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Du bist heute wiedder unmöglich

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Himmelhochjauchzend - zu Tode betrübt! Die Phase der Pubertät ist eine Zeit körperlicher und seelischer Veränderungen, Spannungen, Irrungen und widerstreitenden Emotionen. Es ist die Zeit der schwärmerischen Verehrung ferner Idole, die Zeit von zu dicken Lidschatten und zu rotem Lippenstift, von Weltschmerz und dem Wunsch, mit knallenden Türen auf und davon zu gehen.

Es ist die Zeit der Fragen, warum man zu groß oder zu klein, zu dick oder zu dünn und zu häßlich ist, weshalb man sich bewegt wie ein Kasten oder sich fühlt wie ein Wurm.

Durch die Phase der Pubertät muß jeder hindurch. Was ist Pubertät?

Im Gespräch mit der FURtHK beschreibt sie Kurt Finger vom Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Wien als eine „ganz wesentliche, notwendige Entwicklungsphase, um reif und selbständig zu werden. Es geht um Ablöse vom Elternhaus, um nach und nach Verantwortung für sich selbst zu übernehmen."

Die physischen Merkmale des Reifungsprozesses zeigen sich zwischen dem zehnten und dreizehnten Lebensjahr. Es kommt zu auffallenden körperlichen Veränderungen wie starkes Körperwachstum, Veränderungen der Gesichtszüge, Bartwuchs und Stimmbruch bei Burschen, erste Regelblutung bei Mädchen sowie Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale. Die zwei Grundherausforderungen der Pubertät sind laut Kurt Finger

■ das Finden einer neuen Identität

■ das Erlernen des Umgangs mit der Sexualität - auch in Hinblick auf die Beziehungsebene.

Kurt Finger dazu: „In der Pubertät kommt man darauf, daß der Unterschied zwischen Burschen und Mädchen mit Sexualität zu tun hat. Man wird neugierig, täte gern, traut sich aber nicht und weiß auch nicht, wie man es machen soll. Das heißt, die Beziehung zum anderen Geschlecht muß neu definiert werden."

Bedingt durch den gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahrzehnte veränderte sich die Alltagswelt von Jugendlichen enorm. Zu diesen Veränderungen gehören die Zunahme von Bildungs- und Freizeitangeboten, die Mobilität, ein erhöhtes mediales Angebot, der Anstieg mütterlicher Erwerbstätigkeit sowie eine leichte Verschiebung des gesellschaftlichen Rollenverständnisses. Die Zeiten, in denen es lediglich ein einziges, sozusagen monopolisiertes Lebenswissen gab und ganz bestimmte Identitätszuweisungen üblich waren, sind vorbei.

Damals wußte man ohne, daß viel darüber gesprochen wurde - „wer man zu sein hatte". Die bunte Vielfalt der Lebensgestaltung von heute ist darauf zurückzuführen, meint Kurt Finger, „daß dem Bürger keine Identität mehr zugewiesen wird", sondern dem einzelnen vielmehr mitgeteilt wird, „eine Chance zu haben" und diese nützen zu müssen. Gerade in der pubertären Phase wird vieles in Frage gestellt, was bisher als gültig akzeptiert worden war. Die neuen Lebensformen müssen erst erarbeitet werden. „Diese Pluralität ist eine Chance für den jungen Menschen, gleichzeitig stellt sie aber auch die Gefahr dar, daß man sich in diesem vielfältigen Angebot verliert und unter geht", erklärt

Finger das Dilemma bei den jungen Menschen.

Durch Herausforderung und Provokation, durch Versuch und Irrtum werden Grenzen überprüft. Dabei wird versucht, Selbständigkeit zu demonstrieren. Wenn sich die soziale Umwelt aber weigert, dem Heranwachsenden eine unbehinderte Anpassung zu ermöglichen, verliert dieser nach vergeblichen Bemühungen seine Zukunftsorientierung.

Was bedeutet das alles für die Jugend von heute?

Nach Einschätzungen der Psychotherapeutin Rotraud Perner ist die Lebenswelt seit den sechziger Jahren härter geworden. Beruflich haben die Jugendlichen fast nur Chancen, wenn sie für den Arbeitgeber sowohl äußerlich als auch ihren Fähigkeiten nach „attraktiv" sind, und wenn sie sich selbst vermarkten können. Doch welcher Pubertierende kann mitten in seiner Selbstfindungsphase mit „Vorzügen" auftrumpfen? Ausgleich für mangelndes Selbstwertgefühl sucht der Jugendliche in einer Schein weit -mitunter in Melancholie im Tagebuch, oder in einer Konstruktion aus Alkohol, Drogen und kriminellen Aktivitäten. Rotraud Perner sieht die Gefahren besonders in der oberflächlichen Konsumwelt. Die Verlockung, sich durch Drogen zu betäuben, wird ebenso beworben, wie der leichte Zugang zu Geld und Krediten. Drei Dinge hebt Perner besonders hervor:

■ Es wird suggeriert, man müsse alles kaufen, was die Werbung verlangt.

