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Der Tod des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-il könnte als Chance gesehen werden. Stattdessen werden in der Berichterstattung Ängste geschürt - und das auf Basis einer äußerst dürftigen Informationslage.

Der Journalismus hat mit den Naturwissenschaften gemein, dass er sich häufig an den Grenzen des Wissens bewegt. Die Schwierigkeiten, zu haltbaren Fakten zu gelangen, sind im Fall Nordkoreas besonders hoch, da sich das Land seit mehr als 60 Jahren gegenüber der Außenwelt abzukapseln versucht.

Nordkorea tritt meist nur dann in Erscheinung, wenn es Südkoreas Schiffe angreift, Raketentests unternimmt oder stalinistische Paraden veranstaltet. Es kontrolliert jede Regung seiner Bürger und unterhält Straf- und Konzentrationslager für Dissidenten.

Kim Jong-il, Sohn des Diktators Kim Il-sung, ein Männchen mit Plateauschuhen und einer Vorliebe für Kitschfilme und Tänzerinnen, der seine Reisen in einem Panzerzug absolvierte und sich Hummer und erlesensten Wein kredenzen ließ, während sein Land hungerte, war seit 1994 "geliebter Führer“. Nach seinem Willen unterhält das Armenhaus Nordkorea die drittgrößte Armee der Welt samt Atomwaffenproduktion.

Nun ist der Diktator tot - offiziell an Stress und Überarbeitung im Dienst des Volkes gestorben, während er auf Erkundungsmission sein Land durchstreifte. Sein Sohn Kim Jong-un wird vermutlich die Ämter des geliebten Führers übernehmen. Er ist weitgehend unbekannt. Ein rundes Gesicht auf einem Foto von der jährlichen Militärparade in Pjöngjang, ein paar Gerüchte, wonach er seit zwei Jahren Chef der Geheimpolizei sei. Soviel zu den Fakten. Sonst herrscht darüber, was in Nordkorea passiert, ein recht großes Informationsdefizit. Doch wie damit umgehen? Die Berichterstattung müsste ehrlicherweise mit dem Geständnis verknüpft werden, eigentlich nichts Rechtes wissen zu können und sich daher aufs Abwarten beschränken zu müssen. Aber nein.

Stunde der Alarmisten

Der sonst so gelassene Standard sieht Asien in "Alarmstimmung“ und konstatiert im Verein ein gefährliches "Machtvakuum“. Ferner habe es kurz nach dem Tod Kims "erste Säuberungen“ in der nordkoreanischen Beamtenschaft gegeben. Die Wiener Zeitung lässt Nordkorea "nach dem Machtwechsel mit Raketen drohen“, so als würde Nordkorea nicht von jeher in Permanenz mit seinem Waffenarsenal drohen. "Angst“ bestimmt auch die Schlagzeilen der Süddeutschen Zeitung.

Nun ließe sich schon über die Verwendung des Begriffs "Machtvakuum“ streiten. Wenn die Welt nämlich seit dem Tod des Despoten unter einem solchen Vakuum litte, müssten sie die "Machtfülle“ des zu Lebzeiten als "unberechenbar“ und "verrückt“ bezeichneten Kim Jong-il vermissen. Tun wir das? Vermissen wir das Versenken von südkoreanischen Schiffen, die Angriffe auf Yeonpyeong, die von Kim veranlassten Terroranschläge auf südkoreanische Diplomaten und Flugzeuge in den 80er Jahren? Wünscht sich der Westen die herrschende "innere Stabilität“ Nordkoreas, die mit 200.000 politischen Häftlingen, mit Morden und Hinrichtungen missliebiger Bürger hergestellt wird?

Tatsächlich in "Alarmzustand“ ist derzeit einzig Südkoreas Armee. Und auch das ist weniger aufregend, als es scheint. Fünfmal stufte sich Südkorea allein 2011 auf das höchste Alarmniveau.

Seltsame Zitierungen

Als Quelle für die Standard-Information, es habe "bereits am Montag erste Säuberungen“ gegeben und es seien "hunderte Beamte in Straflager verbannt oder hingerichtet“ worden, wird "Amnesty International“ genannt. Doch Amnesty hat das so nicht gesagt. Die Stellungnahme der Organisation hat den Titel: "Kim Jong-ils Tod könnte eine Chance für die Menschenrechte sein.“ Tatsächlich sei es "im letzten Jahr“ - also vor Kims Tod - "möglicherweise zu Säuberungsaktionen gekommen, die hunderten Menschen das Leben kosteten.“

Journalisten geht es übrigens nicht besser als so manchem Wissenschafter. Ein von der Uni Wien als "einer der weltweit führenden Nordkorea-Kenner“ angepriesener Gelehrter zeigte auf die Frage über Kim Jong-uns Werdegang, wie weit sein Wissen reicht: "Kim Jong-il hat ihn eingesetzt und wird sich etwas dabei gedacht haben.“

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