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Koreas Eiserner Vorhang bleibt zu

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In Fernost beobachtet das geteilte Korea aufmerksam Moskaus neue Politik. Der Kreml flirtet mit der Wirtschaftsmacht Südkorea und fordert vom kommunistischen Norden Reformen.

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In Fernost beobachtet das geteilte Korea aufmerksam Moskaus neue Politik. Der Kreml flirtet mit der Wirtschaftsmacht Südkorea und fordert vom kommunistischen Norden Reformen.

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Als vergangenen Dezember in Bukarest die Massen zum Sturm auf den Präsidentenpalast ansetzten, wollte Nicolae Ceausescu nach Libyen oder Nordkorea fliehen. Der bedrängte Conducatorwähltenicht von ungefähr den· ostasiatischen Staat als möglichen Zufluchtsort, gilt doch der ddrt regierende Kim n

Sung als der bizarrste unter allen Roten Despoten. Und noch im Jahr davor hatte der rumänische·Dikta- , tor Kim als seinem „großen Vorbild" zugeprostet.

Jetzt machen sich allerdings Anzeichen bemerkbar, daß der alte Gesinnungsfreund ein ähnliches Ende nehmen könnte wieder wahnwitzige Conducator. In den an Nordkorea angrenzenden Nachbarstaaten kursieren Nachrichten über "Unruhen und Streiks" in Fabriken und Bergwerken. In Pjöngjang seien „regierungsfeindliche Flugblätter" im Umlauf, an den Wänden fänden sich „kritische Kritze- · leien" und an der Universität hätte es „Protestkundgebungen kleinerer Gruppen von Studenten" gegeben.

Um seirie Landsleute. vor der Pestilenz des westlichen Demokratiegedankens zu beschützen, hatte der :piktatorzumJahresw�alle Studenten aus allen Ländern Os't ???? ????uropas - außer aus Albanien -· heimholen lassen. Allein in der CS????gabes280,in Rumänien sogar an die 3.000 Studenten aus Nordkorea. Um diese Aktion zu kaschie- · ren, erklärte der Presseattach???? der nordkoreanischen Botschaft in Ostberlin gegenüber einem österreichischen Journalisten, „daß die Studenten auf Wunsch der Eltern" abgereist sind. Diese hätten sich aufgrund der „zunehmenden Fremdenfeindlichkeit Sorgen gemacht."

Bis vor kurzem konnte Kirn Il Sung auf die Unterstützung der Sowjetunion zählen, in letzter Zeit sind die Beziehungen aber merkbar abgekühlt. Da Kim Il Sung bisher sich jeder Forderung nach Perestrojka in seinem Reich wjdersetzte, und Moskau vitales Interesse zu mehr Kooperation mit dem wirtschaftlich potenten Süden hat, beginnen die Sowjets ihrerseits die Sicht der Dinge zu korrigieren. In einer Sendung von Radio Moskau hieß es unlängst, daß die Rote Armee die „entscheidende Kraft bei der Befreiung Koreas gespielt" habe und daß „in Korea einige Partisa- · neneinheiten gemeinsam mit den sowjetischen Truppen die Japaner bekämpft" hätten. Und dabei habe „Präsident Kirn Il Sung, als sowje' tischer Hauptmann, auch eine Partisaneneinheit geführt". Diese Darstellung-die der Realität weitgehend entspricht - steht in krassem Kontrast zur nordkoreanischen Geschichtsschreibung: Dort wird Kirn Il Sung stets als „oberster Befehlshaber" und Genius des Befreiungskampfes dargestellt. In einer Biographie ist zu lesen, Kirn habe innerhalb von 15 Jahren 100.000 militärische Aktionen siegreich geleitet. Nachgerechnet muß er im Schnitt täglich zwei Schlachten gewonnen haben.

Anfang des Jahres w1lrden in Moskau Dokumente aus Archiven hervorgekramt, die einwandfrei auswiesen, daß auch beim Koreakrieg (1950-1953) sowjetische Generäle und Truppenteile maßgeblich beteiligt waren. Bisher bestan:­ den die Nordkoreaner auf „Unab-

hängigkeit" ihrer Kriegs????ührung. Die angesehene Zeitschrift „Argumenty i Fakty" empfahl Kirn, schnellstens auf Reformkurs zu schalten. Sollte dies unterbleiben, so das Blatt, drohe eine ähnliche Situation wie in Rumänien. In dem Artikel wurde besonders die Rolle des Militärs beim Sturz Ceausescus hervorgehoben. Dieser Wink mit 4t:.rn' Zjaunpfahl kommt nicht von ungefähr. Die Herabsetzung von Kims militärischer Kompetenz einerseits und der Rolle des Militärs beim Machtwechsel in Rumänien andererseits beruht auf der Annahme, daß in Nordkorea das Militär als „unruhige Kraft" eingestuft wird.

Außer denStudenten haben praktisch nur Armeeangehörige die Chance, längere Zeit im Ausland zu verbringen. Jährlich schickt Pjöngjang an die 300 bis 500 Kadetten an sowjetische Militärakademien. Seit aber auch die Rote Armee von den Stürmen Perestrojka und Glasnost gebeutelt wird, besteht die Gefahr, daß die uniformierten Untertanen Kims dort auf unbotmäßige Gedanken kommen.

