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Im Vorfeld Pekings

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Wenige Tage vor dem Waffenstillstand in Vietnam war Singapurs Minsterpräsident Lee Quan Yew Gast der regierenden Generäle in Bangkok. Kurze Zeit nach dem Waffenstillstand wurde die Konferenz von ASEAN (Assoziation der Südostasiatischen Staaten) nach Kuala Lumpur einberufen. Unter den fünf Staaten von ASEAN: Malaysia, Indonesien, Thailand, Singapur, den Philippinen, ist Singapur die dynamischeste Kraft, Wird von regionaler Sicherheitspolitik gesprochen, so hat Singapur, Südostasiens „Mini-Japan“, allein die harten Werte seiner Modernisierung und Industrialisierung als Rücklage.

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Wenige Tage vor dem Waffenstillstand in Vietnam war Singapurs Minsterpräsident Lee Quan Yew Gast der regierenden Generäle in Bangkok. Kurze Zeit nach dem Waffenstillstand wurde die Konferenz von ASEAN (Assoziation der Südostasiatischen Staaten) nach Kuala Lumpur einberufen. Unter den fünf Staaten von ASEAN: Malaysia, Indonesien, Thailand, Singapur, den Philippinen, ist Singapur die dynamischeste Kraft, Wird von regionaler Sicherheitspolitik gesprochen, so hat Singapur, Südostasiens „Mini-Japan“, allein die harten Werte seiner Modernisierung und Industrialisierung als Rücklage.

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Uberraschend schnell und reibungslos wird in der Region der ASEAN die Asiatisierung der asiatischen Politik in die Wege geleitet. Im vergangenen Jahr — nach Nixons Chinareise — sagte mir Ghazali Bin Shafie, der brillante Minister für Besondere Angelegenheiten in Malaysia: „In der Gehschule, wo wir bald die ersten Schritte unserer Selbständigkeit lernen werden, müssen wir uns vertragen. Sonst wird aus der Gehschule ein Aufmarsch-und Einflußgebiet entweder Moskaus oder Pekings.“ Ghazali war damals nicht sehr optimistisch. Die ersten Wochen in der Gehschule sind aber eine angenehme Überraschung. Die westlichen Großmächte sind schon daran, sich zu entfernen. Aber die so partikularistischen Staaten der Region sind noch nicht übereinander hergefallen. ASEAN geht daran, den Raum auszufüllen, so, daß in dem Vakuum zumindest kein Sog entsteht, der Moskau aus dem Indischen Ozean in gefährliche Nähe von Chinas Südküste, und die kleinen Staaten der Region in gefährliche Nähe des Unterganges brächte.

Gegensätzlichere Persönlichkeiten als Thailands orientalische Vollblut-potentaten und Singapurs oberlehrerhafter Autoritärsozialist wären schwer zu erdichten. Dennoch scheinen die Resultate der Sjneaaur-Thai-Gespräche in Bangkok alle Beteiligten mit der dringend benötigten Zuversicht versehen zu haben: Gemeinsam konzipierte Außenpolitik, Informationsaustausch, Verteidi-gungssynchronisierung sollen die ersten Stufen auf dem Weg zu einem gemeinsamen Sicherheitssystem sein; regional soll die Sicherheit gefunden werden, die man infolge des Disengagements der westlichen Großmächte verloren hat. Schon war aber Lee Quan Yews markante Handschrift in Bangkok zu erkennen. Thais und Singapur-Delegierte verkündeten fast gleichlautend: eine clevere Regionalpolitik sei sicherer als die intensivste Rüstung, Schlauheit sei in dieser Lage erfolgversprechender als Feuerkraft.

