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Digital In Arbeit

Für niemanden der Wichtigste sein ...

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Singles haben es gut. Sie können tun und lassen, was sie wollen, tragen für niemanden Verantwortung. Sie sind zu beneiden. Oder doch nicht?

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Singles haben es gut. Sie können tun und lassen, was sie wollen, tragen für niemanden Verantwortung. Sie sind zu beneiden. Oder doch nicht?

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Kein „Darling, ich bin im Kino!”-Zettel klebt am Spiegel. Die beste Freundin ist wieder einmal mit ihrer besseren Hälfte unterwegs, und für eine Portion lohnt sich der Aufwand in der Küche eigentlich nicht. Bevor man als drittes oder gar fünftes Rad irgendwo mitrollt, begnügt man sich mit einem Sackerl Mikrowellen-Popcorn und einem unterdurchschnittlichen Fernsehprogramm. Szenen eines typischen Single-Alltags?

Heute wird es gesellschaftlich akzeptiert, daß Menschen ohne Partner unterwegs sind. Für die Betroffenen ist das Single-Dasein trotzdem nicht so einfach, wie es oft scheint. Tief drinnen herrscht nämlich immer noch die Vorstellung, ohne Partner nicht vollständig zu sein.

Im Gegensatz zu früher verspricht „nicht verheiratet zu sein” heute ein ebenso abgesichertes Leben wie es lange nur in der Ehe möglich war. Die Ablösung vom- Elternhaus muß nicht mehr durch die Fluchtehe erfolgen, wie es für viele junge Menschen in den sechziger Jahren noch üblich war.

Der Begriff Single ist ein US-Import der siebziger Jahre und, bedeutet eigentlich nichts anderes als einzeln, unverheiratet, ledig. Ein Single ist jemand, der bewußt allein und ohne feste äußere Bindung an einen Partner lebt, aus dem Wunsch heraus, ökonomisch unabhängig und persönlich ungebunden zu sein, so die Definition im Lexikon. 4,3 Prozent der 20- bis 54jährigen Österreicher leben als „Single”. Also alleine, ledig und ohne Lebenspartner. Es gibt Zufriedene darunter, die gern so leben und sich vorläufig gar keine andere Lebensform vorstellen können. Es gibt andere, die übergangsweise allein leben, und es gibt die Unzufriedenen, die den Traumpartner verzweifelt suchen und das Single-Leben sofort hinter sich lassen würden. Dies bestätigt auch der schwedische Familienexperte Aaf Liefbroer: „Es sind meist junge Menschen, die bei Befragungen angeben, mit Partner zufriedener zu sein als ohne. Ihr vogelfreies Leben würden sie sofort gegen einen goldenen Käfig tauschen.”

In vielen Fällen bildet berufliche Selbstverwirklichung den Hintergrund zum Leben allein. Man stiehlt sich sozusagen aus der Konfliktsituation von Arbeit und dauerhafter Partnerschaft davon. Das Alleinleben ist besonders für Frauen die adäquate Lebensform für eine Phase, in der sie sich stark auf Ausbildung und Beruf konzentrieren wollen und sich den Aus-bildungs- und Arbeitsmarktbedingungen anpassen müssen.

Ein Leben als Single erhält nach Jutta Kern vom Wiener Institut für Soziologie die Bedeutung eines „eigenen Lebens, einer Verweigerung oder Selbstverwirklichung, der Sicherung oder Autonomie, und es kann Ausdruck von Individualismus sein”.

In ihrer Forschungsarbeit hat sie Single-Biographien aufgearbeitet und festgestellt, daß Singles keineswegs jenseits sozialer Beziehungen leben und vor Liebesidealen resignieren. In jenen Fällen allerdings, in denen die romantische Liebe ihre Idealfunktion verloren hat, verzichten Singles vollkommen auf Intimbeziehungen, ihr Leben gleicht einer „Verweigerung”.

Wer wird Single?

„Natürlich gibt es keinen spezifischen Typ des Menschen, der für kürzere oder längere Zeit alleine lebt, allerdings gibt es typische Problemkreise, die sich Alleinstehenden stellen”, so die Schweizerin Eva Jaeggi auf dem Zweiten Europäischen Familienkongreß im Juni in Wien. In ihrem Befe-rat sprach sie das Problem vieler Singles an, nur relativ wenig Rollenvorgaben zu haben. „Das heißt für den einzelnen, daß er sich seine Lebensform selbst erfinden muß.” Diese Notwendigkeit erfordert immer wieder heue Anläufe, „den Alltag von neuem zu überdenken - und das wird von vielen Singles als anstrengend erlebt”. Sie haben keinen Partner, mit dem sie Verantwortung teilen könnten, sie müssen alles selbst in die Hand nehmen und teilen keine Lebensentwürfe mit einem anderen. Sie sind auf sich allein gestellt und „müssen immer wieder innehalten und sich darüber klar werden, welche Bedürfnisse und welche Möglichkeiten für sie gerade dran sind, wofür sie sich jeweils entscheiden und in welcher Weise sie ein Gefühl für sich selbst entwickeln können”.

Singles können sich nicht wie andere auf die wichtige Stimme ihres Partners verlassen; sie haben die Auf-

Herzblatt, Tele-clubbing, Sommer sucht Sprosse und Blech oder Blume haben ein gemeinsames Motto: Verkuppeln vor Publikum.

Schüchternheit bei Tabuthemen und Intimität haben hier keinen Platz, denn es geht um Unterhaltung. Das Publikum, manchmal auch die Kandidaten - alle sollen ihren Spaß haben. Kein Grund also zu verzweifeln, falls man wieder einmal einen Abend allein vor dem Fernseher verbringt: Seinen Traumpartner kann man sich ja mittels Fernbedienung ins Wohnzimmer holen!

Bleiben Sie dran! Nach der Werbung geht's weiter ... hl Ä. gäbe, „einem Chor zu lauschen” und fühlen sich je nach Stimmung damit glücklich oder überfordert.

In ihren Untersuchungen ist der Schweizerin auch aufgefallen, daß Singles oft Experten in Aufrechterhaltung von Freundschaften sind. Da sie nicht alles mit dem einen und einzigen teilen können, verteilen sie ihre Beziehungsbedürfnisse auf verschiedene Personen. Denn eine der größten Ängste der Singles ist die Vereinsamung. So meinte schon Helene Deutsch, eine frühe Psychoanalytikerin: „Einsam ist, wer für niemanden der Wichtigste ist.” Selbstmitleid ist die Falle, in die Singles immer wieder geraten, wenn es ihnen schlecht geht. Stojz und das Gefühl von Selbstbestimmung der andere Pol. Und dies ist auch eine der Unsicherheiten des Single-Lebens. Es ist das Schwanken zwischen dem Wunsch, selbstbestimmt zu sein und gleichzeitig sich doch geborgen zu fühlen. Ein für Alleinlebende wichtiges Konzept, so Eva Jaeggi, ist daher die Authentizität: „Es geht darum, in sich selbst hineinzuhorchen, eine eigene Lebensform zu finden und Selbsttäuschungen aufzugeben.”

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