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Indonesia - das zweite Inselreich des Fernen Ostens

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In den unaufhaltsamen Prozeß der Loslösung der asiatischen Kulturvölker aus der europäischen Vormundschaft hat sich ein neuer bedeutsamer Akt vollzogen. Jenes Kolonialreich in der Inselwelt Südostasiens, das die Niederlande zu einer wirtschaftlichen Großmacht aufblühen ließ, beansprucht nun sein Sellbstbestimmungsrecht und ist daran, es in weitem Maße zu erringen.

Als die niederländischen Seefahrer auf den Spuren der Portugiesen als Korsaren und Händler nach der Inselwelt des Pazifischen Ozeans gelangten, da hatte dort der Einbruch des Islams erst begonnen. Im Westen war die alte hinduistische Kultur im Versinken, im Osten hatte die katholische Mission der Portugiesen und Spanier weite Schichten der Bevölkerung dem Christentum gewonnen. Die Haltung der Holländer, der damaligen Gegner der Spanier und Portugiesen, war von der Gegensätzlichkeit ihres Kalvinismus zur katholischen Religion bestimmt. Sie verbündeten “sich mit dem Islam und trugen dazu bei, daß die Sprache der Malaien zur Verkehrssprache der Inselwelt und sogar in Gebieten wo sie fremd war, zur Landes-sprache| wurde. Das Niederländische wurde' von ihnen gegenüber dem Eingeborenen als eine Art Geheimsprache für den Verkehr der holländischen Kolonisatoren unter sich behandelt. So geschah es, daß die holländischen Kolonisatoren, anstatt in dem vielsprachigen Inselgebiet .ihre eigene Sprache zur Verkehrsund Bildungssprache zu machen und ihre eigene Religion auszubreiten, die ersten Voraussetzungen zu einer gegen sie gerichteten Nationalbewegung schufen. Hier kolonisierte eben nicht ein Staat oder eine Nation aus weitschauender Planung, sondern ein Handelsgesellschaft, die „Niederländisch-Ostindische-Kompanie“, Vorgänger und Vorbild der Englisch-Ostindischen Kompagnie.

Die Niederländer waren auf den Inseln auf ein Konglomerat einander bekämpfender Kleinstaaten gestoßen, die zum Teil heute noch bestehen. Erst nach den Napoleonischen Kriegen und einer Zwischenepisode britischer Herrschaft erfolgte die Auflösung der Handelskompanie und die Übernahme der Kolonialverwaltung durch den • niederländischen Staat. Es setzte eine Entwicklung ein, deren Vorteile auch die indonesisdien Nationalisten nicht leugnen können. Die Holländer befriedeten die Kleinstaaten, schützten die rückständigen Inlandsstämme gegen stärkere Nachbarn, ihre Sklavenjagden und Landräubereien, und begründeten die Voraussetzungen für eine aufblühende Wirtschaft dieser Inselwelt, wie es kaum irgendwo eine ihresgleichen gab.

Dieses Aufblühen fand seinen deutlichsten Ausdruck in dem raschen Ansteigen der Bevölkerung. Auf mehr als ll/s Millionen Quadratkilometer lebten zu Beginn des 19. Jahrhunderts 10 Millionen Menschen. Vor dem ersten Weltkrieg war diese Zahl auf 35 Millionen angestiegen und heute zählt Indonesien weit über 60 Millionen Menschen. An dieser Zunahme ist vornehmlich Java beteiligt, das als viertgrößte der Inseln mehr als 40 Millionen Bewohner zählt, die sich auf drei Nationen verteilen, deren Sprachen untereinander ungefähr so verwandt sind wie die romanischen Sprachen Europas. Etwa 20 Millionen sind eigentliche Javanen, 11 Millionen Sundanesen und etwa 6 Millionen Maduresen. Dazu kommen einige Millionen Balinesen, die letzten Vertreter der einstigen blühenden hinduistischen Kultur, Europäer, Chinesen, andere Asiaten, und Mischlinge aller dieser Fremden mit den Einheimischen. Sumatra, das viel größer als Java ist, ist nur von etwa 5 Millionen bewohnt, von denen 3 Millionen Malaien sind, 600.000 Atjeher und über 600.000 Bataks, als letzter Rest der einstigen Ureinwohner und ihrer Kultur und Religion. B o r n e o, die größte der Inseln, könnte mit Leichtigkeit 50 Millionen Menschen beherbergen und zählt nur 3 Millionen. Die Küstenränder der Insel sind von malaischen Siedlern und Chinesen besetzt, während im Innern die Reste der Urbevölkerung, die Altstämme der Dajak, noch das Land behaupten. Die große Insel C e 1 e b e s besitzt überhaupt nur 700.000 Einwohner. Im Osten dieser Inselwelt tritt d?r islamitische Einfluß mehr zurück; während die Altvölker der Westinseln mehr eropoide Rassentypen “eigen, treten im

