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Die Überforderung der modernen Frau

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In, einem interessanten Essay „Frauenfragen — nicht Frauenfrage“ („Wort und Wahrheit“, X/52), stellt die Berliner Schriftstellerin Clara M e n c k fest, daß die in Haus und Beruf tätigen Frauen von heute überfordert seien. Sie rechnet vor, daß es in Deutschland unter 14,5 Millionen Arbeitnehmern 4,5 Millionen Frauen gebe, so daß jeder dritte Werktätige eine Frau ist. 75 Prozent der erwerbstätigen Mütter, seien die alleinigen Erhalter ihrer Kinder.

Auch für Oesterreich gilt ein ähnliches Zahlenverhältnis. Von 3,688.700 Frauen sind 1,268.000 Frauen nach dem Stichtag vom 31, Mai 1952 erwerbstätig, das ist mehr als die Hälfte der weiblichen Personen über- 14 Jahre. 58 Prozent dieser Frauen sind auf eigene Berufstätigkeit angewiesen. Dazu kommt, daß die große Mehrzahl aller dieser Frauen — ob verheiratet oder nicht -— finanziell und seelisch für jemanden mitzusorgen und ein größeres oder kleineres Heim zu betreuen hat.

Die Ueberforderfing der Frau ist nach

Clara Menck zunächst eine arbeitsmäßige; lange Arbeitszeiten, starke Arbeitsintensität im Beruf belasten sie ebenso wie die mannigfaltigen Arbeiten im Hause, bei denen ihr hierzulande die Industrie noch viel zuwenig in “die Hände arbeitet. Die Berliner Schriftstellerin stellt aber auch eine seelische Ueber-forderung fest, die aus der starken inneren Anteilnahme ändert beruflichen Arbeiten und aus der „Seeknhypothek“ zu erklären ist, die die Frau infolge der Bindung an die Familie — Kinder, Gatten, Eltern, Geschwister — in den Beruf mit hineinnimmt.

Daß die Frau durch eine zweiseitige Tätigkeit überfordert Werden kann, ist eine alte Wahrheit. Immerhin gab es zu allen Zeiten Frauen, die einer Doppelbelastung gewachsen waren. In jeder Familie lebt das Gedenken an Mütter, Großmütter, Ahnen, die, des Familienerhalters schicksalhaft beraubt, zwischen einem Lebenserwerb und einer vielköpfigen Familie ein so großartiges Leben aufbauten, daß noch Generationen von dem hinreißenden Beispiel ihrer tiefen und starken Persönlichkeit zehrten, Auch die Avantgarde und die ersten Reihen der berufstätigen Frauen wußten zwei Lasten würdig zu tragen und verstanden, was die jüngere Frauengeneration, wie auch Clara Menck feststellt, nicht einmal mehr in den weiblichen Berufen anstrebt: „die Durchdringung- des, Berufslebens mit hohen personalen Werten“.

In der Tat bedarf die Frau besonderer geistiger und seelischer. Eigenschaften, wenn sie ihre zweifache Tätigkeit, Familienpflege und Berufsarbeit, sich selbst zu Ehren und den anderen zum Heile erfüllen will. Damit wird aber auch für die moderne Frau schon von Kindheit an eine ernste Ausbildung in zweifacher Richtung notwendig, unterstützt von einer ständig geübten Anpassung, Umstellung, raschen Konzentration, von einem immer wieder aufgerufenen Wachsein für das, was der Tag, was die Stunde fordert, von einer strengen Gewöhnung an genaue Zeiteinteilung, Ordnung, Organisation der Arbeit, auf dem Grunde einer gewissen Intelligenz und einer sehr großen Arbeitsfreude.

Obwohl das Mädchen von heute und eben so Elternhaus und Schule annehmen, daß auch die Frau der Zukunft der harten doppelseitigen Beanspruchung nicht entgehen wird, ist die Mädchenerziehung in breitesten Kreisen merkwürdig unernst, und die Mädchenbildung hält noch immer bei jenem einseitigen Standpunkt, der vor vierzig Jahren aufkam, als es darum ging, die ersten Mädchen zur höheren Bildung zuzulassen. Noch immer ist, wie damals, die Mädchenbildung der Bildung der männlichen Jugend weitgehend angeglichen. Sie ist reine Allgemeinbildung oder Berufsbildung in männlicher Ausrichtung. Das beweist die Tatsache, daß die Mädchenhaupt- und -mittelschulen, daß Lehrerinnenbildungsanstalten dieselben Lehrpläne und Lehrbücher haben wie die rr'^rjKehen Anstalten gleicher Richtung. Nur mühsam setzt sich als einziges Zugeständnis an die frauliche Bildung ein nicht verpflichtender, spärlicher und nicht immer lebensnaher Unterricht in den hauswirtschaftlichen Fächern durch, doch im Elternhaus wird der studierenden oder arbeitenden Tochter sorgsam jede häusliche Tätigkeit erspart. Aber auch der Berufsausbildung des Mädchens wird lange nicht so, viel Aufmerksamkeit geschenkt wie der des Burschen. Clara Menck berichtet, daß in Deutschland nur ein Zwölftel der Mädchen gegenüber einem Fünftel der Jungen eine Berufsausbildung erhält, in Oesterreich steht es bestimmt nicht besser, die Zahl der Lehrstellen für Mädchen ist erschütternd gering gegenüber der Anforderung, und auch das staatliche Schulwesen tut für die Berufsbildung der Burschen bedeutend mehr als für die der weiblichen Jugend.