Die neuesten Kommentare in den sowjetischen Medien scheinen aber eine Abspaltung der nordkoreanischen Militärs vom Regime Kims geradezu herbeizuwünschen. Vor allem ist Moskau besorgt über die Stabilität der Region, sollte Kirn Tschong 11, der Sohn des kJ:änkelnden Langzeitdiktators, die Macht übernehmen. Der jüngere Kirn genießt den Ruf eines „Caligula" und ist bei den Generälen extrem unbeliebt. Die nordkoreanischen Militärs ihrerseits wollen die Beziehungen zu Moskau zwecks Sicherung der Thronfolge keineswegs opfern. Schon deshalb nicht, weil man von der Versorgung mit neuester Waffentechnologie „made in USSR" abhängig ist.

Moskau hat natürlich handfeste Gründe, daß ein Kurswechsel in Pjöngjang stattfindet. Die Sowjetunion würde gerne die Wirtschaftskraft Japans einspannen, um der Perestrojka auf die Sprünge zu helfen. Aber wegen des leidigen Streites um die Kurillen-Inselgruppe sind die Beziehungen zu Tokio immer noch relativ frostig. Deshalb flirtet die Sowjetunion seit geraumer

Zeit mit der zweitstärksten Handelsmacht der Region, mit Südkorea. Schon gibt es eine Reihe von Joint-Ventures.

Trotzdem bewegen sich die beidseitigenBeziehungen auf Sparflamme, da weder der Kreml noch die Südkoreaner den Norden zu sehr verärgern und damit auch dessen innenpolitische Situation verschär-

fen wollen. So schrieb die Seouler Tageszeitung „Tong-a Ilbo": „Unter keinen Umständen sollte Nordkorea die Verbesserung der sowjetisch- südkoreanischen Beziehungen als etwas ansehen, das es in die Ecke drängen oder isolieren soll." Natürlich ist Südkorea in erster Linie am sowjetischen Markt als Abnehmer seiner Massenproduktion auf dem High-Tech Sektor interessiert, aber strategische Überlegungen sind bei der beidseitigen Annäherung ebenso im Spiel.

Wenn Pjöngjang sich dem „neuen Denken" Gorbatschows öffnet, braucht man auf nationale Enpfindlichkeiten des bisherigen Bundesgenossen keine Rücksicht zu neh- , men, räsoniert man in Moskau. Der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen, wie sie neulich beim Treffen Michail Gorbatschows mit Roh Tae Woo in San Francisco an- . gekündigtwurden,steht dann wirklich nichts mehr im Wege. Zusätzlich würden auch die chinesischsowjetischen Beziehungen etwas aufgewärmt werden. Dann müßte sich nämlich die alte Herrenriege in Peking nochmals überlegen, ob sie sich ein weiteres Verharren im Stalinismus noch länger leisten könne.

Inzwischen führen die sowjetischen Medien mit Pjöngjang einen kleinen Krieg der Worte. Vor drei

Wochen wurde der TASS-Korrespondent Alexander Schebin des Landes verwiesen. Er hatte einige kritische Worte über den allgegenwärtigen Personenkult publiziert. Bei TASS reagierte man auf den Hin????uswurf betont zurückhaltend.

Die liberale „Moscow News" bezeichnete die Situation in Nordkorea als "unangemessen in Hinblick auf die Anforderungen der Gegenwart und angesichts der rapiden Veränderungen in Osteuropa". Das Blatt berichtete in einer Reportage über „Ausländer hinter Stacheldraht". Nordkoreaner, die in der Sowjetunion straffällig geworden waren, versuchen mit allt?n Mitteln zu verhindern, in ihr Heimatland ausgeliefert zu werden. Denn, wie ein Häftling den „Moscow News" gestand, diejenigen verschwanden spurlos, die ihre Heimat im Ausland in Verruf gebracht hatten. Daher brechen die Nordkoreaner gewöhnlich kurz. vor ihrer Entlassung in ein Lagergeschäft ein, veranstalten eine Schlägerei oder inszenieren die Flucht.

Übrigens gehen auch die anderen Staaten Osteuropas zu Kims Regi- · me immer mehr auf Distanz. Anläßlich des 78. Geburtstages des „großen Führers" im April wurden in den östlichen Medien jede Menge satirischer Anmerkungen über den Dikator und den „geliebten Führer", wie Sohn Kirn Tschong 11 offiziell betitelt wird, publiziert. So berichtete das tschechische Magazin „Svet v Obrazech" von einem Besuch des ehemaligen Prager, KPChefs Miroslav Stepan und des derzeitigen KKP-Sekretärs Vasil Mohorita beim greisen Diktator anläßlich der Jugendfestspiele. Bevor Stepan, Mohörita & Co. Kirn 11 Sung die Hand schütteln durften, mußten sie diese in einem hingehaltenen Handtuch erst reinigen.

Daß Kirn senior und Kirn junior angesichts des Verlustes.der ungeteilten brüderlichen Hilfe seitens Moskaus die Treue der Streitkräfte am Herzen liegt, ist verständlich. Daß sie über deren Verläßlichkeit Zweifel hegen, trat schon mehrmals zutage. So mußten im Februar anläßlich des 48. Geburtstages von Kirn Tschong 11 alle Truppenteile dem „geliebten Führer" persönliche Treue schwören.

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