Die Tage des Dr. Seltsam

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Kim Jong-un ist ein gefährlicher Diktator. Aber er ist nicht der einzige Betreiber der Korea-Krise. Die Politik der USA ist mindestens ebenso gefährlich wie Kims Raketen.

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Kim Jong-un ist ein gefährlicher Diktator. Aber er ist nicht der einzige Betreiber der Korea-Krise. Die Politik der USA ist mindestens ebenso gefährlich wie Kims Raketen.

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Wenn wir die vergangenen Tage der Nordkorea-Krise Revue passieren lassen, müssen wir uns die Tage, die nun kommen, noch hinzu-fürchten. Denn die Friedensaussichten sind derzeit so wenig sichtbar, als säßen sie bereits im Schutzbunker. Das Bild, das uns vermittelt wird, ist ja auch niederschmetternd: Ein verrückter Aggressor und Brudermörder, Kim Jong-un, streichelt seine Bomben und provoziert beinahe täglich mit Atom-und Raketenversuchen. Er "bettelt um Krieg" (Nikki Haley, UN-Botschafterin USA). Und in unserer Vorstellung würde er wohl ohne jede Scheu eine Interkontinentalrakete zünden, die San Francisco oder Los Angeles auslöscht. Eine westlich belichtete Fantasie malt derzeit mit grellen Farben den Horrorraum des 21. Jahrhunderts aus: Kim, lachend im Eifer des Wahnsinns, steuert rittlings auf einer Rakete sitzend in sein Ziel.

seinesgleichen geschah

Ähnliches hat sich ja schon ereignet, allerdings nur im Film und unter anderen Vorzeichen: in der bitterschwarzen Satire "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" von Stanley Kubrick vollführt ein US-Luftwaffen-Major mit dem Namen King Kong mit Cowboyhut diesen Ritt gegen ein Ziel in der UdSSR. Alles Satire, ja sicher. Aber heute, da die Weltpolitik von Witzfiguren geradezu übervölkert ist Warum denn nicht auch noch das?

Aber tun wir für einen Moment so, als handle es sich bei Kim und allen anderen Konfliktparteien um rationale Akteure. Tun wir so, als hätte die Spieltheorie recht, die Politikern und Regierungen berechenbares Kalkül entlang des Eigeninteresses zuschreibt, selbst wenn alle Moral ausgeschaltet ist. Diese Annahme ist selbst im Falle Kims nicht so abwegig. Denn was immer er in den vergangenen Jahren getan hat, diente nicht der Welteroberung, sondern Kims nationalem Machterhalt (© Gerhard Mangott). Würde er angreifen, er und sein Regime würden die Gegenangriffe nicht überleben. Seine Optionen sind also selbst als nunmehrige Atommacht eng begrenzt.

Wie steht es um die Interessen der anderen "Mitspieler"? Kims Verbündeter China ist am Fortbestand des Regimes höchst interessiert, der Korea-Konflikt stützt seinen Hegemonialanspruch in der Region. Für Peking ist Kim ein nützlicher Kettenhund, der die Konkurrenten im Pazifik und in Asien, die USA und Japan, anbellt. Ähnliches gilt für Russland. Vor die Wahl gestellt zwischen stabiler Nuklear-Diktatur und keiner Stabilität, wird Moskau die Nuklear-Diktatur vorziehen, zumal wenn die USA dadurch in Schach gehalten werden können.

Aber auch die USA müssten an der Festigung des bestehenden Gleichgewichts höchst interessiert sein. Wie sollten sie auch im Kriegsfall Japan und Südkorea schützen können? Ihr Raketenabwehrsystem hat höchstens 50 Prozent Treffsicherheit. Und trotzdem provozieren sie Kim Jong-un mit Angriffssimulationen gegen militärische Ziele in Nordkorea. In diesem Sinn tun sie nichts anderes als Nordkorea. Die Spieltheorie würde nun fragen: Was nützt ein Krieg den USA? Washingtons Antwort : das eigene Territorium vor einem Angriff schützen. Aber provoziert man deshalb einen Krieg, mit dem man vielleicht gerade jenen Atomschlag auslöst, den man verhindern wollte?

Verrückter als Kim

Zweite Erklärung: Vielleicht geht es Donald Trump gar nicht um Nordkorea, sondern um China. Eine Entfremdung zwischen Pjöngjang und Peking wäre tatsächlich ein Gewinn für die USA. Auch dieses Planspiel endet allerdings dort, wo ein Sieg in einem Stellvertreterkrieg mit Nordkorea für möglich gehalten wird. Und das ist noch viel verrückter als alle Atom-und Raketenversuche Kims. So bleibt als ernüchterndes Fazit, dass wir nach Jahren des Drohens, Verhandelns und Bittens, des Zuckerbrots und der Peitsche gegen Nordkorea nun nicht mehr wissen, ob der eigentliche Dr. Seltsam tatsächlich in Pjöngjang sitzt oder in Washington. In jedem Fall sollten Verhandler zu beiden geschickt werden. Es ginge, satirisch und metaphorisch gesprochen, um die Auffindung und Entschärfung der "Weltzerstörungsmaschine" des seltsam aktuellen Dr. Seltsam.

oliver.tanzer@furche.at | @olivertanzer

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