Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Chinakarte sticht nicht
Mit der Sowjetinvasion von Afghanistan, der Schwächung der US-Position in Europa, Afrika, Asien und Nahost sowie der Veränderung des strategischen Gleichgewichts zugunsten der UdSSR ist die Bedeutung der amerikanischen Beziehungen mit der Volksrepublik China (VRC) für die Anhänger des Ausspielens der „Chinakarte“ immer größer geworden.
Die Regierung Carter hatte bereits mit der Durchführung von Programmen wirtschaftlicher, technischer und militärischer Hilfe für die VRC begonnen. Die übliche Argumentation besagt, daß wir durch solche Hilfeleistungen ein kommunistisches Land gegen ein anderes zum Vorteil der USA, Westeuropas und Japans ausspielen können.
Dabei wird freilich eine gründliche Analyse der langfristigen Verästelungen einer solchen Politik außer acht gelassen .. . Wenn wir von der Chinakarte sprechen, ist es nützlich, zwischen drei verschiedenen Standpunkten in der freien Welt zu unterscheiden: dem europäischen, dem japanischen und dem amerikanischen.
Für die Europäer stellt sich die Frage China im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt, wieviele sowjetische Divisionen entlang der 7200-km-Grenze zwischen diesen beiden kommunistischen Staaten gebunden werden können. Derzeit haben die Sowjets 45 Divisionen in ihren Ostprovinzen gegenüber Rotchina stationiert. ..
Für Japan haben die chinesisch-sowjetischen Beziehungen vor allem einen regionalen Aspekt. Japaner und Sowjets waren seit dem russisch-japanischen Krieg von 1904 Rivalen im Vormachtstreben in Nordostasien. Heute halten die Sowjets noch immer Inseln im Norden besetzt, die bis 1945 ein Teil Japans gewesen sind. Das belastet die beiderseitigen Beziehungen noch immer.
Die weitgehende Abrüstung Japans nach dem Zweiten Weltkrieg Führte dazu, daß Japan seine Konkurrenzanstrengungen auf das wirtschaftliche Gebiet konzentrierte und mittlerweile zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt
geworden ist. Auch an der VRC sind die Japaner vorwiegend als einem potentiellen Markt für ihre Güter interessiert ...
Für die USA als eine der beiden globalen Supermächte enthält die Chinakarte naturgemäß weltweite strategische und nicht nur enge regionale Aspekte .. . Die Grundidee der Carter- schen Chinapolitik war die Stärkung der VRC gegenüber der Sowjetunion, wovor man sich eine Eindämmung sowjetischen Abenteuertums durch eine Erhöhung der chinesischen „Drohung“ erwartete.
Ziel dieser Politik war eine Verbesserung der rotchinesischen Militärtechnologie“ und die Entwicklung der wirtschaftlichen Infrastruktur im Dienste strategischer Bedürfnisse Chinas. Zu dieser Politik gehörte auch der Verkauf
„nichttödlicher“ Militärausrüstung durch die USA und die stillschweigende Zustimmung der USA zum Verkauf auch tödlicher Waffensysteme an die chinesischen Kommunisten durch westeuropäische Verbündete der USA ...
Entgegen volkstümlicher Auffassung, daß sich die chinesischen Kommunisten der „rechtmäßigen“ internationalen Gesellschaft eingegliedert haben, hat die VRC selbst niemals behauptet, ihre expansionistische Ideologie preisgegeben zu haben. Vielmehr wirft man sogar der Sowjetunion vor, die Sache des Sozialismus verraten zu haben, so daß jetzt nur noch die Chinesen die wahre Botschaft des Marxismus-Lenismus verbreiteten.
In den Augen Pekings sind die Vereinigten Staaten immer noch eine imperialistische, kapitalistische Nation und
eine Bedrohung der Weltrevolution. Und schon Lenin hat für die Verfolgung revolutionärer Ziele taktische Flexibilität empfohlen.
Die kommunistische Führung Chinas hat keine andere Wahl, als für die Überbrückung ihres wissenschaftlichen und technologischen Rückstandes die Hilfe hochindustrialisierter demokratischer Staaten zu suchen. Nur so ist es möglich, auch China zu industrialisieren und aus seiner jetzigen Rolle als Papiertiger zum Status einer Supermacht emporzuführen.
Im Lichte dieser Umstände müssen wir den strategischen Handel mit der VRC sehen. Wir, die demokratischen Industriestaaten, sind letztlich deren Feind. Die Chinesen werden aus ihren Beziehungen zum Westen den größtmöglichen Nutzen schöpfen. Ihr erklärtes Ziel bleibt aber die Zerstörung unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems, sobald sie der größeren unmittelbaren Bedrohung (durch die UdSSR) Herr geworden sind ...
Liegt es im Interesse der USA, Waffen, Ausbildung und Nachschubmaterial der VRC zu verschaffen oder sollten Mühen und Geld nicht fruchtbarer darauf verwendet werden, die Streitkräfte der USA besser auszustatten?
Schließlich ist auch die Reaktion der UdSSR indiesemZusammenhangnicht außer acht zu lassen. Gewiß: wenn die Sowjets ihj Verhalten wegen der US-Annäherung wegen der VRC entscheidend mäßigten, wäre eine solche Annäherung berechtigt. Aber das war weder in der Vergangenheit der Fall, noch sind die Zukunftsaussichten hierfür vielversprechend. Die Sowjets wissen sehr wohl, daß kurzfristig eine chinesisch-amerikanische „Allianz“ für sie keine große Bestrebung darstellt.
Sollten sich die Sowjets aber jemals durch die chinesisch-amerikanische Annäherung bedroht fühlen, gibt es allerlei Möglichkeiten für sie, diese Drohung abzufangen ...
Wenn aber die Bedrohung der UdSSR bis zur Provokation reichte, könnten sich die Sowjets mit ihren erheblich überlegenen Streitkräften auch eine direkte militärische Aktion gegen die VRC leisten ...
Rotchina hat vom Ausspielen der „amerikanischen Karte“ viel zu gewinnen. Die USA können mit ihrer „Chinakarte“ keinen großen Stich machen. Die beiden Washingtoner Autoren, Fachleute des strategischen Handels, die ihren Beitrag auch der FURCHE zur Verfügung stellten, stehen der neuen Regierung Reagan nahe.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!