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Frieden oder Kapitulation?

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In der letzten Zeit hat die Regierung der Volksrepublik China in Peking durch ihre Propagandamaschinerie eine „Friedensoffensive“ in Richtung Taipeh lanciert. Seitdem sind Behauptungen über angebliche offizielle oder geheime Kontakte zwischen den Unterhändlern der rotchinesischen Regierung und der Regierung der Republik China auf Taiwan im Umlauf. Wie hoch ist der Wahrheitsgehalt dieser Gerüchte?

In einem Gespräch mit Robert Page, dem Vizepräsidenten der United Press International (UPI) in Taipeh am 18. Jänner dieses Jahres hat Tschiang Tsching-kuo, der Premierminister Taiwans, mit aller Deutlichkeit unterstrichen, daß die sogenannte Friedensverhandlung, die von Peking derzeit propagiert wird, nur ein Kunstgriff der KPCh sei, den sie in der Vergangenheit bereits mehrmals vorgeführt habe. Während des nationalchinesischen Rückzugs aus Nanking, 1949, bat Mao Tse-tung eine „Friedensverhandlung“ und eine „Koalitionsregierung“ vorgeschlagen, zur gleichen Zeit sandte er jedoch seine Truppen quer über den Jangtse-Strom. Als die Kuomintang-Truppen darnach Kanton und Tschungking aufgegeben hatten, versuchten die chinesischen Kommunisten abermals den gleichen Trick. Tschiang Kai-schek hat dies ohne weitere Uber-legung zurückgewiesen.

Diesen Standpunkt vertreten nicht nur Vater und Sohn Tschiang. Auch Dr. Ku Tscheng-kang, Ehrenpräsident der „Antikommunis'tischen Liga der Welt“ (WACL — World Anti-Communist League) hat englischen Parlamentsmitgliedern gegenüber am 7. März in Taipeh die ablehnende Haltung Nationalchinas bekräftigt. In seinem Gespräch sagte er unter anderem: „Die Republik China ist entschlossen, keine Friedensverhandlungen mit der KPCh zu führen. Nicht, weil wir willkürlich vorgehen oder kriegerisch sind, sondern weil wir bereits 1924, 1937, 1946 und 1948 die bittere Erfahrung machen mußten, daß Versprechungen der KPCh nicht vertrauenswürdig sind ... Die Politik der Republik China, auf der Seite der freien Welt zu stehen, die vom Premierminister Tschiang Tsching-kuo am 23. Februar bekanntgemacht wurde, wird aufrechtbleiben. Wir nehmen an, daß die KPCh in der näheren Zukunft noch weitere Friedensoffensiven von Stapel lassen wird. Aber es gibt weder öffentliche noch geheime Kontakte ... Die Republik China ist sehr lebendig und ihr Wohlstand steigt. Das Volk auf Taiwan ist voll Zuversicht, das Festland zurückzuerobern und die Freiheit der Landsleute auf dem Festland wiederherstellen zu können. Trotz der bekannten diplomatischen Rückschläge halten wir noch diplomatische Beziehungen mit 44 Staaten und Handelsbeziehungen zu 120 Ländern aufrecht...“

Die Gründe, warum Peking gerade jetzt seine „Friedensfalle“ so ungeduldig aufstellt, lassen sich unschwer definieren:

• Militärisch kann Rotchina Taiwan nicht einnehmen, da die nationalchinesische Verteidigung der Insel auf Grund ihrer „inneren Linie“ eine strategisch günstigere Stellung besitzt als der Angreifer. Peking hat zudem eine gefährdete Nordgrenze.

• Politisch steht Peking auf schwachen Füßen. Die Frage der Nachfolge Maos ist bisher nicht gelöst worden. Tschu En-lai, ebenfalls ein Greis, wird die Konflikte zwischen den drei Fraktionen (Parteifraktion unter Jao Wen-Jüan und Tschiang Tsching; Regierungsfraktion unter ihm selbst; Fraktion der Machthaber in den Militärregionen) und vielleicht sogar einen Bürgerkrieg nach dem Ableben Maos kaum verhindern können. Dagegen ist die Nachfolge auf Taiwan durch die Machtübernahme Tschiang Tsching-kuos in allen Bereichen kein Problem mehr.

