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Digital In Arbeit

Probleme der höheren Mädchen-bildung in Österreich.

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Der Artikel „Der Hände Arbeit“ von -Frau Dr. Anna Harmar in der vorletzten Folge unseres Blattes wies mit berufener Feder auf die durch Wirtschaftsbedarf' und Zukunftssicherung dar weiblichen Jugend ins Blickfeld tretenden Frauenberufsschulen höherer Art hin.

Aus anderer Schau unterstreicht der nachstehende Artikel die rein fraulidie Ausrichtung der allgemeinen Mädchenmittelschüle in Lahrplan und Führungsziel in der Form von Mädchenoberschulen. Es stehen sich hier zweit Typenpläne gegenüber. Im Zusammenhang mit dem vorausgegangenen Aufsatz mögen ' die nachstehenden Ausführungen einer unparteiischen Orientierung dienen.

„Die Furche“

Der Neuaufbau der Mittelschule, vor dem wir in Österreich stehen, wird sich naturgemäß auch in einer Umbildung der Mädchenmittelschule auswirken, die mit Recht den Anspruch erhebt, die wichtigste Einrichtung zur Vermittlung höherer Bildung für Mädchen zu sein. Für eine Neugestaltung dieser Schule müssen wir uns ihr Bildungsziel ins Bewußtsein rufen. Als Mittelschule hat sie eine höhere Allgemeinbildung zu vermitteln und zugleich die Hochschulreife zu gewährleisten, als Mädchenschule hat sie dabei auch auf die besondere Wesensart des Mädchens Rücksicht zu nehmen. Aus der Mädchenmittelschule wird die gebildete Schichte der künftigen Frauengeneration hervorgehen, die in ihr vermittelte Bildung und Formung des jungen Mädchens wird daher das geistige und kulturelle Niveau der ganzen kommenden Generationen soweit bestimmen, als die Einflußsphäre der Frauenpersönlichkeit in das Geistes- und Kulturleben des Volkes reicht.

Ziel und Umfang einer gründlichen , Mädchenbildung kann nur bestimmt werden aus der Klarheit über die Stellung und Sendung der Frau in den ihr zugehörigen Lebenskreisen, als Kind Gottes in der religiösen Gemeinschaft, als Mensch und Glied der menschlichen Gemeinschaft, als Frau und Mutter in der Familie und als berufstätige Frau mit besonderen Aufgaben für Volk und Staat. Als Christin ist die Frau ebenso wie der Mann aufgerufen zu innerer Vollendung, zum Wachstum in der Erkenntnis Gottes, ebenso voll verantwortlich für die empfangenen Talente und deren Auswirkung.' Die Verpflichtung nicht nur zur Bildung des Charakters, sondern auch zu erhöhter Geistigkeit ergibt sich also auch aus dem religiösen Bildungsmotiv. Die rein menschlichen, für Mann und Frau in gleicher Weise bestehenden Aufgaben verlangen die Ausbildung zur harmonisch geschlossenen Person Ii chkeit. Dazu gehört eine gründliche Bildung des Verstandes ebenso wie eine richtige Willensschulung. *

Der besondere Charakter der Mädchenbildung wird bestimmt durch die Aufgaben, welche die F r a u, sei es als Familienmutter, sei es als selbständige Frau, zu erfüllen hat. Da bei ihr stärker als beim Mann das persönlich^ Moment in der Arbeit zur Wirksamkeit kommt, braucht sie auch eine stärkere pädagogische und psychologische Schulung als der I\Äann und selbstverständlich eine hauswirtschaftliche und eine praktisch-pflegerische Durchbildung. Bei alldem darf natürlich die wissenschaftliche Bildung und die geistige Schulung nicht oberflächlich behandelt werden. Hier ist das gleiche Niveau wie in der Knabenbildung unbedingt zu halten.