So ist dem Mädchen kein Uebungsfeld gegeben für seine zukünftige doppelseitige Beanspruchung, und es ist nicht einzusehen, wo es jene zweifache Geläufigkeit erwerben soll, die das Leben von ihm verlangen wird und die einer arbeitsmäßigen Ueberforderung vorbeugen würde. \

Und doch ergäben alle die aufg»zählten Eigenschaften erst den weiblichen Roboter, den doppelseitig verwendbaren, gut funktionierenden, der korrekt, sachlich, druckknopf-mäßig umstellbar, tadellose Leistungen bietet. Immer aber wurde und wird von der Frau etwas darüber hinaus erwartet, zumindest im Bereiche der Familie uad der per„J.iiL«.-u Beruie: daß sie mit ihren fraulichen Dispositionen, mit ihrer Veranlagung zum Einfühlen und Mitfühlen ihre arbeitsmäßigen Leistungen durchwärme und beseele.

Darum ist es verwunderlich, wenn Clara Menck — um eine seelische Ueberforderung auszuschließen — es ablehnt, zu den Mädchen von einer „Berufung zur Arbeit“ zu sprechen, und daß sie vielmehr empfiehlt, sie zu „einer distanzierten und überlegenen Haltung zur Arbeit“ zu bringen und sie zu lehren, „keine Seelenhypothek“ in die Berufsarbeit mitzunehmen. So sehr es richtig ist, daß die arbeitende Frau immer wieder Zeit haben muß, um zu ihrem tiefsten Ich zu finden, so sehr notwendig ist, daß sie sich selbst die Uebernahme abseits liegender Nebenbeschäftigungen verbietet, sowenig kann die Empfehlung einer distanzierten und überlegenen Haltung zur Arbeit gebilligt werden. Welch eine Zeitkarikatur: die distanzierte Krankenpflegerin oder Aerztin, die distanzierte Lehrerin oder Fürsorgerin, die distanzierte Verkäuferin oder Hausgehilfin! Arme Alte, arme Kranke, arme Kinder, arme Menschen! Mit einer solchen Einstellung macht sich die Frau überflüssig, gibt sie sich verloren. Denn was an ihrer beruflichen und familiären Arbeit einmalig und unersetzlich ist, das ist ja jenes herzenswarme Sichdarangeben, jenes distanzlose An-den-Menschen-Herankommen, in dem jeder sich und sein Anliegen geborgen weiß. Gerade Frauen von solcher Art fühlen sich auch niemals überfordert, weder in arbeitsmäßiger noch in seelischer Beziehung. Denn Liebe kann nicht überfordert werden. Nicht einmal schwere Sorgen um geliebte Menschen sind ihnen drückende, überfordernde Hypothek, sondern gottgesetzte Lebensaufgabe und innig ans Herz genommener Lebenssinn, der auch die berufliche Arbeit überstrahlt.

Bei dem Kongreß für kulturelle Freiheit, der im Mai 1952 in Paris stattfand, definierte der bedeutende französische Romancier

Andre M a 1 r a u x den Begriff Kultur so: „Die Kultur ist die Gesamtheit aller Kunstformen, aller Liebe und aller Gedanken, die im Laufe der Jahrtausende dem Menschen ermöglicht haben, in geringerem Maße Sklave zu sein.“ („Der Monat“, Juli 1952). Erbarmende Liebe war und ist der größte Kulturbeitrag der Frau — und er ist der notwendigste, ohne den weder Gedanken noch Kunstformen möglich wären. Es ist der Beitrag, den die Frau gerade heute und in der Zukunft wieder zu leisten hat, soll die Menschheit nicht in Sklaverei versinken.

Es ist wohl wahr, daß bei der auch von Clara Menck gerügten „Verflachung und Ver-äußerlichung der jüngeren Frauengeneration“ das Heranholen der Mädchen zu distanzlosem, hingebendem Einsatz heute schwerer ist denn je. Dies zeigt der Mangel an Krankenpflegerinnen, an Hausgehilfinnen in aller Welt erschreckend deutlich auf. Materialismus und Vergnügungssucht lassen eine wahrhaft verlorene Generation nur um persönliche Vorteile und Annehmlichkeiten im Beruf fragen.

In einer neuen, der Doppelaufgabe der Frau zugewandten Mädchenbildung aber müßte es nicht nur die Verbindung und stete Uebung von geistiger und hauswirtscWft-licher Tätigkeit geben, sondern in allem Lernen, Ueben, Wissen und Können einen betont gepflegten, starken Bezug auf das letzte Ziel aller wahrhaften Frauenbildung: auf die frohe Bereitschaft zum distanzlosen, sich selbst darangebenden Dienst am Menschen. Man hört aus dem Jugendrotkreuz, man hört aus den Jugendverbänden und aus einzelnen Schulen, daß die heranwachsenden Mädchen wieder mehr für soziale Arbeit und karitative Opfer zu haben wären. Vielleicht ist doch die Frau der Zukunft abzubringen von dem Weg ins Leere. Freilich, selbstlose Liebe wagt dauernd nur, wer sich in ewiger Liebe geborgen weiß. Und da hätte sie zu wurzeln, die Mädchenerziehung der Zukunft.

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