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Singapur schert aus

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Die Loslösung Singapurs aus Malaysia kann man wohl als ein Symptom des Zerfalls dieser Föderation betrachten. Malaysia verliert nunmehr den Knotenpunkt zur Verbindung mit seinen Territorien auf Borneo. Särawak, das 1841 bis 1941 ein Radschareich unter der weißen Brooke-Dynastie war, bereitet bereits ein Plebiszit über die Zukunft des Landes vor. Sukarno hat übrigens dieses Gebiet als Ziel zur Annektierung erklärt, während die

Philippinen Sabah, das erst 1888 zum britischen Protektorat unter der British North Borneo Company gemacht wurde und vorher dem Sulu-Sultanat der Philippinen gehörte, zurückfordern. Die Zersplitterung Malaysias ist natürlich, weil es — objektiv gesehen — doch ein künstliches Gebilde der britischen Fernostpolitik ist, da die malaiische Halbinsel und der nördliche Teil Borneos in vieler Hinsicht kaum einen Zusammenhang aufweisen. Außer der geographischen Trennung und dem wirtschaftlichen Gegensatz zwischen Malaya und dem nördlichen Teil Borneos gibt es auch noch Rassenunterschiede. Die Dajak, Iban, Kajan, Punan und vor allem Dusun auf Kalimantan (indonesischer Name für Borneo) sind zwar anthropologisch mit den Malaien verwandt, gelten jedoch heute nicht mehr als Malaien.

Singapur (vom Sanskrit Singapura = „Löwenstadt“) war vor der Gründung der englischen Handelsniederlassung durch Sir Stamford Raffles, 1819, eine nur von wenigen malaiischen Fischern bewohnte, verlassene Insel. 1824 kauften die Engländer die Insel vom Sultanat Johore-Lingga und bauten sie langsam zum „Malta des Ostens“ aus. „Ohne Chinesen gibt es kein Singapur!“ soll Raffles gesagt haben. Durch Fleiß und Schweiß der chinesischen Kulis, die die Engländer als Tschü-tschai (kantonesischer Dialekt, bedeutet „Schweinchen“) in China kauften und nach Singapur „schanghaiten“, wurde dieses Fischerdörfchen zu einer chinesischen Weltstadt. Singapur ist heute nicht nur eines der größten Zentren der Überseechinesen, sondern auch das Bollwerk der überseechinesischen Macht, Wirtschaft und Zivilisation. Von hier aus dehnen sich das Kapital und der Nationalismus der „Söhne des Gelben Kaisers“, wie sich die Überseechinesen gleichfalls nennen, in ganz Südostasien aus. Noch vor dem zweiten Weltkrieg war Singapur dank eines chinesischen

Multimillionärs, Tan Ka Kee, bereits die Hochburg des überseechinesischen Patriotismus. Im Laufe des Krieges organisierte die Magong (KP Malayas), die hauptsächlich chinesisch ist und sich in Singapur konzentrierte, den antijapanischen Widerstand in Malaya, auf Sumatra, Westborneo und Luzon der Philippinen. Nach Kriegsende gingen die Singapurchinesen rasch zum Linkskurs über. Seitdem spielt diese Stadt im revolutionären Gedanken der

Uberseechinesen die wichtigste Rolle.

Die Abneigung Singapurs gegenüber Malaysia ist nur auf rassische Gründe zurückzuführen. 1946 gründete Datuk, der Schwiegersohn des Johore-Sultans und zugleich der Premierminister dieses Sultanats, die UMNO (United Malayu Nationalist Organisation) in Johore Bharu, der Hauptstadt Johores. Seit der Unabhängigkeit Malayas (Persekutuan Tanah Melayu), 1957, und besonders seit der Bildung der malaysischen Föderation, 1963, gewann diese malaiisch-chauvinistische Partei immer mehr Einfluß in der Innenpolitik. Die malaiischen Führer wollen die in der Föderation lebenden Chinesen, die die Hälfte der Gesamtbevölkerung bilden, nicht nur in ihren politischen Rechten beschränken, sondern sie treiben auch eine Politik der Malaiisierung beziehungsweise Mohammedanisierung der Chinesen. Diese eindeutige Diskriminierung führt selbstverständlich zu einer Antipathie der Chinesen, die sich von Tag zu Tag mehr als „Bürger zweiter Klasse“ fühlen, obwohl sie in allen Aspekten den Malaien weit überlegen sind.

