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Sind Männer überflüssig ?

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Ist die Gleichschaltung von Mann und Frau unausweichlich? Weil es Begabungsunterschiede (siehe Kasten) gibt, ist es sinnvoll, unterschiedliche Leitbilder zu prägen.

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Ist die Gleichschaltung von Mann und Frau unausweichlich? Weil es Begabungsunterschiede (siehe Kasten) gibt, ist es sinnvoll, unterschiedliche Leitbilder zu prägen.

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Wir haben an einer Welt gebaut, in der gesellschaftlicher Fortschritt — also die allgemeine Zielrichtung unserer Bemühungen — gleichgesetzt werden kann mit der Verwirklichung dessen, was dem Mann besonders liegt.

Diese einseitige Ausrichtung hat dazu geführt, daß diejenigen Eigenschaften, für die der Mann besonders begabt ist, in unserem Selbstverständnis einen ganz besonderen Stellenwert einnehmen.

Das macht man sich am besten dadurch bewußt, daß man die Liste der männlichen Begabungen auf sich wirken läßt. Man erkennt dabei, daß man sie durchwegs mit positiven Bewertungen verbindet.

Sehr deutlich kommt diese Einstellung aber auch heraus, wenn man den Inhalt von Lehrbüchern, etwa von Lesebüchern für den Deutschunterricht, auf das Herausstellen von Leitbildern hin untersucht: Unter den Helden von Schulbuchgeschichten findet man sogar mehr Wesen unbestimmten Geschlechts (Tiere, Fabelwesen) als Frauen oder Mädchen. Jedenfalls dominieren mit 75 Prozent aller Geschichten die Männer und Knaben bei weitem.

Und dabei ist die Untersuchung, die dies herausfand, keineswegs aus längst vergangenen Zeiten, sondern bezieht sich auf Lesebücher der Unterstufe im Jahr 1977.

Daß es in unserer Gesellschaft eher erstrebenswert sein dürfte, ein Mann zu sein, zeigen auch Meinungsumfragen: 25 Prozent der befragten Frauen gaben an, sie wären lieber ein Mann. Hingegen hegte nur ein verschwindend geringer Anteil der Männer den umgekehrten Wunsch.

Die größere Wertschätzung der männlichen Rolle stellt jedoch nur die eine Seite der Medaille dar. Uber diesen Aspekt wird ohnedies oft genug debattiert.

Dafür möchte ich mich der anderen Seite dieses Umstandes zuwenden und folgenden Aspekt herausstellen: Weil wir in unserer gesellschaftlichen Entwicklung so ausdauernd nur das zu verwirklichen gesucht haben, was den männlichen Begabungen entsprach, haben wir heute eine Situation geschaffen, in der die männlichen Leistungen immer mehr überflüssig werden. Maschinen und Organisationen ersetzen die menschliche Leistung durch ihre weitaus größere Effizienz.

Den Anfang machte die Kraftmaschine zu Beginn der Industrialisierung vor 200 Jahren. Durch den Einsatz künstlicher Energie wurde der menschliche Krafteinsatz (eine Domäne des Mannes) zunehmend überflüssig. Das hat soweit geführt, daß in der heutigen Arbeitswelt bis auf wenige Bereiche Muskelkraft fast keine Rolle mehr spielt.

Die auf körperliche Leistung angelegten Männer müssen daher als Ausgleich für ihre körperliche Untätigkeit am Arbeitsplatz zu Hobbys, die sie zum Schwitzen bringen, Zuflucht nehmen — oder sie werden fett.

Ein zweiter Verdrängungsprozeß ist derzeit in vollem Gange: Die analytische und logische Denkfähigkeit des Menschen wird in atemberaubendem Tempo und mit unfaßbarer Wirksamkeit von Datenverarbeitungsmaschinen ersetzt.

Informationssysteme übernehmen die Organisation und Uber-wachung einer wachsenden Anzahl von Vorgängen in Industrie, Verwaltung und im Dienstleistungssektor. An die Stelle der Person tritt der Apparat.

Damit verliert der Mann wiederum Aufgaben in jenem Bereich, für den er besondere Begabung hat (nämlich im Bereich der gesellschaftlichen Institutionen), und wird neuerlich von wirksameren Apparaten verdrängt.

Auch jetzt bahnt sich schon die Ersatzhandlung für die verlorene Funktion an: Video- und andere elektronische Spiele werden die entstehende Lücke der Nutzlosigkeit durch geistige Scheinleistungen füllen - wahrscheinlich jedoch vergebens...

