"Mehr schikaniert als verfolgt"

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In der letzten Ausgabe der furche erzählte der in Taiwan lebende Jesuitentheologe Luis Gutheinz über den interreligiösen und interkulturellen Dialog in Ostasien. Im - nachstehenden - zweiten Teil des Gesprächs äußert sich Gutheinz, der sowohl in Taiwan als auch in der Volksrepublik China lehrt, über die Lage der Christen in Festlandchina.

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In der letzten Ausgabe der furche erzählte der in Taiwan lebende Jesuitentheologe Luis Gutheinz über den interreligiösen und interkulturellen Dialog in Ostasien. Im - nachstehenden - zweiten Teil des Gesprächs äußert sich Gutheinz, der sowohl in Taiwan als auch in der Volksrepublik China lehrt, über die Lage der Christen in Festlandchina.

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die furche: Sie lehren nicht nur in Taiwan, sondern auch in der Volksrepublik China. Wie ist die Situation dort?

Pater Luis Gutheinz: 1949 wurde die Volksrepublik China ausgerufen und 1957 die Patriotische Vereinigung der Katholiken als Instrument der Regierung gegründet, Religionen in den Griff zu bekommen. Es war der Versuch, eine Religionsgemeinschaft zu spalten nach dem Prinzip Mao Zedongs: Den einen in zwei Teile teilen. Mao hat darauf seine Guerillataktik aufgebaut: immer auseinanderreißen, weil geeinte Dinge zu stark sind. In der katholischen Kirche gibt es so zwei Lager: auf der "linken" Seite die Patriotische Vereinigung und die "offizielle" Kirche, die mit dem Regime mitgehen. Auf der anderen Seite die "nichtoffizielle Kirche", die nicht sich der Patriotischen Vereinigung annähern wollte.

Ab etwa 1980 öffnete Deng Xiaoping die Türen einen Spalt breit - und die Wirtschaftsleute, die Religiösen und die Intellektuellen setzten den Fuß in die Tür. Seitdem eine gewisse Lockerung sichtbar war, war es möglich schneller zu gehen, in anderen Gebieten ging es langsamer. 1982 hat Bischof Aloisius Jin Luxian von Shanghai sein Priesterseminar eröffnet. Dann folgten andere, langsam wie Pilze schießen sie aus dem Boden - 40, 60, 100, 170 Studenten: Diese großen Priesterseminarien kommen vom "patriotischen", offiziellen Bereich, anders dürfen sie nicht existieren.

Im romtreuen inoffiziellen Bereich, gibt es bis heute Menschen, die sich nicht mit dem anderen Bereich der katholischen Kirche versöhnen wollen - aus der Überzeugung: Wir haben für den Papst gekämpft, wir sind romtreu bis zum letzten Blutstropfen. Aber ein großes Mittelfeld bewegt sich seit 1980 langsam von den zwei Extremen langsam zu einem großen Block zusammen, der jetzt bereits die katholische Kirche Chinas ist. 20 Bischöfe sind noch im "unversöhnlichen" Untergrund. Der Rest der Bischöfe ist - abgesehen von einigen wenigen - mit Rom in Verbindung. Erst gestern las ich einen Brief, in dem letztes Jahr ein Bischof vor seiner Bischofsweihe auch von Rom die Erlaubnis bekam - und nun sowohl vom Staat als auch von Rom anerkannt ist. Das ist 2000 bereits an zwei Stellen geschehen.

die furche: Wie können Sie konkret in "beiden" Chinas zu arbeiten?

Gutheinz: Das geht so vor sich: Ein Priesterseminar, sei es in Shanghai, in Xi'an oder in Peking schreibt einen Brief: Pater, wären Sie bereit, im Jahre 2002 einen Kurs zu geben. Dann bespreche ich das mit meinen Vorgesetzten und schreibe zurück: Von meiner Seite wäre dieser Zeitpunkt richtig. Dann übergibt der Einladende in China das Ganze dem Religionsbüro, das mit dem Außenministerium nachprüft, ob Pater Gutheinz etwas auf dem Kerbholz hat - und wenn nicht, dann kommt grünes Licht. Damit suche ich dann nächstes Jahr in Hongkong oder Macao um ein Visum an. Und dann geht's ins Land ...

die furche: Was lehren Sie da?

