6892966-1979_51_27.jpg
Digital In Arbeit

Wirtschaft: Intakte Familie als Anliegen

19451960198020002020

Die wirtschaftlichen Notwendigkeiten des Industriesystems haben die Entwicklung von der ländlichen Großfamilie zur heute dominierenden Kleinfamilie stark gefördert. An Stelle des Zusammenlebens von drei Generationen und der Einbeziehung von Mitarbeitern und nicht verheirateten Angehörigen in den Familienverband ist heute das Modell Eltern und maximal zwei Kinder die Norm.

19451960198020002020

Die wirtschaftlichen Notwendigkeiten des Industriesystems haben die Entwicklung von der ländlichen Großfamilie zur heute dominierenden Kleinfamilie stark gefördert. An Stelle des Zusammenlebens von drei Generationen und der Einbeziehung von Mitarbeitern und nicht verheirateten Angehörigen in den Familienverband ist heute das Modell Eltern und maximal zwei Kinder die Norm.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Wirtschaft benötigte mobile, an der jeweiligen Produktionsstätte einsetzbare Arbeitskräfte. Die folgerichtige Entwicklung war daher die massive Verstädterung, die Entstehung kleiner Haushalte, das Auseinanderbrechen der Dreigenerationenfamilie, die außerhäusliche Berufstätigkeit des Mannes und in zunehmendem Maße - insbesondere in den Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg - auch die außerhäusliche Berufstätigkeit der Frau.

In diesem Lichte betrachtet entsteht der Eindruck, als ob steigender wirtschaftlicher Wohlstand nur mit der langsamen, aber konsequenten Auflösung der Familie einhergehen könne. Diese Vermutung wird auch durch einen Vergleich der europäischen Länder erhärtet.

Jene Länder, die zu Beginn der siebziger Jahre den höchsten wirtschaftlichen Wohlstand erreicht hatten, sind auch diejenigen, in denen die Situation der Familie am ungünstigsten ist. In Westeuropa sind dies die Länder Schweden, Dänemark und die Bundesrepublik Deutschland.

In diesen Ländern überwiegt eine negative Einstellung zur Ehe und zum Kind sowie eine hohe Instabilität der zwischenmenschlichen Beziehungen. Kennzeichen für diese Situation sind etwa hohe Scheidungsund niedrige Heiratsraten, geringe Geburtenfreudigkeit, zahlreiche uneheliche Geburten, viele Scheidungswaisen, usw

Daß solche Erscheinungen tatsächlich negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Menschen haben und nicht Ausdruck einer sich in Freiheit selbst entfaltenden Menschheit sind, machen die Zahlen für sozialpsychologische Belastung deutlich: Je mehr die Familien eines Landes die oben erwähnten Erscheinungen aufweisen, umso häufiger treten auch Phänomene wie Selbstmord, Mord und Kriminalität auf.

Läßt sich also wirtschaftlicher Wohlstand nur um den Preis der Auflösung der Familie erreichen? Liegt das einzige Interesse der Wirtschaft somit nur darin, den Menschen zu einem möglichst willfährigen, frei verfügbaren - durch keine Bindungen an andere Institutionen beeinträchtigten - Produktionsfaktor zu machen? Ist es also - um auf das zu Ende gehende Jahr des Kindes zu sprechen zu kommen - der Wirtschaft nur recht, wenn auch dieses Jahr keine offensichtliche Besserstellung und

Festigung der Familie gebracht hat?

Die Frage nur von dieser vereinfachenden Sicht her zu betrachten, wäre die Augen davor zu verschließen, daß Wirtschaft und Familie in weitaus vielfältigeren Beziehungen zueinander stehen. Der Mensch ist eben nicht nur ein Produktionsfaktor, der seine Kraft und seine Geschicklichkeit in den Erzeugungsprozeß einbringt und, was diese Fähigkeiten anbelangt, wie eine Maschine an- und abgestellt werden kann.

Er ist vor allem auch durch seine Denkfähigkeit, seine Initiative und

Kreativität, durch seine Einsatzbereitschaft und Lernfähigkeit ein unverzichtbares Kapital jeder organisierten Form menschlicher Betätigung. Bezüglich dieser Eigenschaften ist der Mensch durch keine noch so ausgeklügelte Maschinerie zu ersetzen. t

Stellen wir nun aber die Frage, wo diese spezifisch menschlichen Eigenschaften, deren Vorhandensein für die Funktion jeder Wirtschaft von zentraler Bedeutung ist, grundgelegt werden, so ist leicht einsehbar, daß wir wieder zum Themenkreis Familie und Kindererziehung zurückgelangen.

Untersuchungen zahlreicher namhafter Psychologen, insbesondere die Arbeiten des amerikanischen Forschers David McClelland haben gezeigt, daß unternehmerischer Erfolg sehr weitgehend von einer bestimmten Charaktereigenschaft abhängt: der Leistungsmotivation.

Unternehmerische Menschen weisen - wie sich in Versuchen eindeutig belegen läßt - bestimmte gemeinsame Charaktereigenschaften auf, die McClelland unter der Bezeichnung Leistungsmotivation zusammenfaßt. Welche Eigenschaften sind das nun?