Der technische Fortschritt rationalisiert also die Männer aus der Arbeitswelt heraus. Sie verlieren somit ihre Bedeutsamkeit in der Gesellschaft, ohne daß sie es so recht merken.

In ähnlicher Weise werden die Männer bei Fortsetzung des bisherigen Kurses in den Familien überflüssig. Wenn die deutsche Soziologin Ilona Ostner bei einem Arbeitsseminar für Frauen feststellt: „Ich gehe davon aus, daß Männer in Zukunft die Frauen nicht kontinuierlich ernähren werden”, so ruft sie die Frauen gleichzeitig damit auf, sich wirtschaftlich unabhängig zu machen.

Steigende Scheidungszahlen und sinkende Bereitschaft zur Eheschließung dokumentieren, daß Frauen nicht mehr in der nur funktionalen Abhängigkeit eines „Patriarchen” leben wollen. Ich kenne ein Paar, das zwei Kinder hat. Dennoch will die Frau, um unabhängig zu bleiben, nicht heiraten. Der Vater der Kinder darf bis auf weiteres mitleben.

Auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen geraten die

Männer in eine Randposition. Auch hier wiederum, ohne daß sie es so recht merken. Lange Zeit hindurch täuscht sie eine Kette scheinbar gelungener sexueller Eroberungen über die menschliche Leere ihrer „Begegnungen” hinweg. Ein Erfolgsrezept auf Dauer wird dies jedoch sicher nicht sein können.

Denn am schwersten wiegt wohl die Sorge, daß die Männer durch ihre allzu einseitige Ausrichtung auf Effizienz, Lust, Machtausübung und Funktionalität das eigentliche Ziel menschlichen Lebens, das Personwerden, verfehlen. Sie verfehlen es dadurch, daß sie Intuition, Phantasie, Spontaneität, Gefühle, Hingabefähigkeit, usw... verkümmern lassen.

Damit tun sie sich aber zunehmend schwer, liebesfähig zu werden. Wer aber nicht liebt, verfehlt das Ziel seiner personalen Entwicklung, wer seine Liebesfähigkeit absterben läßt, geht an Gott vorbei.

Der väterliche Mensch

Nun, welche Folgen ergeben sich daraus für das Leitbild des Mannes? Zunächst einmal bedeutet es die Abkehr von der einseitigen Uberbetonung der gesellschaftlich so hoch bewerteten Eigenschaften wie Effizienz, Umweltgestaltung, Funktionalität, Rationalität, usw... Dabei soll man sicher nicht übertreiben und diese Eigenschaften in Bausch und Bogen verdammen.

Es bleibt dabei, daß diese männlichen Sonderbegabungen für menschliche Entfaltung und gesellschaftliche Leistung wichtig sind. Aber sie sind — und das kann gar nicht entschieden genug hervorgehoben werden — nicht alles!

Das männliche Leitbild muß weitaus klarer als bisher auf einer Polarität aufbauen. Vor allem muß die Hinwendung zum Mitmenschen, also die personale Dimension, aufgewertet werden. Es ist doch eigentlich ohnedies sonnenklar: Auch Männer können ohne Zuwendung nicht glücklich werden. Sie leben heute allerdings vielfach so, als könnten sie dieses Kunststück zuwege bringen.

Recht deutlich wird diese Illusion, wenn man das Leitbild des — erfolgreichen Managers in der Wirtschaft näher unter die Lupe nimmt. In Kreisen des Topmanagements sieht man - einer Erhebung zufolge - die Eigenschaften der Erfolgreichen folgendermaßen: Sie sind entschieden, aggressiv, initiativ, produktiv, informativ, energisch... Und am seltensten trifft man—laut Befragung -die folgenden Merkmale an: liebenswürdig, zurückhaltend, freundlich, fröhlich, höflich, bescheiden. ..

Ist das nicht bezeichnend? Hier ist es höchste Zeit, daß sich etwas ändert!

Erst dann, wenn Männer diese Dimensionen in ihrem Leben wieder stärker zum Zuge kommen lassen, wenn sie sich tief im Inneren bewußt werden, daß all ihr Tun in letzter Konsequenz nur Sinn hat, wenn es anderen zugute kommt, werden ihre besonderen Begabungen in der rechten Weise zur Geltung kommen.

Die mögliche Kurzformel für ein solches zukunftsträchtiges Leitbild ist der väterliche Mensch.

Aus dem Ende März erscheinenden Buch: EINS PLUS EINS IST EINS. Leitbilder für Mann und Frau. Von Christof Gaspari, Herold Verlag, Wien, 1985, 260 Seiten, öS 268,-.

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