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Wird Seoul ein zweites Manila?

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Auch Südkorea hat seinen (oder seine) Aquino: Der Oppositionsführer Kim Dae Jung wurde oft mit Be-nigno Aquino verglichen. Kann sich dje philippinische „Revolution des Lächelns“ in Südkorea wiederholen?

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Auch Südkorea hat seinen (oder seine) Aquino: Der Oppositionsführer Kim Dae Jung wurde oft mit Be-nigno Aquino verglichen. Kann sich dje philippinische „Revolution des Lächelns“ in Südkorea wiederholen?

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Die Regierung der USA hat kürzlich die südkoreanische Regierung wegen deren Behandlung politischer Gegner scharf verurteilt. Vor allem wurde gegen Mißhandlungen und Folterungen weiblicher politischer Gefangener protestiert. Nach dem ersten Gespräch zwischen dem südkoreanischen Präsidenten Tschun Do Hwan und dem Führer der stärksten Oppositionspartei, Li Min Wu, wurde eine gemeinsame Kommission zur Revision der Verfassung vereinbart, deren erste Vorschläge Ende August vorliegen sollen.

Zwei Meldungen, die das Spektrum südkoreanischer Probleme umfassen. Machtmanifestationen einer rücksichtslosen Militärdiktatur — und gleichzeitig Bestrebungen zur Demokratisierung und Liberalisierung. Manifestationen des Radikalismus — und (echte oder kosmetische?) Bemühungen zur Verwirklichung längst fälliger Reformen. Seit dem Sturz des Marcos-Regimes auf den Philippinen wollen in-und außerhalb Koreas die Hoffnungen (oder Befürchtungen)nicht schwinden, daß sich in Südkorea eine ähnliche Situation wie auf den Philippinen entwickeln könnte, daß Präsident Tschun Do Hwan das Schicksal von Ferdinand Marcos teilen könnte.

Doch soll und darf man bekanntlich nichts mit nichts vergleichen. Schon gar nicht Situationen zweier Länder, die nur ihren Standort in der asiatisch-pazifischen Region gemeinsam haben, sich sonst aber durch Nationalität, Sprache, Religion, vor allem aber Geschichte und Mentalität gründlich unterscheiden. Und dennoch gibt es gemeinsame Züge, ähnliche Persönlichkeiten, nahe gelagerte Probleme, die Vergleiche erlauben.

Es genügt, damit zu beginnen, daß in Manila das erste (wenn auch beschränkt) gewählte Parlament zusammentrat, als in Österreich gerade das allgemeine Wahlrecht eingeführt wurde — im Jahre 1907. Die Philippinen waren trotz aller Kolonialherrschaft demokratisch „infiziert“, zuerst durch den spanischen Liberalismus, später durch amerikanische Institutionen, wie unzulänglich sie auch sein mögen.

In Korea wurde 1910 eine 700jäh-rige Feudalmonarchie durch 35 Jahre j apanische Besetzung abgelöst, gefolgt von Teilung, Bruderkrieg, der Präsidialdiktatur Synghman Rhees. Und nach einem kurzen demokratischen Zwischenspiel 17 Jahre Kriegsrechtsdiktatur General Parks. Nach dessen Ermordung 1979 wieder eine kurze Hoffnung der Demokratie, zerstört durch Putsch und Machtergreifung General Tschun Do Hwans.

Es fehlt also Südkorea nicht nur die demokratische Tradition, sondern auch zumindest jene Fraktion Militärs, die sich wie Juan Ponce Enrile und Fidel Ramos auf Seiten Frau Aquinos schlugen. In Seoul ist es General Roh Tae Woo, der bereits in den Kulissen wartet, wenn Tschun 1988 formell sein Amt aufgibt, um in seinem Sinne fortzusetzen.

Zweiter wichtiger Unterschied: In Manila haben die USA tüchtig mitgeholfen, den Machtwechsel zu vollziehen, in der Erkenntnis, daß jede weitere Verzögerung nur zu Radikalisierung, Chaos, Bürgerkrieg oder gar kommunistischem Umsturz führen müsse. Die Ausnahme des seltenen Weitblicks. Denn im Fall Südkorea lassen ihn die USA ebenso vermissen wie seinerzeit in Nikaragua, im Iran und anderen Rechtsdiktaturen, die man bis fünf nach Zwölf stützte.

Wenden wir uns dem Vergleichbaren zu, so ist zu sehen, daß Südkorea wohl seinen (oder seine) Aquino hat, und zwar beide in einer Person. Denn Oppositionsführer Kim Dae Jung wurde oftmals mit Benigno Aquino vergleichen, dessen Schicksal nicht unähnlich war. Und als Kim im Februar 1985 aus dem amerikanischen Exil heimkehrte, wartete die Welt atemlos, ob sich die Tragödie vom August 1983 in Seoul wiederholen würde, als Aquino bei der Landung in Manila ermordet wurde.

