6849873-1976_42_07.jpg
Digital In Arbeit

Taiwan am Wendepunkt

19451960198020002020

Taiwan, die Bastion der nichtkommunistischen Chinesen, befindet sich heute — 27 Jahre nach dem Rückzug Tschiang-kaischeks vom Festland — an einem entscheidenden Wendepunkt. Die wohl noch aufschiebbare, aber nach den Präsidentschaftswahlen immer wahrscheinlicher werdende Anerkennung der Volksrepublik China durch die Vereinigten Staaten wird einen Meilenstein setzen, an dem sich der bisher gradlinige Weg der Inselrepublik beinahe unvermeidlich biegen muß. Taipei wird es sich kaum leisten können, wie bisher bei anderen Staaten, mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu antworten — zumal auch Washington kein Interesse daran hat, auf seinen stabilsten Brückenpfeiler im Fernen Osten zu verzichten.

19451960198020002020

Taiwan, die Bastion der nichtkommunistischen Chinesen, befindet sich heute — 27 Jahre nach dem Rückzug Tschiang-kaischeks vom Festland — an einem entscheidenden Wendepunkt. Die wohl noch aufschiebbare, aber nach den Präsidentschaftswahlen immer wahrscheinlicher werdende Anerkennung der Volksrepublik China durch die Vereinigten Staaten wird einen Meilenstein setzen, an dem sich der bisher gradlinige Weg der Inselrepublik beinahe unvermeidlich biegen muß. Taipei wird es sich kaum leisten können, wie bisher bei anderen Staaten, mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu antworten — zumal auch Washington kein Interesse daran hat, auf seinen stabilsten Brückenpfeiler im Fernen Osten zu verzichten.

Werbung
Werbung
Werbung

Im Hinblick auf diese unumgängliche Abkehr von seiner bisher konsequent betriebenen „Hallstein-Doktrin“ ist nun das Regime von Chiang-Ching-kuo darum bemüht, den zu erwartenden Gesichtsverlust für alle Beteiligten so gering wie nur möglich zu machen. Zur Zeit laufen in Taipei drei Kampagnen, die in der einen oder anderen Weise diesem Ziel gewidmet sind. Die eine spielt auf Zeitgewinn und versucht zu dokumentieren, was für ein unsicherer Kantonist Peking gegenwärtig für jeden Vertragspartner ist. Maos Verschwinden und die um sich greifenden Richtungskämpfe geben dieser Verzögerungstaktik Auftrieb. Eine zweite Kampagne, zum Teil mit der ersten eng verwoben, zielt darauf ab, in einem letzten Anlauf noch einmal alle Gegenkräfte zu mobilisieren. Damit soll einmal den Ultras in den eigenen Reihen Rechnung getragen und gleichzeitig für künftige Zeiten festgehalten werden, daß man nichts unversucht ließ, um das Übel abzuwenden. In dieses Gebiet gehören die erfolgreichen Aktionen bei amerikanischen Senatoren und Kongreßmitgliedern, bei den Kriegs-Veteranen-verbänden und zuletzt sogar beim republikanischen Wahlkongreß, wo in das Wahlprogramm ein Treuegelöbnis zu Taiwan aufgenommen wurde. Die starken Worte von der Wiedereroberung des Festlandes und von der kompromißlosen Kampfbereitschaft, die jetzt wieder häufiger fallen, bilden weitere Elemente dieser harten Linie. Die dritte Kampagne schließlich, die parallel verläuft, signalisiert Bereitschaft für neue Formen der chinesisch-amerikanischen Beziehungen. Noch nie zuvor fand sich in den Zeitungen so viel Diskussion über die „deutsche Lösung“, die sich als Alternative anbietet, wie jetzt. Und noch nie wurde, wie in diesen Wochen, in Wirtschaftskreisen so sehr die Notwendigkeit einer Neuorientierung unterstrichen: die ökonomische Potenz des Landes, die bereits äußerst diversifiziert ist, braucht in Zukunft auch eine gewisse diplomatische Infrastruktur.

Mit der kürzlich erfolgten Anerkennung der Volksrepublik China durch die Zentralafrikanische Republik hat sich die Zahl der in Taipei akkreditierten Botschafter aus aller Welt auf 26 verringert. Wieder einmal vollzog sich das gewohnte Zeremoniell. Nach außen hin erklärte Taiwan den Abbruch der diplomatischen Beziehungen; intern hatte sich Zentralafrika Peking gegenüber zum gleichen Schritt bereit erklären müssen. Jeder entsprechende Vertrag mit der Volksrepublik enthält eine Taiwan-Klausel. Wenn nun verschiedene Zeichen darauf hindeuten und gut informierte Kreise es bestätigten, daß Peking im Falle Amerikas bereit wäre, eine Ausnahme zu machen, so hat dies verschiedene Gründe. Einmal sind die meisten Führungsgremien Festlandchinas daran interessiert, die USA weiter — wenn auch nur in bestimmtem Maß — als Neu-tralisierungsmacht gegenüber Rußland im Pazifik zu sehen; zum anderen ist der Volksrepublik in gewisser Weise durchaus daran gelegen, daß sich Taiwan mit massivem amerikanischen und westlichen Know-how-Einfluß zu einem chinesischen Industrievorort entwickelt. Die Stimmen halten sich hartnäckig, wonach im Sinne eines „chinesischen Kompromisses“ mit der Zeit eine Art von Staatenbund zwischen dem Festland und Taiwan entstehen könnte, der den ideologischen Unterschied durchaus aufrechterhält, in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht jedoch einen Austausch ermöglicht. Die chinesische Geschichte kennt mehrere Beispiele solcher Enklaveorganisationen, die sich erstaunlich lange gehalten haben.

Entscheidende Bedeutung kommt bei der Zukunftsgestaltung Taiwans einem Manne zu, der es verstanden hat, in sehr kurzer Zeit zu Taiwans unbestrittener „Nummer Eins“ zu werden. Der 66jährige Chiang-Ching-kuo hat in den anderthalb Jahren seit seines Vaters Tod eine Popularität — vor allem auch bei den Jugendlichen und bei den Intellektuellen — erreicht, die Tschiangkai-schek in dieser Form nie besessen hat. Persönlich integer, sozialen Fragen gegenüber aufgeschlossen, bereit auch zu unangenehmen Entscheidungen, besitzt er auf Grund einer einzigartigen Konstellation persönliche Beziehungen zum Festland China, zur Sowjetunion und zu den Vereinigten Staaten. Die Kunst, mit diesen drei Bällen gleichzeitig zu spielen, wird ihm in den nächsten Jahren noch mehrfach zustatten kommen.

Inagesamt bietet Taiwan einen wohl einzigartigen Präzedenzfall: Chinesen zeigen hier, daß sie — auch in einer freiheitlichen, nicht-kommunistischen Ordnung — einen echten Beitrag zur Kultur von morgen zu leisten imstande sind.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung