Matthias Strolz - © Foto: APA / Roland Schlager

Matthias Strolz: „Die Politik wird platter und plumper“

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NEOS-Parteigründer Matthias Strolz hat vor über einem Jahr die heimische Spitzenpolitik verlassen. Wie er Österreichs politische Zukunft nach der Nationalratswahl sieht und wovor er persönlich Angst hat.

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NEOS-Parteigründer Matthias Strolz hat vor über einem Jahr die heimische Spitzenpolitik verlassen. Wie er Österreichs politische Zukunft nach der Nationalratswahl sieht und wovor er persönlich Angst hat.

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Im FURCHE-Interview spricht Matthias­ Strolz über seine Zweifel an einer tragfähigen Regierungskoalition, professionelle Inszenierung, die über Erneuerung hinwegtäuscht, den täglich inszenierten Wahlkampf in der Medien­demokratie, eigene Ersetzbarkeit und seine Träume von Diktator Kim Jong-un.

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DIE FURCHE: Herr Strolz, die Nationalratswahl ist geschlagen, Sondierungsgespräche in Richtung einer neuen Regierung laufen. Wie beurteilen Sie die Lage?
Matthias Strolz: Ich habe eine große Skepsis, ob es zu einer tragfähigen Regierungs-Konstellation kommen kann. Damals im Parlament habe ich erlebt, wie die Polarisierung gewachsen ist. Das Misstrauen sitzt wechselseitig sehr tief. Hier tragfähige Brücken zu bauen, ist keine einfache Aufgabe. Österreich befindet sich in einer Übergangsphase und hat sich einfach noch nicht ganz gefunden. Diese Phasen sind per Definition instabil, weil wir von einem Zustand in einen anderen kommen müssen. Meine Prognose wäre, dass nicht davon auszugehen ist, dass das eine fünfjährige Regierung wird – egal in welcher Konstellation.

DIE FURCHE: Mehr Tragfähigkeit und Entpolarisierung durch Bauen von Brücken – wie soll das funktionieren?
Strolz: Mein Wunsch fürs Land war, so skurril das klingt – natürlich wünsche ich NEOS alles Gute – dass sich ÖVP und SPÖ neu erfinden. Und zwar neu im vatikanischen Sinne, an Haupt und Gliedern. Das ist in beiden Fällen aber bis dato nicht geschehen. In einem Fall offensichtlich nicht, und im zweiten täuscht eine sehr professionelle Inszenierung darüber hinweg, dass eine Erneuerung nicht geschehen ist. Das ist potenziell verhängnisvoll für das Land: Man denke mal an eine ÖVP ohne Kurz, dann wird es düster. Hier hat Kurz noch eine Aufgabe zu erledigen, auch wenn sie beim ersten Mal hinschauen nicht
erkennbar ist.

Mein Wunsch fürs Land war, so skurril das klingt, dass sich ÖVP und SPÖ neu erfinden. Und zwar neu im vatikanischen Sinne, an Haupt und Gliedern.

DIE FURCHE: Untergriffige Verbalattacken und Abwehrmanöver, populäre „Themenkarusselle“ und ständig neue Narrativhüllen, die von Parteistrategen mit Inhalten gefüllt werden – befinden wir uns seit Jahren im Dauerwahlkampf?
Strolz: Mit der modernen Mediendemokratie ist quasi jeden Tag Wahltag. Früher wurde alle vier Jahre gewählt, dann war Ruhe, es wurde gearbeitet. Mit der Medialisierung, Digitalisierung der Medien und der Instant-Berichterstattung von Twitter bis Online-Medien wird jetzt der Verkaufstag, der Wahltag, jeden Tag simuliert. Das ist ein Dauerwahlkampf und eine wesentliche Veränderung des politischen Spiels. Damit haben auch alle ihre Probleme: Sie kommen mit dem Geld nicht aus, weil sie jeden Tag Wahlkampf spielen müssen. Die Politik wird natürlich viel platter und plumper – das merkt man ja auch. Es wird nur noch plakativ zugespitzt. Die professionellste Antwort darauf hat ja auch Sebastian Kurz gegeben: eine Mischung aus Excel-Sheet und Meinungsumfrage. Und daraufhin konsequentes Exekutieren dieser Zahl, die ich im Excel-Sheet sehe. Das ist eine völlig neue Form von Politik. Mit inhaltlich-visionärem Politikverständnis hat das nicht mehr viel zu tun.

