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Vorschläge zur Erneuerung der Mittelschulen

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Das Wort Schulreform erweckt zwiespältige Gefühle; denn die Schule ist für alle Familien so wichtig, daß es begreiflich ist, wenn jede Verbesserung willkommen geheißen wird, zugleich aber die Sorge erwacht, daß der Kampf um die Reform Unruhe in die Schule tragen und daß die Beweggründe dieses Kampfes mehr parteipolitischen Interessen als echter Schulsorge entspringen könnten. Die Eltern der österreichischen Mittelschüler von heute erinnern sich nur zu gut an die Experimente und Versuche, Parteidoktrinen in der Schule zur Geltung zu bringen, die in der ersten Republik auf den leidenschaftlichen Widerstand der Volksmehrheit gestoßen sind. An diesem Gegensatz sowohl wie an der sachlichen Ablehnung durch die pädagogischen f achkreise ist die sogenannte Glöckel-Re-form gescheitert. Diese Erinnerung mag die ! lauptursache sein daß heute nicht selten eine Haltung mißtrauischen Unbehagens gegenüber der Frage zu beobachten ist, ob und wie unsere Mittelschule abgeändert werden soll. Und doch dürfen wir nicht übersehen, daß die Verhältnisse, unter denen die zweite Republik den seelischen und den wirtschaftlichen Wiederaufbau durchzuführen hat, sehr ernste Wünsche an die Schule geltend machen.

Die Schule hat einen maßgebenden Beitrag zu leisten, damit die aus ihr ins Leben schreitende Jugend menschlich und wirtschaftlich vollwertig ist, also muß die Schule selber lebensnahe sein und zu Sparsamkeit und Charakterstärke erziehen. Einer der wichtigsten Wege zu Lebensnähe und Sparsamkeit ist eine tüchtige fachliche Ausbildung, wenn sie mit einer guten Allgemeinbildung Hand in Hand geht. Ein charaktervoller Mensch wird seine Pflichten immer gut zu erfüllen bemüht sein. Ist es notwendig, die Bedeutung dieser Prinzipien für unsere Zukunft zu beweisen? Gewiß nicht. Nur eine Bemerkung sei hinzugefügt: die Schule wird, namentlich in den Städten, künftig vielmehr als bisher die Aufmerksamkeit der älteren Schüler mit pädagogischer Klugheit auf die Berufswahl zu lenken haben. Lenken, das heißt den inneren Wert und die wirtschaftlichen Aussichten der einzelnen Berufe beleuchten, damit die jungen Leute ihre Neigungen und Begabungen ins richtige Verhältnis zur harten Wirklichkeit bringen, nicht kostbare Jahre am falschen Platze verlieren und sich eines Tages, verdrossen und unlustig, in einer zwangsläufigen Sackgasse sehen. Eine obligatorische Berufszuweisung, wie sie gelegentlich allen Ernstes verlangt wird, müßte als Einschränkung der persönlichen Freiheit entschiedenst abgelehnt werden. Lebensnähe soll beileibe nicht Verzicht auf den der Jugend und dem Alter unentbehrlichen Idealismus sein, sondern ihn real begründen. Eine bloße Diesseitshaltung oder ein vergrämtes Rückwärtsstarren in versunkene Zeiten wären Irrwege. Nur aus dem festen lind klaren Glauben an den göttlichen Schöpfer, aus dem Bewußtsein' unserer Verantwortung vor ihm, erwächst der Starkmut, den die Jugend braucht, die berufen ist, über alles Leid hinweg eine neue geistige und materielle Welt aufbauen zu helfen, in der die irdischen Dinge ihre gerechte Würdigung und ihren richtigen Platz zugewiesen erhalten. Nicht hoffnungsloses Klagen, nicht ablehnendes Murren, sondern Arbeitswille und echtes Gemeinschaftsgefühl werden den sittlichen, geistigen und dinglichen Schutt wegräumen, der auf dem Wege unseres Volkes liegt.

Österreich kann sich den gefährlichen Luxus eines geistigen Proletariats nicht leisten, die Zeugnisse unserer Mittel- und Hochschulen müssen wieder glaubhafte Beweisdokumente des Wiesens und der Fähigkeiten werden, die sie angeben. Heute ist es leider nicht immer so. Dazu genügt es nicht, die Zah! der zum Studium Zugelassenen zu regulieren, sondern das Studium selbst bedarf einer Neuregelung, welche erlaubt, die Begabungen rechtzeitig in ihre Bahnen zu lenken, unrichtige Bildungswege zu vermeiden und die dringend gebotene strengere Auslese durchzuführen. Welche Vorschläge ergeben sich nun, wenn man vom Standpunkte des Praktikers ausgeht, der an einer gewerblich-technischen Schule seine Erfahrungen und Beobachtungen gesammelt hat?

Die Realschulen sind aufzulassen, da an ihre Stelle allmählich das technisch-gewerbliche Mittelschulwesen getreten ist. Einst zur Heranbildung für die höheren Posten in Industrie und Gewerbe sowie für den Nachwuchs der technischen Hochschulen geschaffen, litt die Realschule, seit sie zur Vollmittelschule ausgebildet worden war, unter dem Zwange zur Matura und der Unmöglichkeit, vor und bei der Matura die Begabungen Berufen zuzuführen. Wir dürfen nicht jeden jungen Menschen, der an einer Mittelschule versagt, für unbegabt halten. In Wirklichkeit gibt es nur wenige unbegabte Menschen, wohl aber sind die Begabungen sehr verschiedenartig. Auf diesen Umstand hat man bisher zu wenig Rücksicht genommen. Die technischgewerblichen Lehranstalten sollen daher eine Ausgestaltung erfahren, die jedem wichtigen Gewerbe seine Fachschule gibt. Vergessen wir nicht: Auf Jahre hinaus werden unsere meisten Gewerbe unter so schwierigen Bedingungen zu arbeiten haben, daß sie eine moderne Lehrlingsausbildung nur höchst unvollkommen zu leisten vermögen. Der hochqualifizierte Nachwuchs dieser Wirtschaftswege kann also nur in Fachschulen mit modern eingerichteten Lehrwerkstätten herangezogen werden.

