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Rückschläge für Kreml in Fern- und Nahost

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Leonid Breschnew, dazu bedarf es keiner übertriebenen Phantasie, schläft schlecht. Das Jahr 1978 ist drauf und dran, in die Geschichte als ein Jahr der folgenschwersten Niederlagen für die Sowjetführung einzugehen. Im Fernen Osten, im Nahen Osten und vielleicht sogar im südlichen Afrika schwimmen der UdSSR die Felle davon - und eine physisch wie politisch ermüdete, überaltete Kremlführung vermag darauf nicht mehr phantasievoll zu reagieren.

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Leonid Breschnew, dazu bedarf es keiner übertriebenen Phantasie, schläft schlecht. Das Jahr 1978 ist drauf und dran, in die Geschichte als ein Jahr der folgenschwersten Niederlagen für die Sowjetführung einzugehen. Im Fernen Osten, im Nahen Osten und vielleicht sogar im südlichen Afrika schwimmen der UdSSR die Felle davon - und eine physisch wie politisch ermüdete, überaltete Kremlführung vermag darauf nicht mehr phantasievoll zu reagieren.

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Am stärksten wurde die politische Landkarte heuer im östlichen Asien verwandelt. Der zwischen der Volksrepublik China und Japan abgeschlossene und durch den jüngsten Besuch des chinesischen Vizepräsidenten Teng Hsiao-ping in“ Tokio besiegelte Friedens- und Freundschaftsvertrag zwischen dem volkreichsten Land der Erde und der Industrievormacht Asiens hat wohl die Weichen für Jahrzehnte gestellt.

Hätte die Sowjetunion in der Frage der Kurilen-Inseln flexibler taktiert, wäre die Entscheidung Tokios für

Peking und gegen Moskau keine Selbstverständlichkeit gewesen. Im Gegenteil: Eine Achse zwischen Japan und der Sowjetunion hätte den potentiellen Gegner beider Partner, nämlich China, zangenförmig umfaßt.

Aber den Bürokraten an der Moskwa fehlte Phantasie oder Mut oder beides. Sie wußten die Chance nicht zu nutzen, die nun die neue Pekinger Führung fest ergriffen hat: Das kommunistische China und das kapitalistische Japan werden in den nächsten acht Jahren im Wert von mindestens 20 Milliarden Dollar miteinander Handel treiben. Ganze Stahlwerke und Schiffswerften, pe-trochemische Komplexe und Raffinerien werden von Japan nach China verpflanzt werden.

Sicher: über die Zahlungsbedingungen wird man noch hart feilschen. China möchte praktisch Investitionskapital zu Entwicklungshilfe-Konditionen. Aber eine Natural-währung, in der die neue rote Großmacht zahlen kann, wird (trotz vorläufig noch mittelmäßiger Qualität) in Japan willig angenommen werden: Rohöl, das vor den Küsten Chinas in großen Mengen geortet worden ist.

Angesichts des japanischen Handelsbilanzüberschusses mit den USA, der heuer 13 Milliarden Dollar erreichen dürfte, ist die Öffnung des riesigen China-Marktes für Japan (und für die USA) eine immense Chance. Für die Sowjetunion aber bedeutet jedes Erstarken ihres östlichen Nachbarn ein wachsendes Risiko. Dieses paart sich in diesem Fall noch mit der gleichfalls unübersehbaren Handelsoffensive, die China auch in Westeuropa vorantreibt. Als vor wenigen Wochen der chinesische Außenminister Huang Hua London besuchte, unkte die Moskauer „Prawda“ von Waffeneinkäufen in Westeuropa im Wert von zehn Milliarden Dollar.

