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Missionare vor der großen Mauer

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Religion konnte in China kaum jemals Autorität und Macht entfalten, deshalb fühlten sich auch nur weni- ge chinesische Machthaber von ihrem Einfluß wirklich bedroht.

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Religion konnte in China kaum jemals Autorität und Macht entfalten, deshalb fühlten sich auch nur weni- ge chinesische Machthaber von ihrem Einfluß wirklich bedroht.

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Im Südwesten von Shanghai hat vor etwa 400 Jahren der erste be- rühmte zum Christentum bekehrte Gelehrte, Xu Guangqi, gelebt. Hinter seinem Grab haben die Fran- zosen um 1900 die größte der heute noch Tausenden christlichen Kir- chen erbaut. Daran angrenzend befinden sich verschiedene Klöster, Kindergärten und Schulen. Dieses nachXu benannte Areal ist bis heute wichtigstes Zentrum der Katholi- ken in China.

Obwohl man bereits vor über 1.000 Jahren erste Spuren nesto- rianischer Christen nachweisen kann, war es erst die Jesuitenmis- sion, die das Christentum einfluß- reicheren Schichten vorstellte. Der hochgebildete Italiener Matteo Ricci ging 1582 in Macao an Land und verbreitete von dort aus west- liche Wissenschaften und Religion; gleichzeitig studierte er im Gewand eines konfuzianischen Gelehrten die chinesische Sprache und Literatur bis zu unglaublicher Perfektion, um durch Annäherung an traditionel- les chinesisches Gedankengut die Mission voranzutreiben.

Trotzdem stießen er und die an- deren Missionare auf unzählige Hindernisse. Die meisten Chinesen interessierten sich für wissenschaft- liche Errungenschaften mehr als für die unfaßbare Auferstehung. Man war gewöhnt, China als Zentrum der Welt zu sehen, und ein Herr- scher, der die kaiserliche Macht und die konfuzianischen Traditionen als oberstes Prinzip sah, konnte schwerlich eine westliche Religion mit einer noch absoluteren „göttli- chen Autorität" in China dulden. Daher wurde die Missionstätigkeit wiederholt eingeschränkt bis gänz- lich verboten.

Erst 1819 wurde die Bibel voll- ständig ins Chinesische übersetzt. Diesmal waren es protestantische Missionare aus England und den USA, die nicht - wie die Jesuiten früher - mit Landkarten, astrono- mischen Büchern und Prismen als Geschenken kamen, sondern den westlichen Kanonenbooten folgten, mit denen allmählich die Öffnung Chinas und freie Missionstätigkeit erzwungen wurden!

Nach 1949 wurde die Missionstä- tigkeit als kulturelle Aggression und „geistiges Opium" gebrandmarkt.

Die Kulturrevolution brachte eine totale Unterbrechung jedweder religiösen Betätigung. Mit der dar- auffolgenden Reformpolitik kamen nach Jahren der Isolation ab Ende der siebziger Jahre Hand in Hand mit westlicher Kultur wieder ver- schiedene religiöse Richtungen ins Land. Landesweit wurden rund 1.600 Kirchen wieder geöffnet und über eine Million Bibeln verbreitet.

In dieser „Öffnungswelle" war alles kurze Zeit in Mode, in den Kirchen wurden wieder Gottes- dienste gefeiert, und auf der Gasse tratschte man darüber ebenso wie über die erste moderne Kunstaus- stellung. Junge Leute trugen ein vergoldetes Kreuz als modischen Anhänger auf der Brust, wie man amerikanische „Nike"-Sportschu- he trägt.

In den späten achtziger Jahren schätzte man die Zahl der Christen bereits auf mehrere Millionen, was aber nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung Chinas ausmacht. Auf Katholiken und Protestanten dürf- ten jeweils etwa drei Millionen Glaubensanhänger entfallen.

Die christlichen Konfessionen mußten allerdings die Grundsätze der „Drei-Selbst-Bewegung" ak- zeptieren, das heißt materielle und seelsorgerische Selbstversorgung sowie Selbstverwaltung. Der Vati- kan wollte freilich diese „Nationa- le Patriotische Vereinigung" der Katholiken Chinas als selbständige Verwaltung nicht anerkennen.

Nach dem Abflauen der kurzen Modewelle fiel das Christentum für die meisten Chinesen wieder - bis auf die relativ kleine Gruppe wirk- lich Gläubiger - in den Schatten von Mythos und Aberglauben zu- rück, ein Siegel, das Religion in der vom Atheismus geprägten Volksre- publik immer trägt.

Die Chinesen, sofern sie Formen des Glaubens festhielten, blieben eher den ihnen vertrauten, alten religiösen Gebräuchen verhaftet, den Vorstellungen von Geistern und Unsterblichen, vermischt aus Tao- ismus und Buddhismus. Dies ist ihr geistiges Ref ugium, eine Art chine- sischer seelischer Trost, bei dem die schützenden Kräfte mehr betont werden als Sünde, Reue und from- mes Gebet.

Eine eher „lockere" Art des Glf.u- bens ist wohl Ursache dafür, daß Religion in China kaum richtige Autorität und Macht entfalten konnte, und weswegen sich auch nur wenige chinesische Machtha- ber je von ihrem Einfluß wirklich bedroht fühlten.

Heutzutage darf man in den Kirchen wieder Kerzen und Räu- cherwerk anzünden, und viele Tempel und manche Kirchen wer- den aus Kulturpflege oder für touristische Zwecke sogar ein we- nig staatlich gestützt. Doch ein wirklich uneingeschränkter Zu- gang zu kirchlichen Berufen und Eintritte in die verschiedenen Klöster sind selbst heute noch nicht möglich. Die meisten Chine- sen sind geprägt von den sich ge- genseitig ergänzenden Systemen des Konfuzianismus und des Tao- ismus, von Lehren, die immer die Beschäftigung mit dem Menschen und der Natur vor jene mit dem Transzendenten gestellt haben, wie es in einem berühmten Ausspruch des Konfuzius heißt:

Wie kann man - noch ohne mit Menschen umgehen zu können - einem Geist dienen?

Wie kann - noch nichts wissend über das Leben - über den Tod ge- sprochen werden?

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