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Konjunktur auf Taiwan

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Taiwan, in Europa immer noch Formosa genannt, das amtlich die Bezeichnung „Republik China" als Sitz der nationalchinesischen Regierung führt, hat in den letzten zwei Jahren nicht nur wirtschaftlich einen beträchtlichen Aufschwung genommen. Während meines zweiten Besuches auf dieser Insel gewann ich die Überzeugung, das Nationalchina auch politisch und sozial auf dem Wege ist, eine moderne Demokratie zu werden. Im Lebensstandard hinter Japan an der zweiten Stelle In Osfasien stehend, hat es sich für Europa zum interessanten Handelspartner entwickelt.

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Taiwan, in Europa immer noch Formosa genannt, das amtlich die Bezeichnung „Republik China" als Sitz der nationalchinesischen Regierung führt, hat in den letzten zwei Jahren nicht nur wirtschaftlich einen beträchtlichen Aufschwung genommen. Während meines zweiten Besuches auf dieser Insel gewann ich die Überzeugung, das Nationalchina auch politisch und sozial auf dem Wege ist, eine moderne Demokratie zu werden. Im Lebensstandard hinter Japan an der zweiten Stelle In Osfasien stehend, hat es sich für Europa zum interessanten Handelspartner entwickelt.

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Zu den immer wieder kolportierten Behauptungen in Europa gehört die Meinung, Nationalchina sei eine reine Diktatur. Es ist richtig, daß nach der Vertreibung der chinesischen Regierung vom Festland im Jahre 1949 auf dem letzten Refugium der Nationalchinesen in Taiwan ein Reorganisationswerk eingeleitet werden mußte, das zunächst von autoritären Zügen beherrscht wurde. Wer nicht weiß, ob sein Herrschaftsgebiet morgen schon Ziel einer militärischen Aggression Rotchinas Sein wird, der wird kaum die Führung aus der Hand geben und Verwaltungsexperimente betreiben. So stützte sich auch Nationalchina unter seinem Staatschef Marschall Tschiang- kaischek vorerst so gut wiie ausschließlich auf die Staatspartei die Kuomintang, die China als Republik seit 1911 geeint hatte, dann aber in der Auseinandersetzung mit Japan, Bürgerkriegsgenerälen und Kommunisten sich nicht ohne eigene Mitschuld fast aufgerieben hatte.

Taiwan im Jahre 1968 bietet jedoch das Bild eines Staates, der in voller Wandlung begriffen ist. Im Frühjahr fanden Kommunalwahlen statt, die nach dem Urteil von Experten für asiatische Verhältnisse ungewöhnlich frei waren. Wenn auch die Kuomintang, die bisherige Staatspartei, dabei in der Mehrzahl der Städte und Dörfer sich erneut durchsetzte, so gelangten doch auch Politiker anderer Parteien in führende Positionen. Neben der Kuomintang haben heute die „Partei des Jungen China“ und die Demokratisch-sozialistische Partei nicht nur Vertreter im allgemeinen Parlament, sondern auch im Provinzparlamerat von Taiwan und in den Stadträten. In einigen Fällen wurden jetzt Unabhängige, also Parteilose, als Oberhäupter der lokalen Verwaltung gewählt.

Tschiangbaischek erfreut sich mit seinen 81 Jahren zwar noch einer beneidenswerten Gesundheit, aber für die Zukunft der Republik Chinaist gesorgt. Vizepräsident ist . C. K. Yen, bereits seit Jahren Ministerpräsident Taiwans und vom Typ her ein Kenner der modernen Verwaltung mit starken geistigen Interessen. Es erscheint mir kein Zufall, daß Yen nicht Tschiang Tsching-kuo, der älteste Sohn des Staatschefs, in die Position des mutmaßlichen Nachfolgers des Marschalls eingerückt ist. Damit wird der zivile Charakter der Regierungsspitze unterstrichen. Tschiang Tsching-kuo verfügt allerdings als Verteidigungsminister noch immer über eine beträchtliche Macht. Er ist für rund 650.000 Soldaten verantwortlich, eine beträchtliche Streitmacht angesichts einer Gesamt-

bevölkerung Taiwans von 13 Millionen.

Gewiß sind in Nationalchina die Hoffnungen nicht verstummt, es werde eines Tages eine „Wiedervereinigung in Freiheit“ mit der Bevölkerung auf dem Festland möglich sein, wie man auch nach wie vor einen Zusammenbruch des Pekinger Regimes in Rechnung stellt. Mag auch der Anteil Von Freunden der nationalchinesischen Regierung auf dem rotchinesischen Festland an den dortigen Unruhen größer sein, als man in Europa im allgemeinen annimmt, so scheint mir doch neben den Aufgaben der Sicherung Taiwans gegen einen Angriff Pekings die Sorge um die Entwicklung des eigenen Herrschaftsgebietes heute im Vordergrund zu stehen. Wenn man so will, dann ist die Politik Taiwans, das nach wie vor mit über 70 Staaten diplomatische Beziehungen unterhält, realistischer geworden. Man weiß auch dort, daß eine Landung auf dem Festland nur dann Aussicht auf bleibenden Erfolg hätte, wenn die Amerikaner im Rücken bereitständen und den Nachschub für eine solche Operation bieten würden.

Besonders interessant ist die Entwicklung auf Taiwan heute vom wirtschaftspolitischen Standpunkt her. Nationalchina hat seit einigen Jahren auf amerikanische Unterstützung verzichtet und treibt seinen Aufbau mit eigener Kraft und den gewöhnlichen Mitteln internationaler Finanzpolitik vorwärts. Im Gegensatz zu einigen anderen Ländern, wie etwa Indien, die sich mit Mammutprojekten der Schwerindustrie zu große Schuhe angezogen haben, ist Nationalchina einen anderen Weg gegangen.

Taiwan hatte in der letzten Zeit des zweiten Weltkrieges schwere Zeiten durchgemacht; die amerikanischen Luftangriffe ließen 1945 weitgehende Zerstörungen der bescheidenen Industrie zurück. Ohnehin hatten die Japaner den Taiwaneseri nur sehr begrenzte persönliche Aufstiegschancen gewährt, von den meisten Führungsstellep waren die Inselbewohner ausgeschlossen. Mit der Rückkehr unter chinesische Herrschaft, traten jedoch nicht sofort bessere Verhältnisse ein; es folgten die Jahre, in denen Ghina langsam dem Kommunismus in die Hände fiel.

Erst als die nationalchinesische Regierung, sich auf Taiwan installiert hatte und amerikanische Hilfe kam, ging es aufwärts. Das Prinzip war, Privatinitiative möglichst zu ermutigen, den Staat aber nur dort wirtschaften zu lassen, wo die Privatunternehmer noch finanziell zu schwach waren oder es an Erfahrung mangelte. So wurde zunächst das Reformwerk in der Landwirtschaft begonnen. Taiwan bietet heute das beste Beispiel dafür, daß eine Landreform in Asien den Kommunismus fernhält und den Lebensstandard drastisch erhöht.

In mehreren Phasen erwarben die bisherigen, oft sehr armen Pächter das Land, das sie bestellten. Klugerweise wurden jedoch die früheren Großgrundbesitzer nicht einfach enteignet. Sie erhielten vielmehr Staatsobligationen, mit denen sie den industriellen Aufbau mitgestalten konnten. Noch immer ist die Landwirtschaft mit ihren Produkten das Rückgrat Nationalchinas, aber ihr Übergewicht schwindet auf dem Weg zu einer Konsumgesellschaft nach und nach. Zuckenrohr, Reis, Ananas und andere tropische Früchte, Pilze, Spargel, das sind noch immer wichtige Exportprodukte Taiwans. Aber heute werden auch schon Zement, raffiniertes öl und vor allem Textilien ausgeführt. Industrieprodukte nehmen bereits 45,9 Prozent der Ausfuhr ein!

Zunächst wurde die Konsumgüterindustrie aufgebaut. Taiwan produziert heute fast alle Güter, die zu diesem Sektor gehören, selbst. Papier-, Seifen-, Möbel-, Kleidung-, Bauindustrie — damit fing es an. Dank des Fleißes des chinesischen Volkes folgten dann rasch andere Fabriken. Bei jedem Schritt vorwärts wuchs die Zahl der Facharbeiter. Heute werden auf Taiwan bereits Fernsehapparate, Waschmaschinen, Kühlschränke, Drehbänke, Personenwagen und Motorräder, Frachter, Tanker, Pipelines, Rohre usw. hergestellt und immer neue Zweiige kommen dazu.

Dank der billigen Lebenshaltungskosten und der noch immer bescheidenen Löhne erobert sich Nationalchina einen wachsenden Anteil am Weltmarkt. Die Bundesrepublik Deutschland zum Beispiel hatte im vergangenen Jahr einen Warenaustausch von 286 Millionen DM mit Taiwan, für Rotchina beträgt die Zahl 1,1 Milliarden. Bedenkt man aber, daß in Rotchina etwa 700 Millionen, auf Taiwan aber nur der fünfzigste Anteil davon lebt, dann sieht die Relation im deutsch-chinesischen Handel für Taiwan sehr viel günstiger aus.

Zu den bemerkenswerten Vorgängen bei dem Wirtschaftsboom auf Taiwan gehört es, daß der Staat in regelmäßigen Abständen Industriezweige privatisiert, bei denen er annimmt, daß sie von privaten Unternehmern inzwischen zumindest ebensogut geführt werden können. Selbst im Fernsehen konkurriert bereits eine private mit einer staatlichen Gesellschaft. Häufig ist bei neuen Projekten gemischte Beteiligung. So hofft man für ein großes Stahlwerk nicht nur ausländisches Kapital und die Unterstützung der Regierung zu gewinnen, es finden sich auch bereits junge Privatunternehmer, die in das große Projekt einsteigen.

Die Entwicklung in Taiwan ist also durch eine Demokratisierung, die Ermutigung der privaten Initiative und eine große Offenheit für jede vernünftige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Ländern der freien Welt gekennzeichnet. Ihren Ausdruck findet sie auch in der zweitgrößten Stadt Taiwans, der Hafenstadt Kaohsiung. Dort ist ein großer Freihafen im Ausbau, der in wenigen Jahren zu den wichtigsten Umschlagplätzen in Ostasien gehören dürfte. Die Besonderheit Kaohsiungs liegt darin, daß hier neben dem Hafen eine „zollfreie Zone“ errichtet worden ist. Das heißt, die Firmen, die sich hier niederlassem wollen, können die Rohstoffe zollfrei importieren. Arbeitskräfte, auch solche qualifizierter Art, hat Taiwan genügend. Deshalb haben sich bereits mehrere große Firmen aus den USA und Westeuropa hier niedergelassen. Ais Beispiel seien genannt, daß ein Teil der amerikanischen Computers heute auf Formosa gebaut wird! Wer weiß, daß man dafür wirklich Facharbeiter braucht, wird erkennen, daß Taiwan schon längst nicht mehr zu den „unterentwickelten Gebieten“ gehört.

Ähnliche Anstrengungen, aus Taiwan eine moderne Industrienation zu machen, finden sich auch im Verkehr. Fast alle Dörfer sind heute durch wetterfeste Wege mit den asphaltierten Fernstraßen verbunden. Auf der Fahrt durch das Land sieht man, daß auch die Elektrifizierung beträchtliche Fortschritte gemacht hat.

Vollklimatisierte Schnellzüge, in denen „Hostessen“ kostenlos dreierlei Tee den Passagieren anbieten und Zeitungen in mehreren Sprachen verteilen, haben den Nord- und Südteil der Insel enger verbunden. Denselben Eindruck gewinnt man vom lokalen Flugverkehr. Ein halbes Dutzend Flughäfen, von denen die größeren mehrfache Verbindung mit der Hauptstadt haben, werden angeflogen. Übrigens werden auch die Fluggesellschaften überwiegend privat betrieben. Im internationalen Flugverkehr sind drei Gesellschaften zu nennen, bei denen Chinesen Eigentümer sind: Die „China Airlines“, die „CAT“ und die „Cathay-Pacific“, letztere von Hongkonger Chinesen gegründet.

Dem Durchschnittsbewohner von Taiwan geht es heute sicherlich besser als 1966. Einen beträchtlichen Anteil an dem Aufschwung haben die Arbeiten, die von den Streitkräften zugunsten der Zivilbevölkerung ausgeführt werden. In den letzten vier Jahren errichteten Soldaten über 100.000 Wohnhäuser, verwandelten 92 Hektar in fruchtbares Land, legten 7700 Kilometer Bewässerungskanäle — und Gräben an, bauten 620 Kilometer Autostraßen und 250 Kilometer Eisenbahnlinien.

Man würde es sich gewiß wünschen, daß mit der wirtschaftlichen auch die politisch-freiheitliche und soziale Entwicklung Taiwans Schritt hält. Jedem Besucher Taiwans wird ferner deutlich, daß Japan hier die größte Konkurrenz sein muß. Probleme wird es für die Taiwane- sen auch in Zukunft noch genug zu lösen geben, aber deswegen bleibt es doch wahr, daß heute Taiwan zu den zukunftsträchtigsten Teilen Asiens gehört.

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