DIE FURCHE: Sie sind vor knapp eineinhalb Jahren aus der österreichischen Spitzenpolitik komplett ausgestiegen. Was war für Ihren Rückzug ausschlaggebend?
Strolz:
Dafür gab es im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens, NEOS als Bewegung und Partei war so weit, dass ich zum ersten Mal gut ersetzbar war. Darauf hatte ich fast sieben Jahre hingearbeitet. Zweitens, die Vaterrolle hat ganz entschlossen aufgezeigt: Ok, wenn du dort ersetzbar bist – hier in der Familie bist du es definitiv nicht. Hier gibt es keinen Plan B, keinen Stellvertreter, es gibt nur dich als Vater. Es brauchte jetzt mehr zeitliche Präsenz meinerseits. Meine Frau wollte sich nun auch stärker außerfamiliären Aufgaben widmen. Das wurde mir klar. Die Familie hat alles großartig mitgetragen, von den ersten Gründungstagen an. Aber nun war die Zeit für eine bewusste Wende gekommen.

DIE FURCHE: Was haben Sie seit Ihrem Ausstieg persönlich gewonnen, und was verloren?
Strolz: Ich habe natürlich mehr Freiheit in meiner Lebensgestaltung und mehr Lebensqualität gewonnen. Mehr Zeit für die Familie, für meine Vaterrolle und für meine Rolle als Ehemann – auch das ist nicht unerheblich. Ich habe einige Ehen gesehen, die unter dem Druck der Politik vor die Hunde gingen, einfach weil du zeitlich ganz selten voll da bist. Denn selbst wenn du da bist, bist du meistens mit dem Kopf woanders. Du kommst um 22 Uhr nach Hause und falls du noch jemanden antriffst, schaust du durch die Leute hindurch, weil du in deinen Baustellen gefangen bist. Verloren habe ich Funktionen, mit denen ich in der Spitzenpolitik gestalten konnte, auch den Zugang zur politischen Arena in einer der spannendsten Phasen der österreichischen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg.

Es wird nur noch plakativ zugespitzt. Die professionellste Antwort darauf hat ­Sebastian Kurz gegeben: eine Mischung aus Excel-Sheet und Meinungsumfrage.

DIE FURCHE: Zu Ihrem neuen Buch „Sei Pilot deines Lebens“, das im letzten Jahr im Zug Ihrer Lebenswende entstanden ist: Sie erzählen in fünf Schritten eine Anleitung zur persönlichen Entfaltung. Gibt es nach der Lektüre eine „Selbstentfaltungs-Garantie“?
Strolz: (lacht) Nein, Garantie gibt es keine, weil wir Menschen so unterschiedlich sind. Und das versuche ich auch, in diesem Buch in Rechnung zu stellen, dass wir halt Individuen sind und ich trotzdem ein Modell habe, das hoffentlich den meisten Leserinnen und Lesern auch Unterstützung geben kann, sei es nur als Inspiration. Da wird manches auch zwicken, wo die Leserin, der Leser, auch sagen wird: „Naja, das sehe ich jetzt aber anders.“

DIE FURCHE: Sehr persönlich und intim teilen Sie darin Erlebnisse, unter anderem mit Ihrer Frau Irene und Ihrer ehemaligen Büroleiterin. Warum dieser „Seelenstriptease“?
Strolz:
Das Buch ist eine Art Reisebegleiter für Menschen, die sich die Fragen stellen: Wer bin ich? Wo und wie will ich wirksam sein? Was ist mein Auftrag in dieser Welt? Im weitesten Sinne, was ist meine Berufung? Wenn ich darüber schreibe, muss ich mich selbst in einer Verletzlichkeit zeigen, weil sonst ist es eine Art von Dozieren. Ich habe die Weisheit ja nicht mit einem Löffel gefressen, sondern Dinge erlebt und erzähle darüber.