Auch auf der ASEAN-Konferenz in Kuala Lumpur kann man Singapurs Sprache heraushören. Raja-ratman, Außenminister von Singapur, formuliert elegant, was sein brüsker Chef denkt. Neutralität ist das schwärmerische Allgemeinrezept für diese Region. Unter westlichem Schirm konnte man sich das Schwärmen leisten und dessen Konkretisierung verschieben. Konkretisierung ist Rajaratmans Vorschlag, Konkretisierung in einer Wirklichkeit der noch immer bestehenden USA-Fliegerbasen in Thailand und natürlich auch der Nachbarschaft Chinas; als Neutralität, die allen freie Durchfahrt und möglichst freien Handel gewährt, Sicherheitsfragen aber mit den USA and mit China abstimmt. Wieder lag der Akzent auf der Verhütung von Krisen mit Priorität vor der Verteidigung in kritischen Situationen: die wichtigste Krisenverhütung ist es, Chinas Sicherheitsbedürfnis Rechnung zu tragen.

Vor der Konferenz beschrieb Raja-ratman die neue Situation: „Ob wir es uns eingestehen oder nicht, jeder Staat in dieser Region hat unter dem Schirm einer Großmacht gelebt. Jetzt gehen sie fort und nehmen ihre Schirme mit. Unsere eigenen Schirme halten schweren Unwettern nicht stand. Wir müssen verhüten, daß sich über unseren Köpfen kritische Unwetter zusammenziehen.“

Rajaratmans große Rolle in der ASEAN ist nicht weniger erstaunlich als Lees politische Harmonie mit den Thai-Generälen. Der Stadtstaat Singapur ist eine chinesische Enklave inmitten einer maiaisch-mohammedanischen Welt, ein fortschrittsbesessenes Energiekonzentrat in traditionalistischer Umwelt. Infolge des schwindenden Großmächteelementes wurde die Isolierung Singapurs in ASEAN durchbrochen; als Folge des wirtschaftlichen Triumphes — 15 Prozent Wachstum in jedem der drei vergangenen Jahre — wurde Singapur nun der harte Kern der regionalen Neutralitätsbestrebungen.

Singapur und Malaysia sind doppelt getroffen. Die Säulen der Verteidigung dieser beiden Commonwealth-Staaten war ANZUK, das Verteidigungsabkommen mit Neuseeland und Australien. SEATO wird in Canberra und in Wellington als ein Handschuh, dem die Hand längst entzogen wurde, gewertet. Die

ANZUK-Verteidigungsabkommen werden gerade abgetakelt. Die Labour-Siege in Australien und in Neuseeland vervollständigen die Asien-den-Asiaten-Politik Nixons. Von Neutralität in dieser Zone wird seit Jahren gesprochen, jetzt wird sie aktuell.

Die malaische Halbinsel, der indo-'hp$fc?crie' Ar“crnrjel,!,aie rrisrSgruppen der Philippinen sind die Barriere zwischen dem Südchinesischen Meer und dem Indischen Ozean. Eine Neutralisierung der Gewässer und der Territorien soll in erster Linie das Überqueren der sowjetischen Machtelemente aus dem Indischen Ozean in das Südchinesische Meer unterbinden. Die angestrebte und von den Sowjets mit ' großer Empörung quittierte Forderung nach Anrainerkontrolle über die Straße von Malakka war ein früher Schritt in dieser Richtung. Als die Auseinandersetzung zwischen Malaysia und Singapur auf der einen, der UdSSR auf der anderen Seite scharf wurde, gab es zum ersten Mal seit dem Kommunistenmassaker von 19B5 ein Lob der chinesischen Presseagentur Hsinhua für das antikommunistische Generalsregime in Indonesien, natürlich auch für Malaysia.

„Regionale Sicherheit und Neutralität ohne Zustimmung Chinas wäre regionale Neutralität gegen China“, sagte mir Ghazali bin Shafie. Alle Beteiligten wissen, daß eine Neutralität der Südostasiatischen Staaten mit ASEAN als Kern nur im Einvernehmen mit China existieren kann, und dieses Einvernehmen ist nur zu erzielen, wenn die Neutralität eine Funktion in Pekings Sicherheitsdenken hat. Sie hat diese Funktion. Hier kann die UdSSR ihren geplanten Isolierungsgürtel rund um China nicht schließen, wenn die Staaten der Region ein System der Sicherheit durch Neutralisierung finden.