Leistungsmotivierte Personen sehen das Leistungerbringen als etwas selbsttragend Positives an. Sie sind im allgemeinen bereit, Risiko zu tragen, Initiativen zu ergreifen. Sie sind daran interessiert, Neuerungen einzuführen, neue Wege zu beschreiten. Ihr Interesse gilt eher Sach- als Personalfragen und sie scheuen nicht davor zurück, Verantwortung zu übernehmen.

Personen mit solchen Eigenschaften sind die Motoren der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Jeder Gesellschaft, jeder Wirtschaft muß es ein Anliegen sein, daß die Ausbildung solcher Eigenschaften nicht verlorengeht. Wir brauchen eigenständig denkende Menschen mit Initiative auf allen Ebenen wirtschaftlicher Tätigkeit.

Daher müssen wir die Frage nach den Bedingungen stellen, die zur Ausbildung dieser Eigenschaften führen. Auch diesbezüglich liefern die Untersuchungen McClellands wertvolle Hinweise.

Es ist naheliegend, daß die Familie bei der Prägung der menschlichen Persönlichkeit eine ganz entscheidende Rolle spielt. In der Beziehung zwischen Eltern und Kind werden die Werthaltungen und die Einstellungen der nachkommenden Generation grundgelegt. Welche Konstellationen begünstigen nun aber am ehesten die Entstehung von Leistungsmotivation?

Nun, Beherrschung durch einen allzu dominanten Vater ist eine Extremsituation, in der das Kind wenig Selbständigkeit und wenig Leistung entwickelt. Denn die Entscheidungen trifft der Vater, und vom Kind wird nicht erwartet, daß es sich eigene hohe Maßstäbe setzt.

Abgesehen von dieser negativen Bedingung sind zwei positive Merkmale von entscheidender Bedeutung: dem Kind muß schon früh ein Freiraum eigener Aufgabenerfüllung und Initiative eingeräumt werden: wenig Beschränkungen in der Erziehung, aber diese streng durchgehalten.

Die zweite Voraussetzung besteht darin, daß das Kind laufend eine positive emotionale Zuwendung von Seiten der Eltern, besonders aber der Mutter erfahrt. Leistungsmotivation entsteht also vor allem dort, wo ein Klima der Wärme in einer harmonischen Beziehung zwischen Mutter und Kind gegeben ist, dem Kind aber gleichzeitig ein Freiraum eingeräumt wird.

Und hier schließt sich der Kreis der Überlegungen. Es wird nämlich of fenbar, daß es im eigensten Interesse der Wirtschaft sein muß, daß intakte Familien erhalten bleiben und daß der Mensch sicht nur als Teil des gesellschaftlichen, organisierten Produktionsprozesses verstanden wird. Gerade in unserer Zeit der allzu star-

ken Ausrichtung auf außerhäusliche Aktivität, besonders auch der Frau, wird offenkundig, daß unsere Kinder Schaden nehmen. Insbesondere ihre psychische Entwicklung gibt immer häufiger Anlaß zur Sorge. '

Gerade aber die Wirtschaft ist darauf angewiesen, daß motivierte und psychisch gesunde Menschen bereit und imstande sind, die auf uns zukommenden Probleme zu lösen.

Nun bin ich zweifellos überfragt, wenn ich beurteilen sollte, was die Wirtschaft zum Jahr des Kindes beigetragen haben mag. Viel geschehen wäre aber zweifellos, wenn den Verantwortlichen in der Wirtschaft bewußt geworden wäre, welches eminente Interesse sie selbst langfristig an der Erhaltung funktionsfähiger Familien haben. Dabei denke ich vor allem auch an den immer lauter werdenden Ruf, daß die Industrieländer vor einem „managerial gap“, einem Defizit an Führungspersönlichkeit stehen. Sind wir hier nicht schon mit

Früchten der jahrzehntelangen Vernachlässigung der Familie konfrontiert?

So paradox es scheinen mag, am Ende des Jahres des Kindes sollte man der Wirtschaft ins Bewußtsein rufen, daß gerade sie Interesse daran hat, die Welt des Kindes, die Familie zu fördern.

Aber wie könnte das geschehen? Eine Reihe von Maßnahmen würden sich hier anbieten: Vor allem wären Anstrengungen dahingehend zu unternehmen, daß weibliche Berufstätigkeit und Kinderbetreuung nicht in Konflikt geraten. Hier böten sich zahlreiche Überlegungen an: Teilzeitbeschäftigung, Vergabe von Tätigkeiten in den häuslichen Bereich, größere Bereitschaft, ältere Frauen nach Beendigung ihrer Erziehungstätigkeit wieder in den Berufsprozeß zu integrieren.

Ganz allgemein aber gilt es, verstärkt die Einsicht zu wecken, daß das Interesse des Arbeitgebers am Wohlbefinden seiner Mitarbeiter nicht am Tor zum Arbeitsplatz zu erlöschen hat. Je mehr der Vorgesetzte ein wohlverstandenes Interesse auch für die privaten Sorgen und Anliegen seiner Mitarbeiter aufbringt, je mehr er auch ein offenes Ohr für seine familiären Nöte hat, um so eher wird er zu einem Klima beitragen können, in dem die Familien nicht mehr wie bisher im falschverstandenen Interesse des gesellschaftlichen Fortschritts ausgelaugt werden, sondern in dem die Familien Nährboden für eine zufriedenere, aber auch leistungsfähigere Generation der Zukunft werden.

DIE FURCHE Nr. 51/52 I 19. Dezember 1979

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung