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Kautschuk, Pfeffer und Partisanen

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Als am 31. August, unter den feierlichen Klängen des „God save the Queen“, der Union Jack zum letztenmal vom Flaggenmast des Regierungsgebäudes in Kuala Lumpur eingeholt wurde, war die Staatwerdung eines Gebietes verwirklicht, welches die materiellen Voraussetzungen der Unabhängigkeit in hohem Maße besitzt. Das jüngste Mitglied des britischen Commonwealth of Nations ist ein von Natur aus reiches Land; reicher, nach seiner Größe und der Kopfzahl der Bevölkerung gemessen, als alle, die vor ihm seit Ende des zweiten Weltkrieges den Status der Eigenstaatlichkeit erlangt haben. Allein seine Ausfuhr von Rohkautschuk, die ein Drittel des Weltbedarfs deckt, erbrachte 195 5 den Gegenwert, überwiegend in amerikanischer Währung, von 185 Millionen Pfund und gewann damit dem Sterlingblock mehr Dollars als jedes andere Produkt des Commonwealth. Weitere wichtige Posten im malayischen Ausfuhrhandel sind — ebenfalls in der Höhe eines Drittels der Weltproduktion — Zinn, ferner hochwertiges Eisenerz, welches nach österreichischem Vorbild im Tagbau aus mehreren „Erzbergen“ gewonnen wird, Gold und andere Metalle, wertvolle Hölzer, Kokos,. Tee, Pfeffer und anderes mehr. Demgegenüber erreicht beispielsweise der Gesamtexport der Indischen Union, trotz ihrer 48mal größeren Bodenfläche und ihrer 60mal größeren Bevölkerungszahl, wertmäßig nicht einmal das Doppelte der malayischen Ausfuhren. Der Nutzen aus einer so günstigen Situation kam zu einem großen Teil den breitesten Bevölkerungsschichten zugute, woraus sich die Tatsache erklärt, daß der allgemeine Lebensstandard in Malaya höher ist, als in irgendeinem anderen Gebiete Südostasiens.

Schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts begann die malayische Halbinsel ein Ziel chinesischer Emigranten zu werden, die sich im Süden als Pflanzer und in den weiter nördlich gelegenen Sultanaten als Unternehmer im Zinnbergbau einen neuen Erwerb suchten. Sie brachten bedeutende Kapitalien ins Land — zeitweilig waren bis zu 80 Prozent der Zinnförderung in chinesischen Händen — und im weiteren Verlauf einen stetig wachsenden Zustrom -.-von’ Arb®itskrähtoiians‘:«den:i'übea&i- völkerten Provinzen Südchinas, wobei es sich freilich, ebenso wie bei den später aus Indien „importierten“ Tamilen, die sich bei der Kautschukgewinnung unentbehrlich machten, vorwiegend um Leute handelte, die von vornherein nicht die Absicht hatten, länger in Malaya zu bleiben, als bis sie genug erspart haben würden, um als ganz bescheidene Rentner in ihre Heimat zurückkehren zu können. So leben heute unter den ständigen Bewohnern Malayas nur etwa 2,3 Millionen Chinesen, obzwar die Zahl der chinesischen Zuwanderer im Laufe des 19. Jahrhunderts schätzungsweise fünf Millionen und zwischen 1900 und 1947 gar 12 Millionen betragen hat. Aber jene 2,3 Millionen bilden immerhin 39 Prozent der rund sechs Millionen zählenden Gesamtbevölkerung Malayas und da weitere 11 Prozent von Indern, Pakistani und Ceylonesen gestellt werden und zwei Prozent von sonstigen Fremdrassigen, sind die Malayen im eigenen Land in der Minderheit. Die sich daraus ergebende latente Spannung besonders zwischen den beiden Hauptgruppen der Bevölkerung blieb bis zum zweiten Weltkrieg in einer durch Herkommen und Verschiedenheit der Volkscharaktere wie vielfach auch durch räumliche Trennung gemildert. Zwischen den als Bauern, Fischer oder Handwerker in ihren Dörfern lebenden Malayen und den Chinesen, die hauptsächlich als Kaufleute, kleine Landwirte oder Grubenarbeiter in den Städten oder in eigenen Siedlungen zu finden waren, gab es noch weniger Kontakte als zwischen Malayen und Indern oder Ceylonesen, aus deren Reihen sich das Gros der Beamten und Privatangestellten sowie die Kleinhändler und die Arbeiterschaft auf den Gummiplantagen rekrutierten.