Doch Kim kann auch für Frau Aquino stehen, denn er ist seit mehr als 25 Jahren die offensichtliche Alternative des demokratischen Parlamentarismus zur Militärdiktatur. Bereits 1971 erhielt Kim unter unwürdigsten Bedingungen des Park'schen Kriegsrechts 46 Prozent der Stimmen bei der Präsidentenwahl. Und als im Vorjahr, nur drei Wochen vor der Wahl, die neue NDKP (Neue Demokratische Korea Partei) als Kristallisationspunkt der Opposition im Geiste Kims und seines Kampfgefährten Kim Yong Sam (früher Vorsitzender der Neuen Demokratischen Partei) gegründet wurde, errang diese Partei auf Anhieb 69 von 276 Mandaten und wurde zur führenden Oppositionspartei. Allein in Seoul holte sich die NDKP zwölf von den 14 Sitzen der Hauptstadt. Kein Zweifel, daß Kim bei freien Wahlen das Rennen machen würde.

Und gerade darum geht es in diesen Wochen und Monaten. Die Opposition verlangte in einer breit angelegten Kampagne die Direktwahl des Präsidenten, der bisher von einem Wahlkollegium bestimmt wurde, in dem das Militärregime eine verläßliche Mehrheit hat. Gegen eine Kampagne der Opposition, die zehn Millionen Unterschriften für eine Petition zur Direktwahl sammeln wollte, gingen die Behörden vorerst mit äußerster Brutalität vor. Dann aber lenkte Tschun ein. Nach Verhandlungen soll nun ein Sonderausschuß von 45 Parlamentariern für eine Verfassungsreform gebildet werden, mit 23 Vertretern der regierenden Demokratischen Gerechtigkeitspartei und 22 Delegierten der Opposition.

Tschun will zeigen, daß er keine Fortsetzung des Park-Regimes ist, und tatsächlich kann er auch auf eine Reihe von Lockerungen und Reformen hinweisen, angefangen von der Abschaffung der Schuluniform und des verordneten Schülerhaarschnitts über Steuersenkungen, Anfänge einer Sozialgesetzgebung bis zur Aufhebung der nächtlichen Ausgangssperre erstmals seit Ende des Koreakriegs. Auch das koreanische Wirtschaftswunder mit einem ProKopf-Einkommen von 2000 Dollar, das Südkorea in die Familie der neu-industrialisierten Länder einreiht, gehört zu den Errungenschaften der Ära Tschun.

Aber dem Wirtschaftswunder fehlt eben das politische Wunder und nicht zuletzt das soziale Wunder. Und hier tritt wieder eine Vergleichsfigur mit den Philippinen immer menr in den Vordergrund. Denn auch Südkorea hat seinen Kardinal Sin in Gestalt des katholischen Erzbischofs Kardinal Stephan Kim Sou Wan, der kürzlich in einer berühmt gewordenen Predigt sagte: „Das Volk ist vom politischen Entscheidungs-prozeß ausgeschlossen. Die wirtschaftliche Entwicklung wird auf dem Rücken der Bauern, Arbeiter und der städtischen Armutsschichten vollzogen. Wenn sich der Trend, daß die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, fortsetzt, wird sich die soziale Klassenkluft gefährlich vertiefen... daher sind Dissidenten, die sich dieser Fragen annehmen, als Nationalisten und nicht als Kommunisten zu bezeichnen.“

Eine entscheidende Erklärung des Oberhaupts einer Kirche, deren Anhänger sich in den letzten 30 Jahren mehr als verzwölffacht haben (von 150.000 auf fast 2 Millionen). Zusammen mit den neun Millionen Protestanten bedeutet dies, daß mehr als ein Viertel der •Bevölkerung Christen sind, die in der demokratischen Oppositionsbewegung eine große Rolle spielen.

Das hindert allerdings das Regime nicht, jeglichen Widerstand mit Präzisionsautomatik als kommunistisch zu bezeichnen. Das einfache „Argument“ liefert das Gesetz gegen staatsfeindliche Tätigkeit. Staatsfeindlich ist alles, was die Widerstandskraft des Staates gegenüber Nordkorea schwächt, die Auslegung bleibt den Behörden überlassen. „Jede Seite nützt die Teilung zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung“, sagt der Reverend Moon Ik Hwan, Leiter der Mintongnyon (Volksbewegung für Demokratie und Wiedervereinigung, nicht zu verwechseln mit der berüchtigten Moon-Sekte).

Regierung und Opposition stehen unter Zugzwang. Werden die Reformen weiter verschleppt, so besteht die Gefahr, daß die radi-kalisierten Studenten der legalen Opposition die Unterstützung entziehen (schon 1960 wurde Synghman Rhee schließlich durch einen Studentenaufstand gestürzt).

Aber auch die Regierung hat keine Zeit. Je näher die Olympischen Spiele rücken, desto stärker muß sie sich der Welt als stabiles, demokratisches, vom Volk zumindest akzeptiertes Regime präsentieren.

Das wird nicht ohne Zugeständnisse für Reformen und Liberalisierung abgehen. Erste Generalprobe der internationalen Imagepflege werden die im Herbst stattfindenden Asiatischen Spiele in Seoul sein. Aber es ist auch der gewöhnlich „heiße“ Semesterbeginn an den Universitäten.

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