Osten mehr melaneside und papuide Rassentypen auf. Es gibt weit über 70.000 einheimische Christen und ihre Zahl ist im Ansteigen begriffen.

In dem Leben und Treiben der Bevölkerung kommt den I n d o s, diesen Mischlingen zwischen Europäern und Einheimischen, eine besondere Rolle zu. Ursprünglich gesellschaftlich und rechtlich zurückgesetzt und zum öffentlichen Dienst nicht zugelassen, haben sie sich die völlige Gleich-bereditigung errungen, und einige aus ihrer Mitte sind bis in die höchsten Stellungen aufgestiegen. Solange sie deklassiert waren, bildeten die Indos den Nährboden für radikale Agitationen. E dw ard Douwes Dekker, dieser unter dem Namen Multatuli weltbekannte Schriftsteller, war es, der unter ihnen für den Zusammenschluß mit den reinrassischen Einheimischen in einer Unabhängigkeitsbewegung erfolgreich warb. Der dieser Bewegung entsprungene „I n d o-europeesche Verbond“ zählte 1934 14.000 Mitglieder. Er hatte das Verlangen nach Autonomie auf seine Fahne geschrieben, aber unter Aufrechterhaltung des Bandes mit dem Mutterlande. In den Niederlanden leben mehr als 32.000 in Indonesien geborene Inder-Europäer. Unter den reinrassigen Europäern (Niederländern) gibt es zwei Kategorien: die im Mutterland geborenen Trekkers, die nur zur Ausübung eines

Amtes oder zu Geschäften nach Indonesien kommen und wieder zurückkehren, und die „Blijvers“ („die Bleiber“), solche Holländer, die sich dauernd in Indonesien ansiedeln und dort Familien gründen.

Die Chinesen spielen in Handel und Verkehr als Händlerunternehmer, im Kreditwesen, aber auch als Industriearbeiter und Bauern eine große Rolle. Als Abwehr und Boykottbewegung gegen ihren Einfluß entstand 1908 die Vereinigung „Sarikat“, die 1916 bereits 360.000 Mitglieder und wenige Jahre darauf, über ganz Indonesien ausgedehnt, schon mehr als 2% Millionen Mitglieder umfaßte. Die große Macht dieses Bundes wurde von mancherlei Kräften aus dem sozialistischen und kommunistischen Lager umworben.

Die sprunghafte wirtschaftliche Entwicklung, vor allem auf Java, ließ eine zahlreiche Industriearbeiterschaft und zugleich alle mit Industrie zusammenhängenden sozialen und politischen Probleme entstehen. Seit dem ersten Weltkrieg traten in Indonesien vorzüglich geschulte kommunistische Agitatoren auf den Plan, die in diesem politischen Neulande günstige, Voraussetzungen für ihre Propaganda vorfanden. Kommunisten sowohl wie Sozialisten führten in ihren Parolen die Forderung nach der vollen Selbständigkeit Indonesiens, ein Verlangen, das sich mit dem der Nationalisten deckte. Der Kommunismus gewann in diesem Wettbewerb das Rennen und identifizierte sich mit dem Nationalismus. Als er zur Propaganda der Tat überging, Aufstände aufflammten und üble Erscheinungen im Heere sich zeigten, auch unter den eingeborenen Staatsangestellten, vermochte der Staat wohl die Rebellion zu unterdrücken, konnte aber die Ursachen nicht aus der Welt schaffen.