Die gegebene Vielfalt/abstammungs-, sprach- und religiönsbedingter Loyalitäten stand bis zu Kriegsbeginn der Entwicklung eines allen Volksteilen Malayas gemeinsamen Staats- und Nationalgefühls im Wege. Die bestehende Ordnung unter britischer Schutzherrschaft wurde keineswegs als unerträglich empfunden und die von einzelnen propagierte Unabhängig- keitsparole fand nur geringen Widerhall. Erst die japanische Invasion im dritten Kriegsjahr ließ ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Schicksalsverbundenheit aller Bewohner der malayischen Halbinsel zur Entfaltung kommen und damit auch das Verlangen nach einer unabhängigen staatlichen Gemeinschaft. Aber neben den in Malaya befindlichen Europäern waren es die Chinesen, die unter dem harten

Druck der Japaner weitaus am meisten zu leiden hatten, und die unter Führung einiger waghalsiger britischer Offiziere gebildete bewaffnete Resistance gegen die Okkupanten setzte sich denn auch fast ausschließlich aus Chinesen zusammen. Das hatte weitreichende Folgen. Obzwar es weniger die Tätigkeit dieser Guerillas war als vielmehr der unübersehbare malayische Dschungel, der die japanischen Besatzungstruppen überwältigte und schon vor Hiroshima zur Kapitulation zwang, beanspruchte die mehr und mehr unter kommunistischen Einfluß geratene „Armee der Freiheitskämpfer“ nach Kriegsende ihre Anerkennung als die politisch führende Macht, in ganz Malaya. Als dieses Ansinnen zurückgewiesen wurde und die Regierung, gestützt auf britische Streitkräfte und die unzweifelhafte Mehrheit der Bevölkerung, die Entwaffnung der „Freiheitskämpfer“ verfügte, zogen sich Tausende von ihnen in den Dschungel zurück, um von dort aus durch Ueberfälle und Terrorakte aller Art das Land, wie sie glauben mochten, für die „Demokratie“ kommunistischer Prägung reif zu machen. Nach fast zehnjähriger Dauer hat das blutige Treiben dieser chinesisch-kommunistischen Banden nunmehr praktisch ein Ende genommen, aber abgesehen von den schweren Opfern, die es dem Land und seiner friedlichen Bevölkerung auferlegt hat, wurde es die Ursache einer neuerlichen Verschärfung der malayisch-chinesischen Spannung auf der Halbinsel. Lange schien es, als ob der schon während des Krieges gefaßte Beschluß der britischen Regierung, Malaya sobald als möglich als ein geeintes und souveränes Staatswesen erstehen zu lassen, für absehbare Zeit undurchführbar bleiben würde. Erst nach schier endlosen Verhandlungen, bei denen insbesondere der britische Generalkommissar in Südost- asien, Malcolm MacDonald, und der nunmehrige erste Ministerpräsident der Malayischen Föderation, Prinz Abdul Rahman, Klugheit und unerschöpfliche Geduld bewiesen, gelang es, die drei großen politischen Parteien — die Vereinigte Nationale Organisation der Malayen, die Vereinigung Malayischer Chinesen und den Kongreß Malayischer Inder — in einer „Allianz“ zusammenzubringen und schließlich zur An- nahaoft rden etettew.’ Kraft getretenen-ÄndgS- verfassung zu bewegen.

Diese Verfassung entspricht dem parlamen-

tarisch-demokratischen Prinzip durch die Institution eines Repräsentantenhauses, welches auf Grund eines allgemeinen und direkten Wahlrechtes konstituiert wird. Auf die Zusammensetzung des Senats aber wird das Staatsoberhaupt Einfluß nehmen, ebenso wie ihm auch andere, nicht bloß formelle Funktionen im politischen Leben zugedacht sind. Und das Staatsoberhaupt ist ein Monarch — einer der neun malayischen Sultane, die der Reihe nach und jeweils auf fünf Jahre das Amt des „Yang di-Pertuan Agong“, des „Obersten Herrscher s“, der Föderation übernehmen werden. Darin liegt nicht nur eine gebührende Anerkennung der Verdienste, die sich die malayischen Fürsten um den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt des Volkes und um das Zustandekommen der Föderation und ihrer Unabhängigkeit erworben haben. Im Traditionsbewußtsein der Malayen, in ihrem ausgesprochenen Sinn für Autorität, in ihrer Treue zu den angestammten Dynastien, liegt ein Element der Stärke und der politischen Stabilität, dessen der neue Staat nicht entraten kann; um so weniger, als damit gerechnet werden muß, daß der kommunistische Imperia lismus in der nun geschaffenen neuen Ordnung eine verbesserte Chance erblicken wird, die durch ihre Naturschätze so begehrenswerte und strategisch so wichtige malayische Halbinsel’in seine Gewalt zu bekommen.

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