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Die katholische Kirche in China an einer Wende

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Eine neue Ära der Geschichte des Katholizismus im Reich der Mitte ist jetzt durch die Einrichtung einer kirchlichen Hierarchie, die in zwanzig Kirchenprovinzen mit ebenso vielen Metropolitansitzen und neunundsiebzig Suffraganbistümer zerfällt, angebrochen. Achtunddreißig apostolische Prä-fekturen werden in dem Riesenreich noch außerhalb der Kompetenz der neuen, dem Heiligen Stuhl unmittelbar unterstehenden Hierarchie weiter erhalten bleiben. Der bisherige Apostolische Vikar von Tsingtau, Kardinal T i e n, wird den Metropolitan-stuhl von Peking besteigen, dessen würdiger Inhaber bisher der französische Lazarist, Titularbischof Montaigne, war. Niemand, der etwas Blick für Dimensionen auf dem weiten Felde der Weltmission und etwas kirchenhistorisches Schätzungsvermögen besitzt, vermag die gewaltige Tragweite dieses Schrittes des Apostolischen Stuhles zu verkennen. Wenn wir mit seinen Intentionen mitfühlen, so neigen wir uns in dieser Stunde noch einmal in Ehrfurcht und Bewunderung vor ganzen Generationen von Missionaren und Missionsschwestern, die im Laufe von genau sieben Jahrhunderten ihren Fuß in das geheimnisvolle Reich der Mitte gesetzt haben und deren erster Bahnbrecher der italienische Franziskaner Giovanni di Pien d'Carpini war, der als Legat Papst Innocenz' IX. 1246 Karakorum, die Residenz des Großkhans der Tataren, aufsuchte. Die erste Missionsstation in China entstand dann 1294 durch den Franziskaner Giovanni da Montecorvino, der vier Jahre später die erste katholische Kirche dort inmitten der goldbedachten Tempel errichtete.

Nicht möglich ist es, an dieser Stelle auch nur im Umriß die Abfolge der älteren Missionsgeschichte Chinas mit ihren zeitweiligen erstaunlichen Erfolgen, aber auch ihren tragischen Peripetien und tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten über das geeignetste Missionssystem, wie sie in dem A k k o m m o-dationsstreit über die Anpassung der christlichen Missionäre an die Landessitten fast ein Jahrhundert über zutage traten, darzustellen. Nur zwei ragende Persönlichkeiten aus der Chinamission des 16. und 17. Jahrhunderts dürfen nicht übergangen werden, beide Mitglieder der Gesellschaft Jesu, der Italiener Matteo Ricci (1552 bis 1615) und der Deutsche Johann Adam Schall von Bell (1592 bis 1666). Dem ersteren gelang es durch seine Klugheit, seine hohe Bildung und sein tiefgründiges Sprachverständnis, seit 1582 die katholischen Missionen in China wieder stabil zu gestalten; darüber hinaus eine für die Entfaltung der Glaubensbotschaft sehr vorteilhafte Fühlungnahme mit dem chinesischen Gelehrtenstande sowie mit dem Beamten- und Literatentum zu gewinnen. Ohne diese wäre die Mission zur Unfruchtbarkeit verurteilt gewesen, denn man muß wissen, daß die chinesische Oberschicht in jener Epoche ausschließlich aus Literaten und Gelehrten bestand, die in ihrem ganzen Denken und Fühlen von der Doktrin des Konfuzius geleitet wurden. Gegen 1600 hielt Ricci mit dem portugiesischen Bischof von Japan Cerqueira, P. Va-lignano und anderen Ordensgeistlichen eine Konferenz von bleibender Tragweite über die Frage ab, ob man Christ sein und zugleich bei den landesüblichen, dem Liturgischen verwandten bürgerlichen Ehrungen für den großen Philosophen Konfuzius verharren könne. Was P. Ricci und seine Mitbrüder schon damals mit scharfem, unbestechlichem Blick für die feinsten Unterschiede zwischen Sitte, Ethik und Religion entschieden haben, hat seine letzte Vollendung erst in der ungemein bedeutsamen Instruktion der päpstlichen Kongregation der Propaganda fide om 8. Dezember 1939 * über die Frage der erlaubten Ehrungen des Konfuzius bei Zeremonien des bürgerlichen Lebens gefunden.

Kein Mensch von Urteil wird auch nur einen Augenblick darüber im unklaren sein, daß an sich der Fragenkomplex der Gewinnung des chinesischen Volkes für das Christentum nicht etwa seine alsbaldige Lösung dadurch findet, daß nunmehr der grandiose und mutvolle Schritt der Gründung einer kirchlichen Hierarchie für etwa vier Millionen Katholiken, einschließlich Katechu-menen, bei einer Gesamtbevölkerungszahl Chinas von 466,785.000 Einwohnern (nach der letzten Statistik von 1937) gemacht wurde. Und doch hat der vielleicht beste Kenner der Verhältnisse, der neue Erzbischof von Peking, Kardinal Tien, in Rom im Februar in einer Radioansprache an seine katholischen Landsleute diesen die große Verantwortung der Konsolidierung der katholischen Kirche in China als Ziel vor Augen gestellt. Kardinal Tien ist Steyler Missionar, und wenn man diese Genossenschaft nennt, so tauchen in unserem Bewußtsein sogleich die glänzenden Leistungen dieser Genossenschaft für die Erfassung und Durchdringung der Bildungselemente in China in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Monumenta serica“ und die Leitung der katholischen Universität in Peking auf, die Pius XL ihnen anvertraute.