Tatsache ist jedenfalls, daß das neue Regime unter KP- und Staatschef Hua Kuo-feng die Segel kom-

plett neu gesetzt hat: Pragmatismus, Wirtschaftlichkeit, Leistung sind die Kriterien, an denen sich die neue chinesische Politik orientiert. Maos rotes Büchlein genießt heute Nostalgie-Respekt, aber längst nicht mehr Bibelrang. Erst jüngst hat ein „Sonderkommentator“ in der Pekinger „Volkszeitung“ daran erinnert, daß der Maoismus „eine Wissenschaft und nicht ein Fetisch“, also entwick-lungs- und korrekturfähig und -bedürftig sei.

Der neue Wind, der in China bläst, wird ausländisches Kapital ins Land

und chinesische Studenten an die Spitzenunivtersitäten des Westens tragen. Aber nicht nach Moskau. Dort haben die Zetertöne gegen Peking schrille Rekordhöhen erreicht. Chinas „Anbetung des Kriegsgottes hat nahezu den Charakter einer religiösen Ekstase erreicht“, erboste sich der „Rote Stern“. Und die „Prawda“ unternahm einen verzweifelten Aufklärungsversuch: Hua Kuo-feng trage, rief sie der Welt zu, „Frieden im Gesicht und Bosheit im Herzen“.

Was immer im Herzen Breschnews sich regen mag: Freude über das, was im Nahen Osten passiert, kann es auch nicht sein. Denn wenn Camp David sich als tragfähjg genug für einen ägyptisch-israelischen Separatfrieden erweist, dann hat Moskau auch die Chance verpaßt, eine Nahostregelung mitzugestalten.

Nur um dieser Mitsprache willen hat die Sowjetunion noch 1977 mit allen Mitteln versucht, die Genfer Konferenz wieder flottzukriegen. Auf Mi-.limeternähe hatte sie die USA an eine solche' Politik herangebracht, als der ägyptische Präsident Sadat mit seiner kühnen Initiative den Sowjets einen dicken Strich durch die Rechnung machte.

Wenn es Präsident Carter gelingt, Israelis und Ägypter zu einem Abkommen zu bewegen, das auch Jordanien und Saudi-Arabien wenigstens stillschweigend gutheißen können, hat Moskau im Nahen Osten weithin ausgespielt. Daran wird auch noch so lautes Toben der arabischen „Verweigerungsfront“ nichts ändern: Ohne Ägypten, wo sechs von sechs Arabern leben, und Saudi-Arabien, das auf den ölmilliarden sitzt, sind alle übrigen arabischen Staaten und die PLO nur Zwerge, die zwar unangenehm werden, aber die Gewichte nicht aus eigener Kraft verschieben können.

Man sieht, wieviel gewissen Leuten die Verhinderung einer solchen Entwicklung wert ist, wenn man erfährt, daß Irak dem in Bagdad tagenden Gipfel der Arabischen Liga vorgeschlagen hat, Ägypten über sechs Jahre hinweg 30 Milliarden Dollar zu zahlen, wenn es ausspringt. Konkret hieße dies: wenn Sadat gestürzt und durch ein moskaufreundliches Regime ersetzt wird.

Auch Sadat dürfte unter solchen Umständen nicht allzu ruhig schlafen. In die Träume Breschnews muß sich allerdings dazu auch noch die Befürchtung mischen, daß trotz aller Irr- und Umwege vielleicht doch auch noch eine Bereinigung des Namibia-Problems nach den Vorstellungen der Westmächte möglich wird. In diesem Fall würden auch die Aussichten für eine nichtmarxistische Rhodesien-Lösung ein letztes Mal wachsen.

Angesichts der neuen Töne in Peking ist selbst ein Neuengagement Chinas in Afrika nicht völlig auszuschließen. Gerüchte, daß die nach der offiziellen Südafrika-Politik als erste selbständig gewordenen „Heimatländer“ nach Wirtschaftshilfe aus Peking Ausschau halten, gibt es seit längerem.

Demonstrativ gelassen stellte die Pekinger „Volkszeitung“ dieser Tage fest: „Laßt den Wind blasen und die Wellen rollen ...“ Es wäre kein Wunder, wenn sich Leonid Breschnew davon bald einen bösen Schnupfen holte.

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