• Diplomatisch ist Peking Washington gegenüber verpflichtet, Formosa nicht mit militärischen Operationen zu „befreien“. Nach unvorsichtigen Äußerungen Tschu En-lais beim Empfang für die chinesisch-formosa-nischen Studenten mit US-Staatsbürgerschaft in der Nacht auf 20. November 1972 in Peking, könnte die Volksrepublik China erst 1979 versuchen, das Taiwan-Problem mit Gewalt zu lösen.

• Wirtschaftlich leben die Taiwane-sen wesentlich besser als die Festlandchinesen. Trotz der Versicherung Tschu En-lais, daß der Lebensstandard Taiwans sich im Falle einer „friedlichen Befreiung“ nicht verringern werde, ist kein Formosaner bereit, ein Versprechen als bare Münze zu akzeptieren, für das die Tibetaner schon so teuer bezahlen mußten.

Schon Ende Jänner 1972 wies Peking seine Gewährsleute in Hongkong an, Gerüchte zu verbredten, wonach Peking nun bereit sei, mit den nationalchinesischen Brüdern zu verhandeln. Wenn Taipeh bald Emmis-säre sende, könnten sogar die „Bedingungen der Kapitulation“ gemildert werden. Tschu En-lai könne seinerseits auch folgendes garantieren:

• Alle politischen Strukturen Taiwans könnten so bleiben, wie sie jetzt sind; Herr Tschiang Kai-schek könne Staatspräsident der Insel bis zu seinem Ableben bleiben. (Dies auch der Grund, warum Peking unlängst Gerüchte über Tschiangs Tod verbreitet hat.)

• Die Stärke der Taiwan-Streitkräfte könne unverändert bleiben, sie würden auch vorläufig nicht in die CVBA eingegliedert oder verlegt werden.

• Die wirtschaftliche Ordnung Taiwans werde vorläufig nicht geändert werden.

Die chinesischen Nationalneutrali-sten und Revisionisten in Hongkong schlugen dann ihrerseits im Februar 1972 das folgende Rezept vor:

• Einstellen des Hasses und der Beschimpfungen auf beiden Seiten. Respekt und Toleranz der Chinesen untereinander.

• Freier Verkehr zwischen dem Festland und Taiwan, ohne jedoch diese Gelegenheit für Subversion und Spionage zu benützen.

• Zusammenarbeit im kulturellen Bereich, vorerst im Bereich der Naturwissenschaft. Herausgabe einer gemeinsamen Zeitung.

• Einführung einer gemeinsamen Staatsbezeichnung und eines gemeinsamen Staätsfeiertages.

• Bildung einer gemeinsamen Regierung.

Der Nixon-Schock hatte allerdings auch eine unerwartete Wirkung: Aus Angst vor dem chinesischen Kommunismus entledigten sich viele formo-sanische Separatisten in Übersee ihrer Anti-Kuomintang-Haltung und sind heute sogar bereit, Formosa zu verteidigen.

Natürlich gibt es auch auf Taiwan Stimmen, die die „Friedensvorschläge“ Pekings befürworten. Im Dezember 1971 wurden auf Taiwan zwei Publizisten, Li Tsching-sun und Jü Dschi, vom Militärgericht jeweils zu lebenslänglichem und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie für die KPCh agitiert hatten.

Auch die Kuomintang und die nationalchinesische Regierung sind für eine Wiedervereinigung des Staates und für die Einheit der Nation. Aber wie und um welchen Preis?

Flächen- und gewichtsmäßig ist Taiwan im Vergleich zu Festlandchina zu klein. Eine „friedliche Wiedereingliederung“ würde daher nichts anderes als eine totale Kapitulation und einen vollen Anschluß bedeuten, und dies kann Nationalchina niemals aua freien Stücken akzeptieren. Es sei denn, daß Peking folgende Bedingungen annähme:

• öffentliche Absage Pekings an den Kommunismus.

• Staatsbürgerliche Freiheiten für das chinesische Volk auf dem Festland.

• Auflösung der Pekinger Regierung und Ausschreibung einer demokratischen Neuwahl.

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