Wenn man die indonesische Nationalbewegung verstehen will, muß man sich darüber klar sein, daß die Verallgemeinerung des Volksnamens „M a 1 a i e n“ auf alle Bewohner Indonesiens eine europäische Falschmeldung ist, und daß es zwar eine Gruppe indonesischer Sprachen, aber kein indonesisches Volk gibt. Malaisch ist die Sprache einer Minderheit und nur auf Sumatra seit langem bodenständig, wird aber von den javanischen Intellektuellen nach niederländischem Vorbild als Verkehrsund Buchsprache verwendet. Erst eine allgemeine Schulbildung könnte das Malaische zur Schriftsprache ganz Indonesiens machen. Es gibt bis heute noch keine indonesische Nation, wie auch keine einheimische Gesamtbezeichnung für diese Inselwelt. Der indonesische Nationalismus ist eine Uber-tragung des europäischen Nationalismus nach Asien durch europäisch gebildete Eingeborene. Sobald einmal die staatliche Einigung durch den gemeinsamen Gegensatz zu den europäischen Beherrschern wegfällt, werden die alten Sprach- und Volksgegensätze zum Vorschein kommen.

Es ist bezeichnend, daß der erste Anstoß zu einer Pan-indonesischen, gegen Holland gerichteten Partei,- 1912 eben von dem Niederländer Douwes Dekker (Multatuli) ausging. Diese „Partai Nasional Indonesia“, deren Name kein einziges Wort einer indonesischen Sprache enthält, stand von Anfang an unter scharf links gerichteten Einflüssen. Ihr Führer, Dr. Sukarno, der 1928, zwei Jahre nach der Gründung, das Steuer der Partei ergriff, verfügte schon kurze Zeit darauf über Tausende geschulte Agitatoren. Mit großer Voraussicht traf er schon damals Maßregeln für den Fall des Ausbruches des Krieges der Großmächte um den Stillen Ozean und den Fall einer Besetzung Indonesiens durch eine der kämpfenden Großmädite. Er behielt die Führung, auch als die Japaner Indonesien besetzten. Sein Plan trug dem Gemisch der Völker und Sprachen durch ein Programm föderativer Verfassung Rechnung.

Die niederländische Regierung war nicht blind gewesen. Schon längst hatte sie sich zu dem Grundsatz bekannt, die Kolonialverwaltung habe die Pflicht, die Wohlfahrt zu fördern. Immer mehr zog sie die Ein-' geborenen zu den Beamtenstellungen heran und schon 1903 gab es Ansätze zu Vertretungskörpern und einem Föderativstaat. Der erste Weltkrieg beschleunigte die Entwicklung. Der Verfassungsreform von 1922 folgte bereits der Auftrag zur Vorbereitung einer Autonomie. Versdiiedene Repräsentativkörperschaften wurden eingerichtet, obwohl verfassungsmäßige Einrichtungen diesen asiatischen Völkern ebenso fremd sind wie etwa den alten Römern und Griechen. Der 1918 als gesetzgebendberatende Körperschaft für ganz Indonesien eingesetzte „Volksraad“ mit 15 durch die Regierung ernannten und 15 indirekt gewählten Mitgliedern entsprach jedoch nicht den hochfliegenden Plänen der Nationalisten. Daß die nationalistische Partei verboten und Sukarno zu Gefängnis verurteilt wurde, konnte aber die Entwicklung auch nicht aufhalten.

Es kam der zweite Weltkrieg und die Besetzung Indonesiens durch die Japaner, die alsbald die nationalistische Bewegung begünstigten und vor ihrer Kapitulation ihre Waffen den indonesischen Nationalisten übergaben; sie befähigten Sukarno, seine Nationalarmee aufzustellen, bevor noch die Niederländer und Briten eingreifen konnten. D/e Japaner hatten damit ein Feuer angezündet, das den Siegern schwer zu schaffen machte. Nun raste Krieg durch die Inseln. Es wurde viel Blut vergossen. Dr. Sukarno, von seiner Anhängerschaft zum Präsidenten der „Indonesischen Republik“ ausgerufen, erwies sich in dieser Lage als eine Persönlichkeit von staatsmännischen Fähigkeiten. Er erkannte die Grenzen des Möglichen; ihm und ebenso dem holländischen Generalgouverneur Dr. van M o g k, diesem zähen und klugen Verhandler, war es zu danken, daß das Band zwischen den Niederlanden und Indonesien nicht völlig zerriß, und schließlich zwischen Holland und der nationalistischen Regierung ein gemeinsamer Plan vereinbart werden konnte, demzufolge die früheren Kolonien von „Niederländisch-Indien“ als „Vereinigte Staaten von Indonesien“ in eine Art Föderativverhältnis zum Mutterlande treten sollen.

Noch stehen den Lenkern des neuen Staates harte Aufgaben bevor.