In Malaya und Singapur befinden sich zwei politische Großparteien der Chinesen: Die Ma Hwa Kung Hui (Malayan Chinese Association) in Malaya und die PAP (People's Action Party) in Singapur. Die erste wurde 1940 von Tan Tin Liok, einem chinesischen Multimillionär, gegründet und ist eine rechtsgerichtete Partei der Kaufleute und „Kapitalisten“, die mit den Malaien und Engländern eng zusammenarbeiten, weshalb sie auch von den Kommunisten oft als „Lakaien der Imperialisten“ bezeichnet wurden. Dagegen ist Singapurs PAP, die 1954 vom Rechtsanwalt Lee Kuang Yew ins Leben gerufen wurde und seit 1958 die Regierungspartei des Stadtstaates ist, von ganz anderer Art: Die meisten ihrer Mitglieder sind Arbeiter, Studenten, Intellektuelle, Freiberufstätige und Beamte. Lees Ideologie ist eine Mischung von

Sozialismus und Nationalismus, die seine politische Richtung endlich zum Antikommunismus umwandelte.

Der Nationalismus mit sozialistischer Tendenz der Singapurchinesen muß nicht unbedingt mit dem in China (Rot- oder Nationalohina) identisch sein. Da die Uberseechinesen in Südostasien seit Jahrhunderten Wurzeln geschlagen haben, entwik-kelten sie in mancherlei Hinsicht einen „Nanyang- (chinesischer Name für Südostasien) Nationalismus“, der zwischen ihrem eigenen Interesse und der Treue zu China schwankt. Zwei typische Beispiele: Einer meiner Kollegen aus Singapur, Arbei-tersson und Anhänger Lees, sitzt seit 1957 in Peking hinter Schloß und Riegel. Der zweite Kollege, Millionärsohn und Mitglied der Chinesischen Kommunistischen Jugend, kehrte 1960 nach Singapur zurück und genießt wieder das „kapitalistische Leben“. Die Fahne als Symbol

Lee Kuang Yew war anfangs bereit, Singapur ganz mit der malaysischen Gesellschaft zu verschmelzen. Einer der Beweise ist die Flagge des Singapurstaates, die schon 1959 eingeführt wurde: Die Grundfarben sind Rot und Weiß, die der indonesischen Sang Merah Putih (Rot-Weißfahne) entsprechen. Links oben kreisen fünf Sterne für Chinesen, Malaien, Inder, Eurasier und Engländer, daneben steht jedoch ein islamischer Halbmond, obwohl die Chinesen, die 75 Prozent der Inselbevölkerung ausmachen, keine Mohammedaner sind. Aber die Gier nach noch größerer Macht und die Eifersucht der Malaien sind stärker als das Symbol der Einigkeit; sie haben die Singapurchinesen praktisch gezwungen, aus dem Bund auszuscheiden. Singapurs Austritt ist für den Westen zweifellos ein schwerer Schlag, aber er verhindert gleichzeitig einen noch unglücklicheren Bürgerkrieg zypriotischer Prägung, der sofort die Intervention Rotchinas und Indonesiens herbeiführen könnte.

Die Haltung Lees hängt in Hinkunft davon ab, wie sich Sukarno gegenüber Negara Singapura verhält. Die bevorstehende Freundschaft zwischen Singapur und Indonesien basiert nur auf beiderseitiger Taktik. Lee muß Freundschaft mimen, um den Druck Kuala-Lumpurs zu erleichtern, hingegen benützt Sukarno die neue Freundschaft, um Malaysia endgültig zu zerschlagen. Aber das rassische beziehungsweise nationalistische Ber wußtsein wird in den Vordergrund treten. Die Singapurchinesen haben allerdings nicht vergessen, wie Sukarno ihre Dschiao-bao (überseechinesische Landsleute) noch vor ein paar Jahren in Indonesien unterdrückt hat. Wenn Djakarta Singapur später zuviel unter Druck setzt und seine Unabhängigkeit gefährdet, werden die Frontformationen sich bald ändern — die Singapurchinesen würden dann gezwungen, sich an Rotchina um Schutz und Hilfe zu wenden, und die Malaien, die den Indonesiern eigentlich ganz gleich sind, würden den Widerwillen der malaiischen Feudalherren außer acht lassen und freiwillig ins „Indonesia Raya“ (Großindonesien) gehen.

Der Puffer verschwindet

Der Schwerpunkt der asiatischen Politik wird sich in den nächsten Jahren nach Südostasien verlagern, und die Hauptspieler, die sich unmittelbar und feindselig gegenüberstehen, werden Rotchina und Indonesien sein. Im Vergleich mit dieser Zukunftmusik ist der heutige Streit um Malaysia nur ein Intermezzo.

Die chinesisch-indonesischen Beziehungen nach 1949 sind durch drei Phasen gekennzeichnet: 1949 bis 1963 kühl, 1963 bis 1965 warm und dann später kalt. Der Wendepunkt ist der Austritt Singapurs aus der von den Malaien beherrschten Föderation, Dieser Akt bedeutet das Verschwinden des Puffers zwischen Indonesien und Rotchina und stellt gleichzeitig die Ouvertüre des zukünftigen Machtkampfes der Gelben und der Braunen dar.

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