Fast genau zum Zeitpunkt, da in Tokio die Hinrichtung des südkoreanischen Oppositionsführers Kim Dae Jung befürchtet wurde, erfolgte in Seoul unerwartet die Freilassung eines anderen prominenten Vertreters der Opposition. Der weltbekannte katholische Dichter Kim Chih Ha war 1974 zu einer 20jährigen Gefängnisstrafe für Teilnahme an einer Studentenverschwörung verurteilt worden, nachdem die erst verhängte Todesstrafe gemildert worden war. Auch sieben andere in diesem Jahr verhaftete Dissidenten wurden mit ihm freigelassen.
Der unerschrockene Dichter hatte in seinen beißenden Satiren die Korruption der Anhänger des inzwischen ermordeten Diktators Park Chung Hel kritisiert. Das neue Regime Chun Doo Hwans hat die von Kim angegriffenen Paladine Parks selbst wegen Korruption zur Rechenschaft gezogen, wobei die zu Unrecht erworbenen Besitztümer vom Staat beschlagnahmt wurden. Der Dichter stand daher im Grunde gerechtfertigt da.
In Japan wird vermutet, Präsident Chun Doo Hwan wolle durch die Begnadigung im Ausland sein Image aufbessern. Ob darin aber ein Hinweis auf gleiche Milde gegenüber dem andern Kim, näftilich Kim Dae Jung, dessen Appell gegen die Todesstrafe immer noch anhängig ist, gegeben wird, ist leider nicht ohne weiteres anzunehmen.
Das Dilemma für Präsident Chun beruht auf der Tatsache, daß seine einzige Machtbasis die „Jungtürken“ in der Armee sind, mit deren Hilfe er vor einem Jahr die Macht erobert hatte. Alle anderen politischen Kräfte in Südkorea - die traditionellen politischen Parteien, die Studenten, die Intellektuellen und Technokraten - wurden inzwischen „gesäubert“ oder sonst ausgeschaltet. Auch Generäle der höheren Ränge verloren ihre Chargen.
Chuns Stütze sind die jüngeren Generäle und Obersten, von denen neulich 53 zu Brigadiers befördert wurden. Sie bilden eine verschworene Brüderschaft des 14., 15. und 16. Jahrgangs der Militärakademie, wurden geprägt durch den Korea- und Vietnamkrieg, sind scharfe Nationalisten und Antikommunisten.
Kim Dae Jung ist ihnen zutiefst verhaßt. Die Versuche des Auslands, seine Freilassung zu erwirken, vor allem die
Demarchen aus Tokio und Washington, zuletzt noch durch den scheidenden Verteidigungsminister Harold Brown, beleidigen ihren Unabhängigkeitsgeist. Deshalb steht Chun unter härtestem Druck dieser Scharfmacher: die Ausübung seines Gnadenrechts könnte ihn seiner einzigen Machtbasis berauben.
Andererseits aber führte die Hinrichtung Kims zu schweren Spannungen mit Südkoreas nächsten Verbündeten: Japan und Amerika.
Die Oppositionsparteien in Tokio lauern nur auf eine Gelegenheit, ihre Niederlage bei den letzten Parlaments- Wahlen auszumerzen. Kims Hinrichtung würde der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) angerechnet, die seinerzeit gegen die Entführung Kims aus einem Hotel in Tokio nur schwach reagiert hatte.
Die neue US-Regierung Ronald Reagans fände es schwierig, die weitere Stationierung amerikanischer Truppen in Südkorea zu rechtfertigen, denn Kim ist die Integrationsfigur aller demokratisch gesinnten Kräfte. Der verlustreiche Koreakrieg wäre umsonst geführt worden, wenn sich der Süden mehr und mehr in eine totalitäre Gesellschaft verwandeln würde, ähnlich dem harten Regime des nordkoreanischen Diktators Kim Il-Sung im Norden.
Die andauernde Beliebtheit Kims bei Studenten und Intellektuellen läßt im Falle seiner Hinrichtung innere Unruhen befürchten, wie die im Mai anläßlich seiner Verhaftung spontan in seiner Heimatprovinz und Kwangju ausgebrochene Rebellion.
Durch neue Kräfte zur Demokratisierung?
Chun versucht zwar, die politischen Prozesse für eine Entwicklung zur Demokratie, die durch die Säuberung von etwa 850 Politikern der alten Garde zum Erliegen kamen, durch neue Kräfte wieder in Gang zu bringen. So läßt er 18 Gruppen, die unter Park verboten waren, wieder aktiv werden.
Zu vermuten ist, daß sich daraus vier größere Parteien bilden könnten: eine für die Anhänger Chuns, eine für die Paladine Parks, eine für die frühere Opposition und eine unter sozialdemokratischer Flagge.
Kim selbst will sich, im Falle der Begnadigung, aus dem politischen Leben zurückziehen. Es ist schwer einzusehen, daß dem Land gedient wäre, wenn Chun aus ihm einen politischen Märtyrer machen würde.