Ein Brief aus Batavia

Aus unserem Leserkreit wird der „Furche“ ein vom 2. Jänner datierter Brief eines kalvinischen Missionärs aus Batavia zur Verfügung gestellt, der die vorstehenden Ausführungen wertvoll ergänzt.

Der indonesische Konflikt stellt wahrscheinlich die schwierigste Angelegenheit dar, die Holland in den letzten zwei Jahrhunderten zu lösen hatte. Nach mehr als einem Jahre sind wir nun so weit, daß die chaotischen Zustände, die der japanischen Kapitulation folgten, durch ein Provisorium abgelöst sind, das schon die Umrisse der künftigen staatsreditlichen Ordnung zwischen Indonesien und den Niederlanden zeigt. Die „N iederländisch - indonesische Union“ stellt eine Art Personalunion dar, in der die niederländische Krone das Haupt sein soll; sie umfaßt einerseits das „Königreich der Niederlande“ (Holland und die Gebiete in Westindien) und andererseits die „Vereinigten Staaten von Indonesien.“ Dieser letztere Bundesstaat besteht aus drei republikanischen Staaten: der „Republik Indonesien“ mit den Inseln Java und Sumatra, zweitens dem „Staat B o r n e o“ und drittens dem Staat „O st-Indonesien“ mit Celebes und einer Anzahl kleinerer Inseln. Mit unsäglichen Mühen wurde dieser Akkord zwischen den Vertretern der Niederlande und der Republik Indonesien erreidit. Vom holländi-sdien Parlament angenommen, bedarf er noch der Bestätigung durch das indonesische. In dieser Versammlung, die nicht durch freie Wahl zustande gekommen ist, walten radikale Strömungen vor, radikalere, als sie in der Regierung der indonesischen Republik wirksam sind.

Viele Republikaner billigen den Akkord mit dem Mutterlande, aber es gibt auch eine andere Ridnung, die von der höheren Politik freiwilliger Zusammenarbeit mit dem Mutterlande nodi nicht viel begriffen hat und nach vollständiger Lostrennung von Holland ruft. Noch immer ist die Lage gespannt. Wörde die indonesische Volksversammlung den Akkord' nicht annehmen und die jetzige Regierung S j a h r i e gestürzt werden und einer radikalen Führung Platz machen müssen, dann droht neuerlidi schwere Unordnung hereinzubredien.

In Batavia' und seiner Umgebung haben die Niederländer das Regiment fest in der Hand. Während andere Städte, wie Sura-baya, eine Art durdn Holland besetztes Gebiet darstellen, hat Batavia das Gesidit einer „internationalen Conzession“ unter holländischer Oberhoheit. Hier haben allerlei offizielle Instanzen beider Autoritäten des Mutterlandes und der republikanischen Regierung ihren Sitz'und arbeiten gedeihlich zusammen. Man sieht beide Flaggen in der Stadt, und äußerlich leben die verschiedenen Lager ruhig nebeneinander. Die Stimmung hat sidi seit dem Spätsommer merklich gebessert. Wir in der Mission sind uns wohl bewußt, daß in dem Nationalismus, der sich hier erhoben hat, viele Gefahren wohnen, aber, wir haben doch lernen können, was die Freiheit für ein Volk bedeutet, das sich selbst ernst nimmt....

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Der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867 als Vorbild

„Die Vereinigten Staaten Indonesien“ werden künftig für sich wiederum ein Glied in dem künftigen Bundesstaat der „Holländisch-indonesischen Union“ bilden. Diese wird einerseits die Niederlande und ihre kolonialen Besitzungen Surinam und Curacao umfassen und andererseits die „Vereinigten Staaten Indonesien“, das Ganze zusammengeschlossen in einer Realunion mit einer monarchisdnen Spitze, dem Könighaus von Holland, und gemeinsamer Vertretung der gemeinsamen Interessen, also der auswärtigen Politik, der nationalen Verteidigung und gewisser kultureller und wirtschaftlicher Gebiete. Wie wir in einer längeren Information von „Le Monde“ über den geplanten staatsrechtlichen Aufbau lesen, werden wahrsdieinlich für die beiden Hauptgruppen der Union zwei Parlamente bestehen, die, wie das Pariser Blatt auseinandersetzt, wahrscheinlich durch die Art von „Delegationen“ nach dem Muster des 1867er Ausgleichs zwischen Österreich und Ungarn miteinander verbunden sein werden.

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