Die österreichische Mädchenmittelschule verfügt nicht über die jahrhundertalte Erfahrung und Tradition der Knabenmittelschule. Ihre Geschichte umfaßt einen Zeitraum von etwa 60 Jahren. Sie spiegelt in diesen Jahrzehnten getreulich die geistigen Strömungen wieder und zeigt die Beeinflussung durch die wirtsdiaftlidien Lebensbedingungen. Die österreichische Mädchenmittelschule verdankt ihre Gründung der liberalen Frauenbewegung, die sich mit aller Kraft sosehr für sie einsetzte, daß andere Fragen von ihr in den Hintergrund geschoben wurden und Frauenbewegung lange Zeit hindurch gleichbedeutend war mit Kampf tfm die höhere Mädchenbildung. Ein humanistisches Mädchengymnasium wurde 1891 in Wien gegründet. Die früher einsetzenden Versuche, ein Mädchenrealgymnasium ins Leben ^u rufen, schlugen fehl und es entstanden zunächst, und zwar schon vor 4890, sechsklassige Lyzeen, die* dem Unterricht in den modernen Fremdsprachen einen bevorzugten Platz auf Kosten der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer einräumten. Die in diesen Schulen vermittelte Bildung war in keiner Weise der einer achtklassigen Mittelschule ebenbürtig, der ganze Aufbau erinnerte stark an die höhere Töchterschule. Das Reifezeugnis des Lyzeums bereditigte nur zur Inskription als außerordentliche Hörerin auf der philosophischen Fakultät und in weiterer Folge zur Ablegung einer Lehramtsprüfung für diese Schulform.

Nach der Schaffung des Realgymnasiums und des Reformrealgymnasiums durch die Marchetsche Sdiulreform des Jahres 1908 wurden diese Typen die Mädchenmjttel-schulen schlechthin. Zur Illustration einige Zahlen: Auf dem Boden des heutigen Österreichs gab es 1900 ein . humanistisches Mädchengynasium und 6 Lyzeen, 1910 ein humanistisches Mädchengymnasium und 20 Lyzeen sowie die Anfänge von zwei Realgymnasien. 1920 zählt die junge Republik ein Mädchengymnasium, 13 Mädchenrealgymnasien und 14 Lyzeen, deren letztes

1926 aufhört. Vor der Okkupation durch Hitlerdeutsdiland gab es in Österreich ein Mädchengymnasiüm, 37 Mädchenrealgymnasien, 11 Frauenoberschulen und außerdem Mädchenklassen an vielen Knabenmittelschulen. 1945 weist unser Vaterland 37 Mäd-dienmittelsdiulen auf, also um zwölf w e n i g e r als 1937. Darunter sind 6 Frauenoberschulen, die anderen sind Realgymnasien.

Hier muß ausdrücklich festgehalten werden, daß das Realgymnasium für Knaben geschaffen wurde und in keiner Weise auf die Bedürfnisse der Mädchenbildung Rücksicht nahm. Weil es jedoch die modernen Fremdsprachen besonders pflegt, entspricht es der Begabungsrichtung der Mädchen. Diese Mädchenrealgymnasien sind also nur deswegen Mädchenmittelschulen, weil sie von Mädchen besucht werden, der Lehrkörper überwiegend aus Frauen besteht und die Leitung vielfach in den Händen einer Frau liegt. Man hatte die Lehrpläne der Knabenschulen übernommen ohne Kritik, ohne Prüfung ihrer Bildungsund Kulturwerte, weil eben mit diesen schon fertigen Schulformen die gewünschten Berechtigungen bereits verbunden waren. Als es darum ging, der Frau die Mittel- und • Hodischulen zu öffnen, kam es vor allem auf die Feststellung der völlig gleichen Ausbildung an, nicht auf eine gleichwertige Ausbildung, die auch die feineren Werte echten Frauentums für den Aufbau der Bildung verwertete.

Erst die Frauenoberschule geht auf diese großen und wertvollen Kräfte zurück und gliedert sie erfolgreich in ihren Aufbau ein. Sie wurde als privater Versuch 1920 zunächst an drei Wiener Mädchenmittelschulen gegründet und erhielt 1921 einen vorläufigen Lehrplan. Ihre Grundidee ist es, eine vollwertige Mittelschule zu sein, ebenbürtig dem Gymnasium ur.d dem Realgymnasium, ohne die Formen dieser Schule zu kopieren. Sie begnügt si,ch nicht damit, besondere Frauenfächer den Fächern des Realgymnasiums hinzuzufügen, sondern baut diese Fächer in den Plan der höheren Schule ein, in der Überzeugung, daß sie in geeigneter

Auswahl und bei ' geeigneter Behandlung ebenso einen höheren Bildungswert haben, wie die traditionellen Fächer der anderen Typen.