DIE FURCHE: Der Leistungsbegriff dominierte bereits viele Polit-Kampagnen. Sie werben für „Leistung“ im Sinne von „Bewährung“. Brauchen wir also eine Bewährungsgesellschaft?
Strolz:
Alles Leben zieht in die Entfaltung, in die Reifung und in die Bewährung. Wenn ich auf kleine Kinder schaue, dann geht es denen, wenn sie noch unverfälscht sind, nicht darum, dass sie Leistung erbringen wollen um der Leistung willen, im Sinne einer Ökonomisierung der frühen Kindheit, sondern es geht ihnen immer um Bewährung: Sie wollen – in einen Sinnkontext eingebettet – etwas bewirken, sie wollen was entdecken, sie wollen ihre Wirksamkeit dabei auch spüren. Das ist ein völlig anderer Leistungsbegriff. Wir haben viel an Ganzheitlichkeit beim Lernen verloren. Als Bergbauernbub habe ich das ein Stück weit gelernt. Dieses Arbeiten in der Großfamilie, am Feld, eingebettet in die Zyklen der Natur, ist eine andere Form von Leistung, obwohl ich auch dort kritische Themen finden kann wie in einem Wirtschaftssetting. Die Leis­tung, wie zum Beispiel im Film „The Wolf of Wallstreet“ dargestellt, ist eine kranke pathologische Leistung.

Du bist mit dem Kopf woanders. Kommst um 22 Uhr heim und falls du noch jemanden triffst, schaust du durch die Leute hindurch, weil du in deinen Baustellen gefangen bist.

DIE FURCHE: Angst ist für Sie ein guter Wegweiser und gehört zum menschlichen Leben dazu. Warum glauben Sie das?
Strolz:
Angst ist Teil des menschlichen Systems. Wir als Menschen sind ein biologisch-soziales System, und Angst gehört dazu als reine Frage des Überlebens. Geht einer mit jemanden auf eine Bergtour, der überhaupt keine Angst hat: Na, alles Gute – der eine wird wohl allein zurückkommen. Der Angstfreie muss unweigerlich abstürzen, weil er Gefahrenquellen nicht sehen und auch nicht antizipieren kann. Gleichzeitig sind Ängste hoch individuell und jeweils Wegweiser. Dein persönlicher Angstgarten ist dein Schatzgarten. Dort, wo die Angst auftritt, solltest du tiefer graben. Da wartet ein Schatz für die persönliche Entfaltung.

DIE FURCHE: Wovor haben Sie Angst?
Strolz:
Naja, als Vater hat man die klassischen Ängste, wenn die Kinder größer werden und immer mehr Freiheit für sich reklamieren, ob das alles gut geht. Ich bin auch nicht angstfrei in den Bergen. Vor meinem Eintritt in die Politik habe ich viel Angst vor politischer Verfolgung gehabt. Deswegen habe ich dort ja auch tief gegraben – und als Parteigründer einen Schatz gefunden. Ich habe auch sehr komplexe Träume: Letztens habe ich von einem Besuch beim nordkoreanischen Parteichef Kim Jong-un geträumt. Ich war dort mit zwei Kindern, und wir haben ihn nicht gefunden. Wir haben in sämtliche Türen hineingeschaut, und ich habe gesagt: „Gebt acht, der ist ein bisschen unwirsch, der lässt die Leute umbringen, wenn sie die falsche Türe aufmachen.“ Ich bin ein Schwamm, der so einiges an Information aufsaugt, und die Träume sind auch ein Sortierungsmechanismus. Da hat die Angst immer wieder einen großen Platz. Das ist nicht immer angenehm.

Norbert Oberndorfer

Der Autor ist freier Journalist.

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