Gutheinz: Es geht um das Gleiche, das wir auch in Taiwan zu tun versuchen: die Bildung von Laien. Es gibt heute etwa 10 Millionen katholischer Laien in China sowie 2.000 Priester und 4.000 Ordensfrauen. Wie bilden wir die weiter? Was wir als ausländische Missionare, als Freunde aus dem Westen, aber mit dem Herzen in China beitragen können, ist die Entwicklung von Grundinstrumenten für theologisches Arbeiten. Das sind - konkret - drei Projekte: * Das Theologische Lexikon mit 712 Artikeln gibt es bereits seit 1996 in vollen Schriftzeichen in Taiwan, und es wurde auch nach China gebracht. Vor einem halben Jahr wurde es in vereinfachten Schriftzeichen in Festlandchina neu gedruckt - und ist jetzt auch dort in den Händen von allen Seminaristen und Schwestern: In diesem Band ist das Wesentliche moderner Theologie festgehalten.

* Das zweite - daran arbeiten wir zur Zeit - ist ein theologische Wörterbuch. Dort beschreiben wir kurz die wichtigsten Begriffe im theologischen Schaffen sowie Namen von biblischen Gestalten und Theologen. Einen Abriss über die ökumenische Entwicklung wird es darin ebenfalls geben. Spätestens im Sommer 2003 soll dieses Wörterbuch fertig sein. Dieses Arbeitsinstrument hat folgenden Sinn: Wenn ein chinesischer Intellektueller, ein Journalist, ein Priester sich auf eine Predigt oder auf einen Artikel vorbereitet, hat er immer wieder diese Begriffe vor sich - auf Englisch, auf Latein oder auf Griechisch. Mit dem neuen Buch kann man wichtige Begriffe und Namen nachschlagen. Das spart auch den Übersetzern viel Mühe: Ich weiß, wie aufreibend es ist, für einen theologischen Begriff ein chinesisches Wort zu suchen - und nicht zu finden!

* Als drittes kommt die chinesische Ausgabe des "Denzinger", jener Sammlung, in der die Dokumente des kirchlichen Lehramtes von den Anfängen bis heute gesammelt sind. In diesem Band, der etwa 2006/07 fertig sein sollte, werden wir im Anhang auch die wichtigsten Glaubensbekenntnisse der protestantischen Kirchen anfügen - sodass wir doch in einem Band endlich etwas in der Hand haben, wo sich Christen gegenseitig verstehen können.

die furche: Auch wenn Sie vorsichtig positiv über die Entwicklungen in Festlandchina sprechen: Nach wie vor gibt es viele Berichte über Verfolgungen von Christen in der Volksrepublik.

Gutheinz: Die kommunistische Führung verkörpert ein System, das immer mehr in der Luft hängt. Es geht jetzt nicht mehr um Ideologie - Kommunismus versus Christentum oder Buddhismus, sondern um Machterhalt. Das Machtmonopol erlaubt vieles. Aber wo etwas geschieht, das dieser Macht irgendwie an den Karren fährt, da kommt die Pratze des Tigers wieder. Wir sehen das in der Verfolgung der spirituellen Bewegung Falun Gong: Am 25. April 1999 saßen die Anhänger von Falun Gong im Regierungsviertel von Peking am Straßenrand, 10.000 Menschen, ohne dass die Polizei oder die Regierung etwas davon geahnt hatte. Die Aktion war kein direkter Angriff auf die Regierung, sondern sie meinten: Wir melden die grundsätzliche Freiheit an, am Straßenrand zu sitzen und zu meditieren. Mit dieser Intention sollte der Regierung ein Fingerzeig gegeben werden. Das hat einen Schock im Machtmonopol ausgelöst.

Die Machthaber denken dann weiter: Wenn das die Christen tun, dann sitzen plötzlich eine Million Menschen am Tian'anmen-Platz! Und was tun wir dann? Daraus folgen dann die Schikanen gegen Katholiken und Protestanten. Es handelt sich dabei mehr um Schikanen als um brutale Verfolgung. So werden Kirchen geschliffen, die ohne Genehmigung gebaut wurden: Man plant Straßen, die genau mitten durch so eine Kirche verlaufen, sodass man sie abreißen "muss".

Es kommen schon auch Verhaftungen von Priestern vor, die zu laut sprechen. Oder man sperrt eine Schule oder eine Klinik, weil die Schwestern Katechismusunterricht gaben. Auf der anderen Seite geht das Leben der Christen weiter - und lässt sich nicht unterdrücken. Und wie man bei Falun Gong sehen kann: Die Machthaber begehen den großen Fehler, Märtyrer zu machen. Bischof Li Du'an von Xi'an, ein sehr ausgewogener Mann, meint, das ganze System wird sich in etwa zehn Jahren so verändert haben, dass mehr Raum für Religion da sein wird.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

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