Die Verwirklichung eines Teiles dieser Erneuerung hat bereits im heurigen Schuljahr begonnen. Die nahe Zukunft soll die allgemeine Verbreiterung des Lehrplanes bringen. Der Absolvent der Hauptschule oder einer Untermittelschule wird eine Fachschule vorfinden, die entweder drei-oder fünfklassig sein soll Die dreiklassige Fachschule dient der Ausbildung tüchtiger Gehilfen, die fünfklassige berufsbildende Mittelschule der Ausbildung praktischer Lehrkräfte für die Fachschulen, der Vorbereitung auf den höheren technischen und gewerblichen Dienst und schließlich für die fachlich zuständige Hochschule. Diese Skizze läßt schon den Ausleseprozeß erkennen. Die praktisch-handwerkliche Begabung ist in der Gesellenprüfung zu bewähren, sie läßt, verbunden mit pädagogischer Anlage, Fachschullehrer oder mit Befähigung zur Menschenführung (Werkingenieure) den Bildungsgang in der berufsbildenden Mittelschule abschließen, und nur die Erweisung der nicht allzu häufigen Verbindung dieser praktischen Begabung mit der Fähigkeit zu höherer geistiger Arbeit soll den Weg in die Hochschule freigeben. Diese Entscheidung ist im Reifezeugnis klar auszusprechen.

Der für die technisch-gewerblichen Anstalten anerkannte'Leitgedanke könnte auch auf das kommerzielle Schulwesen Anwendung finden: dreijährige Handelsschulen für den einfachen kaufmännischen oder Bürodienst, fünfjährige Fachschulen (Handelsakademien) für den mittleren kaufmännischen Wirtschaftsdienst mit strenger Auslese für die Fachhochschule. Komplizierter sind die Verhältnisse bei den landwirtschaftlichen Schulen, bei den Frauenberufsschulen und beim künstlerischen Unterricht.

Bisher sprach ich bloß von Fachschulen, die auf die unterschiedlichen wirtschaftlichen Berufe vorbereiten. Heute liefern aber Mittelschulen und Hochschulen alljährlich Tausende von Absolventen, die den öffentlichen Dienst als ihr Ziel betrachten. Wie “soll es in dieser Hinsicht künftig aussehen? Auf den Beruf als Volksund Hauptschullehrer bereitete bisher mit Erfolg und Anerkennung die Lehrerbildungsanstalt vor. Sie ist eine fünfklassige Anstalt und ihr Lehrplan seit 1927 vielfältig ausgestaltet. Der künftige Hauptschullehrer bereitet sich in Kursen auf seine Fachprüfungen vor. Im Grundsätzlichen wäre hier kaum viel zu ändern, organisatorische Verbesserungen dürften keinen großen Schwierigkeiten begegnen. Hingegen machen die Verhältnisse beim öffentlichen Verwaltungsdienst nachdenklich. Hier findet man — abgesehen von Amtsdienern und Kanzleibeamten — dank einer wenig erfreulichen Entwicklung fast nur mehr Maturanten und Akademiker. Es wird sich empfehlen, diese überspannten „Berechtigungen“ auf ein vernünftiges Maß umzustellen. In den großen Ministerien der Doppelmonarchie konnte der absolvierte Volksschüler, wenn er tüchtig war, als Hilfsämterdirektor einen ganzen Stab von Beamten leiten. Warum sollte es heute unmöglich sein, teilweise in den oben skizzierten Stadien des kaufmännischen Schulwesens, teilweise in der Mittelschule die für viele Zweige des öffentlichen Dienstes erforderlichen Kräfte zu gewinnen? Muß man denn für Tätigkeiten, die keine wissenschaftliche Bildung voraussetzen, ein so hohes Maß der formalen Bildung verlangen? Auch hier ist das Prinzip der Sparsamkeit anzuwenden, der Sparsamkeit mit kostbaren Lebensjahren.

Die humanistischen Anstalten sind und bleiben unentbehrlich für die Erhaltung und Pflege, des hohen Bildungsniveaus, dessen sich Österreich bis zur nazistischen Ära erfreute, und insbesondere für die Vorbereitung der zum Universitätsstudium begabungsmäßig Berufe/ien. Jurist, Mittelschullehrer, Arzt, Naturforscher, Philologe, Mathematiker, Philosoph und Theologe brauchen die Denkschale und das gründliche Vorwissen, das unser gutes Gymnasium ihnen mitgab. Der Wunsch, auch ihm eine größere Lebensnähe zu geben, läßt sich erfüllen, wenn ein neuntes Jahr angeschlossen wird. Das Realgymnasium aber könnte — bei gleichfalls neunjähriger Dauer — neue Fächer einbauen, die es zur Vorbereitungsschule für den mittleren Verwaltungsdienst machen würden.

Der Unzahl von Schwierigkeiten und Einwendungen, denen diese Ideenskizzen begegnen werden, bin ich mir bewußt dennoch habe ich sie der Öffentlichkeit vorgelegt, hoffend, daß die Erfahrungen, die wir im Fachsdiulwesen machten, die allgemeine Schuldebatte anzuregen und zu erweitern vermögen.

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