Pas Mittelschulgesetz vom lahre 1927 gleicht in seinen Lehrplänen die Frauen-, Oberschule stärker an die anderen ^Mittelschulen an, und im Sommer 1928 wurde, ihren Absolventinnen nach Ablegung einer^ Ergänzungsprüfung . aus Latein die Hochschulreife zuerkannt. In Zielsetzung und Aufbau muß die Frauenoberschule als die moderri'ste, Mädchenmittelschule angesprochen werden. Eine Konzentration der Unterrichtsfächer, so heiß erstrebt von allen Schulen, ist hier in einzigartiger Weise durch die Bezogenheit aller Arbeit auf das Bildungsziel „die Frau“ gegeben. Als Vorschule für alle sozialen Berufe kommt ihr zusammen mit einer späteren praktischen Berufsausbildung große Bedeutung zu. Bei entsprechender Führung wird sie diejenige Mädchenmittelschule sein, die schon im Unterricht das Interesse der weiblichen Jugend auf soziale und erzieherische Berufe zu lenken imstande ist. Wenn Staat, Gemeinde und private Fürsorge endlich darangehen werden, die Frau stärker als bisher ins soziale Leben als Mitarbeiterin einzuschalten, dann wird der Zustrom der Abiturientinnen zur Hochschule abnehmen und die jungen Maturantinnen werden sich soldien Berufen zuwenden, auch wenn nach der Reifeprüfung nodi eine praktische Ausbildung^ zusätzlich verlangt wird. So wird also pie Frauenoberschule von vornherein für eine richtige Berufswahl vorbereiten können.

Das Problem der Frauenoberschule liegt also nicht in einer durchgreifenden'Ander rung ihrer Lehrpläne, die natürlich auch den Forderungen der Zeit angepaßt werden müssen, so etwa in Psychologie, Pädagogik,. Physik, Chemie, Volkskunde, sondern vor allem darin, daß Leitung und Lehrkörper bewußt die besonderen Aufgaben dieser Type herausarbeiten, ohne die Gleichwertigkeit der Gesamtleistung mit der der anderen Mittelschultypen zu vernachlässigen. Sie verlangt daher einen Lehrkörper, der ganz besonders für die Fragen weiblicher Bildung aufgeschlossen ist und die Schaffung eines geeigneten Lehrapparates.

Auch das Realgymnasium für Mädchen wird sich den Forderungen moderner Psychologie undPädagogik nicht verschließen können. Nicht, daß es in seinem äußeren Aufbau der besonderen Be-gabungsnehtung der Mädchen Rechnung trägt und darum das Studium der modernen Sprachen in den Vordergrund stellt, ist entscheidend, sondern von der Stoffauswahl, der Behandlung einzelner Stoffgebiete wird es abhängen, wie weit diese Schule eine wirkliche Mädchenschule wird. Auch das Mäddienrealgymnasium muß die Möglichkeit bieten, hauswirtschaftliche Fächer zu erlernen, auch hier müssen Nadelarbeit und Nähen, müssen die künstlerischen Fächer einen Platz finden. Mit Rücksicht auf die spätere Wirksamkeit der Frau nicht nur in der Familie, sondern auch in erzieherischen, sozialen und pflegerischen Berufen, die noch viel mehr der Frau zu erschließen sind, muß eine stärkere Beschäftigung mit Pädagogik und Psychologie auch im Mädchenrealgymnasium gefordert werden. Es ist ohne weiteres denkbar, daß dr Unterricht in diesen Fächern an Mäddien cn bereits in einer früheren Klasse, beginnt. In der Stoffauswahl, Stoffdarbietung u^nd Stoffverteilung muß auf die Mädchen Rücksicht genommen werden, Der verschiedene Entwicklungsrhythmus der Ge schlechter wird heute nicht berücksichtigt. Die durch die Pubertät hervorgerufenen Zeiten verminderter Leistungs- und Aufnahmefähigkeit und die Zeiten erhöhter Arbeitsfähigkeit sind bei beiden Geschlechtlern nicht im gierchen Lebensalter gegeben. Ein psychologisch fundierter Lehrplan kann auf diese Verschiedenheit eingehen.

Von einer solcher Mädchenmitteltehul-reform muß man erwarten, daß. die ge bildete Schichte der kommenden weiblichen Generation sich ihrer Aufgaben als Frau be wüßt wird und im Geiste sozialer Hilfs bereitschaft und aufgeschlossen für die Pro bleme ihrer Zeit an die Arbeit schreitet Die Mädchenmittelschule erhebt durchaus nicht den Anspruch, daß ]ede gebildete Frau durch ihre Klassen gegangen sein muß, aber sie kann dann mit Recht erwarten, daß jede ihrer Absolventinnen als gebildete Frau im besten 'Sinne des Wortes gelten darf.

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