlich. Darum wird die Frohe Botschaft, diese Gute Nachricht, zuerst und existentiell von den sogenannten Armen verstanden. Weil die Erfahrung des Guten lang entbehrte Freude birgt.

Diese Grunderfahrung durchzieht auch die Zeugnisse der biblischen Bücher. Deckt sich da nicht, dem Gottesvolk auf der Spur, eigene mit fremder Lebenserfahrung? Bin ich nicht erst aufgrund dieser Analogie fähig, jene Bücher überhaupt zu verstehen? So erst erkenne ich ihren Grundtenor, einen Ethos, gebildet aus tausendfältigen Erfahrungen: was gut tut oder eben nicht gut tut, schadet, verdirbt - so wie wir es auch tagtäglich erleben: lieben oder Tod.

So schwer es auch im Einzelfall zu beurteilen ist, was heil ist und heil macht: Hier liegt der Maßstab, der un -seren christlichen Ethos wie unser christliches Gottesbild bestimmt.

Und von dem her wage ich als Gläubiger auch die Aussage: I Iomosexuelle Liebe, wenn sie verantwortet gelebt wird, ist gesegnet, von Gott gut geheißen. In ihr liegt Segen, weil hieran Menschen Gutes geschieht: ganzheitliches Menschsein ohne Abspaltung, Verwurzelung im Selbst, hingerichtet auf ein Du.

Und das deckt sich auch mit den beiden großen Erzählungen, den beiden zentralen Motiven der Schrift: Exodus und Auferstehung. Aufbruch aus alten Mustern. Aus alten Räumen der Angst und Enge. Der sich auf andere Horizonte hin weitende Rlick. Ende inneren Todseins. Neues Leben, Lebendigkeit. Ja - Isolation, Einsamkeit, Selbstunterdrückung können ein Ende haben! Es steht uns ein anderes Leben bereit, ein weites Land steht uns offen!

Lesben und Schwule beziehen ihre Erfahrung des „Coming Out“ auf die biblischen Geschichten und Rilder von Aufbruch aus Erdrückendem. Es ist die Wende vom bloßen Wirklichkeitssinn zum inspirierten Möglichkeitssinn. Das Sich-Einlassen auf die Herausforderung: Mach aus deinem Leben mehr. Bleib nicht stehen. Und: Gott selbst wirkt das in dir und an dir. Dein Leben ist dir geschenkt, nicht um es zu vergeuden, sondern um es schöpferisch zum Blühen zu bringen. Wie sagt doch Dorothee solle zugespitzt? „Es muß mehr als alles geben.“ Ja, und wir können als Liebende eine Ahnung davon haben.

Ein Letztes. Nicht nur platonisch war unser Zusammensein damals. Das war eine Liebe mit Haut und Haar. Ganz und gar. Warum auch nicht? Warum nicht den inneren Gefühlen äußerlichen, fühlbaren Ausdruck verleihen? Warum den Menschen auseinanderreißen: platonischer Eros ja, sexuelle Begegnung nein?

Ich habe die katholische Tradition da nie verstanden. Sie definiert die Zwecke der Sexualität, favorisiert dabei die Fortpflanzung und vergißt, daß sexuelle Begegnung primär einmal hautnahe Begegnung zwischen zwei Menschen ist, die sich hier zum Du werden! Und da Lesben und Schwulen nicht ins Konzept passen, wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, Enthaltsamkeit verordnet und zur Sublimierung der sexuellen Energien geraten. Aus zig Lebensgeschichten vor allem schwuler Priester weiß ich, wohin dies meist führt: ungestillte Sehnsucht, Einsamkeit, Wor-koholismus, Alkoholismus, Neurosen. Tut mir leid: aber einem Gott der Befreiung und der Auferstehung steht so ein Konzept nicht gut an. Der Gott der Bibel ist ein Gott, der die Körper nicht schuf, damit sie unterdrückt und krumm werden, sondern seinem Lobpreis dienen: „Komm doch und küß mich! Deine Liebe berauscht mich mehr noch als Wein“ (Hoheslied).

Ja, das konnte ich mit Boris damals sagen und kann ich mit meinem Partner heute auch. Das vatikanische Konzept ist lebensfern und lieblos. Wir sollen uns zu Hause fühlen in unseren Körpern, auch wenn wir nur Gäste dieser Welt sind, auf gestundete Zeit.

Fassen wir zusammen: Die Lebenserfahrungen homosexuell liebender Menschen hier durch ein konkretes Beispiel aus meinem Leben vertreten können uns helfen zu verstehen, worum es'geht: um gelungenes Leben. Und das bedeutet: Den Auszug aus lebensfeindlichen Bedingungen wagen. Die Verbindung mit dem eigenen Selbst, der eigenen Identität finden. Zuhause sein im eigenen Körper. Sich ganzheitlich auf das Du hin öffnen und liebevolle Begegnung finden.

Das Leben als großes Dankgebet erfahren: Schön, daß ich vor Gott und mit anderen sein kann, so wie ich geschaffen bin - egal ob hetero- oder homosexuell.

Der Autor ist

Obmann derHUK-Wien (lIomosexuelle und Kirche).

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