ASEAN als Basis der regionalen Neutralität bedarf der Erweiterung. Zu den fünf Gründerstaaten sollen jetzt noch Burma, beide Vietnam, Kambodscha und Laos kommen. Diese Erweiterung wird auf der Konferenz in Kuala Lumpur besprochen werden — und hat bereits den Segen Pekings. Bevor noch der neue Plan der Erweiterung von ASEAN als Voraussetzung für Zonenneutralität auftauchte, riet Tschu En-lai dem burmesischen Staatsführer, General Ne Win, zur Teilnahme an den Vorbereitungen einer Neutralitätszone. Und Peking ließ erkennen, daß die Verwirklichung dieses Planes die Lösung für die meisten Probleme zwischen China und der südostasiatischen Umwelt bringen könnte. Kommt es zu einer regionalen Neutralität, so wird Peking in allen umstrittenen Territorien Kompromißbereitschaft zeigen.

Erstaunlich ist das Fehlen von Angst in den Staaten, die von der Reduktion des Großmächteschutzes unmittelbar betroffen sind; erstaunlich die Reife, mit der man Lösungen sucht, und die Richtung, in der solche Lösungen gesucht werden: Sicherheit für China, Neutralität gegenüber den USA und Abweisen sowjetischer Annäherungen. Selbstverständlich: Je klarer diese Linie sich abzeichnen wird, um so stärker werden die Sowjets ihre Kompensation auf dem indischen Subkontinent — und eventuell in Japan suchen.

Auf dem süd- und südostasiatischen Feld hat Nixons Chinapolitik nicht so sehr das gefürchtete Vakuum als eine neue Demarkationslinie verursacht. Die UdSSR hat sich Priorität auf dem indischen Subkontinent erworben und will ihren Einfluß, wie die irakischen Waffenlieferungen an Pakistani-Sezessionisten zeigen, auch in Pakistan auf Kosten Chinas festigen. China konnte aber im südlichen Südostasien ein Netz offizieller und inoffizieller Verbindungen zu den meist antikommunistischen Regierungen legen; eine Neutralisierung der Zone wird, Peking das beruhigende. Vsiirfeld> im: iSüdchjrM?(ti8eben Meer bieten. Die USA beobaditen von ihren Enklaven des Rückzuges, Thailand und, bis 1974, sicher auch die Philippinen, die Verknüpfung des kommunistischen China in eine chinabewußte Südostasien-Diplomatie. Wo bleibt Japan?

Als Nixon anläßlich seiner China-reise den japanischen Ministerpräsidenten wie einen subalternen Diplomaten im State Department behandelte, indem er ihn nicht informierte, sprach man überall von Yankee-Rüpelhaftigkeit. Rüpelhaftigkeit mag sein — doch nicht Yankee Unbekümmertheit, sondern Nixon^ Berechnung. Japan, von den USA selbst zum Rivalen der USA hoch' gespielt, sollte als Großmacht wieder ausgeschaltet werden. 1945 war für Japan das Jahr der Kapitulation, nicht des Gesichtsverlustes. 1971 und 1972 wurden die Jahre des Gesichtsverlustes. Es hat ein anderes Ge wicht, ob man vom Feind besiegt wird oder vom Freund übergangen Gesichtsverlust einer asiatischen Macht — nicht einer europäischen die kein Gesicht zu verlieren hat — ist ein Ausschließungsgrund in der asiatischen Politik. Die Größe des wirtschaftlichen Einsatzes Japans in Südostasien verstärkte die Schaden freude der armen Staaten. Zu Nixons neuer Außenpolitik gehörte die Demütigung Japans, das heute und bis auf weiteres eine politische Macht zweiter Größe bleiben soll.

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