■ Was den Umgang mit Sexualität betrifft, so ist dieser für die Jugendlichen einfacher, aber oberflächlicher geworden. In letzter Zeit bemerkt die Psychotherapeutin allerdings eher einen Trend zu Zurückhaltung und Scheu.

■ Sorgen macht sich die Jugend besonders um die Umwelt.

Die Pubertät stellt also eine Ablösesituation von gewohnten Strukturen dar. Auf der Suche nach neuen

Rollen werden alte Orientierungsmuster umgestoßen, Grenzen eingerissen und Chaos geschaffen - meist zum Leidwesen der näheren Umgebung. „Warum sind Pubertierende oft so launisch und unberechenbar?" fragen sich viele Eltern immer wieder. Die Psychotherapeutin sieht den Grund dafür in den Hormonschwankungen, die sich auch rund 30 Jahre später als sogenannte „Wechselbeschwerden" wieder bemerkbar machen.

Auf die Frage, wie sich Eltern, Erzieher und Lehrer in solchen Situationen verhalten sollen, meint Erziehungswissenschafter Finger: „Auf der einen Seite müssen sie Verständnis haben für dieses Streben nach Autonomie der Kinder. Sie müssen Respekt haben dafür, daß sie als eigenständige Persönlichkeiten auch einen eigenständigen Weg gehen. Auf der anderen Seite müssen sie natürlich auch gleichzeitig wissen, daß diese Jungen noch keine wirklich selbständigen Menschen sind. Sie brauchen Freiheit, aber gleichzeitig auch Begleitung. Das unter einen Hut zu bringen, so daß die

jungen Menschen das auch akzeptieren können, ist sicher nicht leicht." Um zwischenmenschliche Zusammenstöße zu vermeiden, darf das Elternhaus jedenfalls keine „lauwarmen" Ratschläge servieren. Gefragt sind echte Meinung, Verantwortung und Respekt seitens der Erwachsenen - und zwar auf der Basis gegenseitiger Achtung.

„Ich denke", sagt Kurt Finger, „die Eltern sollen bereits dem Kleinstkind mit sehr viel Respekt in zweierlei Hinsicht begegnen:

■ durch Respekt vor dem Kind und

■ durch Respekt vor sich selbst." Das bedeutet also, daß das Kind von klein auf lernt, daß es in Ordnung ist, Wünsche zu haben, Wünsche zu artikulieren, aber daß es auch vorkommen kann, daß diese Wünsche nicht immer angenommen werden. Es ist wichtig, daß die Eltern mit den Kindern Konfliktfähigkeit entwickeln. Und zwar nach dem Motto: Wie gehe ich damit um, wenn unser beider Wünsche nicht erfüllt .werden können? Wie können wir faire Kompromisse finden, so daß nicht einer das Gefühl hat, ich werde gar nicht gehört? Kinder lernen dadurch Koh-fliktfähigkeit, Argumentation, Artikulation und Respekt. Sie wissen: Ich werde gehört, bedacht und vielleicht akzeptiert.

„Wenn das in aller Offenheit ausgetragen wird", meint Kurt Finger, „dann ist auch die Pubertät nach wie vor eine dramatische Phase, aber nicht eine so dramatische Phase, daß es zum Bruch kommt."

Falls allerdings schon dunkle Wolken und Gewitterstimmung die heile Familienwelt trüben, rät Kinder- und Jugendpsychologe Wolfram G. Huber seinen Klienten, zuerst nach dem Grund der Verstimmung zu suchen. Die Eltern müssen nachdenken, „wo das wirkliche Problem liegt, was nun den Ausschlag dazu gegeben hat, wo der Faden gerissen ist". Als zweiten Punkt nennt Huber die Fähigkeit, Toleranz, Gutmütigkeit und Nachsicht zu zeigen. Es geht darum, „daß man trotz allem den Anspruch erhebt, für das Kind da zu sein und sich der Geschichte nicht entzieht"; also „daß man mit einer gewissen Bedingungs-losigkeit zur Verfügung steht". Es geht um „das Bekenntnis, daß man miteinander verbunden ist, daß man umeinander kämpft".

Nach den Erfahrungen des Psychologen kommen jene Eltern bei den Ju-■ gendlichen an, die ihre eigene Philosophie haben, ihre eigenen Bedürfnisse zeigen und auch einmal vor ungelösten Problemen stehen: „Die Eltern, die ihre Bolle als Vater und Mutter ernst nehmen und die Auseinandersetzung nicht scheuen, schneiden bei ihren Kindern grundsätzlich gut ab."

Rückblickend gesehen, lächelt man, wenn man an die eigenen jugendlichen Eskapaden denkt. Vielleicht sollte man des öfteren diese oder jene Anekdote im Kreise der Familie zum besten geben - und gemeinsam lächeln. Denn wie gesagt: Durch die Phase der Pubertät muß jeder hindurch.

Die Autorin ist freie Journalistin.

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