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Pokerspiel am 38. Breitengrad

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Am 38. Breitengrad, an der Grenze zwischen Süd- und Nordkorea läuft quer durch das Land eine Mauer, fünf Meter hoch und an der Basis zehn Meter breit. Sie ist die ostasiatische Schwester der Berliner Mauer - aber mit umgekehrten Vorzeichen. Denn sie wurde nicht vom kommunistischen Nordkorea aufgerichtet, sondern von der westlich orientierten südkoreanischen Republik. Ihr Zweck: Schutz gegen Überfälle aus dem Norden.

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Am 38. Breitengrad, an der Grenze zwischen Süd- und Nordkorea läuft quer durch das Land eine Mauer, fünf Meter hoch und an der Basis zehn Meter breit. Sie ist die ostasiatische Schwester der Berliner Mauer - aber mit umgekehrten Vorzeichen. Denn sie wurde nicht vom kommunistischen Nordkorea aufgerichtet, sondern von der westlich orientierten südkoreanischen Republik. Ihr Zweck: Schutz gegen Überfälle aus dem Norden.

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Uber diese Mauerhinweg wurden nun Wiedervereinigungsdiskussionen zwischen den beiden Koreas gestartet. Allerdings, sie klingen noch wie Gespräche zwischen Schwerhörigen. Vertreter der Ministerpräsidenten des Südens und des Nordens sitzen einander in Panmundschon gegenüber und keiner scheint den anderen ganz ernstzunehmen.

Nach vier Sitzungen einigte man sich, daß die Ministerpräsidenten einander in Panmundschon, abwechselnd auf der Nord- und auf der Südseite des entmilitarisierten Streifens treffen sollen. Uber die Tagesordnung des Treffens wird nun weiterdiskutiert.

Die Initiative zu den Gesprächen ging vom Norden aus. Südkoreas Diktator, Präsident Park Chung Hee, war vom Chef des Geheimdienstes KCIA ermordet worden und die neue Regierung, noch nicht fest im Sattel, mußte Zugeständnisse an die Opposition machen, die eine Demokratisierung und Wiedervereinigungsbemühungen forderte.

Die Regierung amnestierte 684 politische Gefangene (angeblich gibt es noch immer zweimal soviel), darunter 373 Studenten, 42 christliche Geistliche, 24 Professoren, 22 Oppositionspolitiker und neun Journalisten. Ungefähr gleichzeitig nahm sie im Prinzip den Vorschlag des Nordens über ein Treffen der Ministerpräsidenten an.

Der Süden fürchtet eine kommunistische Überrumpelung. Oder er gibt zumindest vor, sie zu fürchten. Denn wer sich das Kräfteverhältnis ansieht, kann diese Angst nicht ganz ernstnehmen. Einwohnerzahl: Südkorea 33 Millionen, Nordkorea 17 Millionen. Die militärische Stärke des Nordens ist unbekannt, im Süden ist die wehrfähige Bevölkerung zwischen 17 und 50 in der amerikanisch ausgerüsteten Armee und Miliz zusammengefaßt. Dazu kommen im Süden noch 39.000 US-Soldaten aller Waffengattungen, während der Norden bald nach Ende des Koreakrieges von fremden Armeen geräumt wurde.

Südkorea ist umso fester im amerikanischen Verteidigungssystem verankert, als es nach dem Fall Südvietnams den letzten Vorposten der US-Armee auf dem ostasiatischen Festland darstellt. Die Beziehungen Nordkoreas zu seinen großen kommunistischen Nachbarn China und Sowjetunion sind hingegen eher höflich als herzlich. Denn -diese Tatsache ist in Europa wenig bekannt - Nordkorea ist das Jugoslawien des Fernen Ostens.

Nordkorea hat sich weder die chinesische These vom Hauptfeind Sowjetunion zu eigen gemacht, noch folgt es der Sowjetpolitik. Den Uberfall Vietnams auf Kambodscha hat Nordkorea verurteilt. Auf der Blockfreien-Konfe-renz in Havanna nahm der Sprecher Nordkoreas pointiert gegen den „Imperialismus und andere nach Vorherrschaft strebende Kräfte” und gegen die „Willkür der starken Nationen” Stellung.

Zwischen Belgrad und Nordkorea gibt es enge Beziehungen. Tito kam nach Pjöngjang (wie auch Ceausescu) und Kim II Sung nach Belgrad. Ideologisch stehen die Nordkoreaner den italienischen Eurokommunisten am nächsten. Auch auf dieser Ebene gibt es Besuchsdiplomatie.

Auf der zur Schau getragenen Angst vor dem kleineren, außenpolitisch eher isolierten Bruder im Norden beruht jedoch die Staatsphilosophie des Südens. Mit der Angst vor dem Kommunismus wurden Notstandsdekrete und Sondergesetze begründet, mit. denen jeder Oppositionelle als kommunistischer Agent verfolgt werden kann. Mit der Angst vor dem Kommunismus wird schließlich die Militärpräsenz der USA, auf der sich die Regierung stützt, gerechtfertigt.

Die Nordkoreaner erklären sich mit einer Konföderation unter Beibehaltung der verschiedenen Wirtschaftsordnungen einverstanden. Ihr Sonderinteresse dabei ist klar: Mit einer „selbständigen und friedlichen Wiedervereinigung” hoffen sie die Präsenz der amerikanischen Supermacht an ihrer Südgrenze unhaltbar zu machen. Deswegen kam wohl auch die Initiative zu Gesprächen von ihnen.

Die gegenwärtigen Verhandlungen werden von der Katzenmusik südlicher Proteste gegen angebliche nördliche Infiltrationsversuche und nördlicher Dementis und Provokationsbeschuldigungen begleitet. Doch beide Regierungen stehen unter dem Druck der vereinigungswilligen koreanischen Bevölkerung. Damit ist zumindest eine lose Föderation der beiden Koreas wieder in den Bereich der Möglichkeit gerückt.

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