Wieviel Mühen, wieviel Lasten und Opfer bis zur Blutzeugenschaft haben aber auch andere religiöse Orden in China im Laufe der Jahrhunderte aufgebracht! Die Benediktiner, die Franziskaner, die Lazaristen, die Pariser auswärtigen Missionen usw. Daneben zahlreiche weibliche Genossenschaften, die wie die männlichen Orden sich auf die meisten Kulturnationen verteilen. Wie schon erwähnt, brachte eine so schwierige und vielfältige Aufgabe wie die Missionierung eines Riesenvolkes von alter Kultur in der Frage der Missionsmethoden Meinungsverschiedenheiten mit sich. Vom Akkommodation- oder Ritenstreit verliefen sie mit Pausen bis in die neueste Ztit hinein. Es hat sogar in den Reihen der Glaubensboten selbst nicht an Männern gefehlt, die beim Anblick der überwältigenden Aufgaben in Depression, in

* In der Instruktion der päpstlichen Kongregation der Glaubensverbreitung vom 8. Dezember 1939 lauten die' entscheidenden Stellen für den Klerus in China: „1. Weil die Zeremonien, die von den öffentlichen Obrigkeiten zu Ehren des Konfuzius vollzogen oder anbefohlen werden, nicht in der Absicht geschehen, einen religiösen Kultus zu veranstalten, sondern allein dem Zwecke dienen, eine geziemende Ehre einer so ausgezeichneten Persönlichkeit zu erweisen und sie zu fördern und dies gleicherweise auch von der traditionellen Huldigung gegenüber den Vorvätern gilt, ist es den Katholiken erlaubt, an Akten der Ehrung, die vor dem Bildnis oder der Tafel des Konfuzius in den Gedenkhallen des Konfuzius und in den Schulen vollzogen werden, teilzunehmen. 2. Demnach ist es nicht für unerlaubt zu halten, daß man in den katholischen Schulen, besonders wenn die Obrigkeiten dies anbefehlen, ein Bildnis des Konfuzius oder auch die Tafel mit seiner Namensinschrift anbringt. Es ist nicht als unerlaubt anzusehen, daß man sie durch Verneigen des Kopfes grüßt. Wenn jemals ein Ärgernis zu befürchten wäre, so erkläre man die rechte Absicht der Katholiken. 3. Es kann geduldet werden, daß katholische Beamte und Schüler, wenn es ihnen befohlen wird, bei öffentlichen Zeremonien zugegen zu sein, daß sie daran teilnehmen, auch wenn diese den äußeren Schein des Aberglaubens aufweisen, jedoch nur gemäß der Norm des Canon 1258, wenn sie dabei passiv sich verhalten und nur an einer Ehrung teilnehmen, die man begründeterweise als eine rein staatsbürgerliche ansehen kann. Sie sollen dabei, wie vorstehend angegeben, ihre Intentionen erklären, wenn dies notwendig erscheint, um falsche Auslegungen ihrer Handlungen zu vermeiden.“

Zergrübeln und Verneinen der Ratsamkeit der Missionsanweisungen der Propaganda fide gefallen sind. Tragik des Schicksals! Vor etwa siebzehn Jahren erschien aus der Feder eines französischen Missionars des Apostolischen Vikariats Peking, Abbe Garnier, ein Buch über die Missionsarbeit und die Missionsmethoden in Romanform unter dem Titel „Le Christ en Chine“. Der Apostolische Delegat in Peking sah sich genötigt, Abbe Garnier nach Veröffentlichung des Buches auszuweisen. Wenn wir heute in diesem Budie blättern, so hat vieles in der Auseinandersetzung mit den neueren Missionsdirektiven seine Schärfen, aber auch seine Aktualität eingebüßt. Die jahrzehntelang so bedrohte Lage der Glaubensboten, denen Garnier ein Gedenkblatt von dreizehn Märtyrern aus den Jahren 1911 bis 1927 widmet, ist zwar noch keineswegs überall vorüber — das haben auch mancherlei beklagenswerte Ereignisse im zweiten Weltkriege bewiesen —, aber sie dürfte doch wesentlich gebessert sein, so daß der Klageruf von der Missionarverfolgung in China

gewiß keine ATlgemeinbedeutung mehr hat. Hiefür ist das Entstehen und die folgerichtige Heranbildung einer einheimischen Geistlichkeit so wie jetzt die Schaffung einer einheimischen Hierarchie von vielleicht ausschlaggebender Bedeutung. Es gilt nicht nw, von veralteten Missionssystemen einsichtsvoll Abschied zu nehmen, sondern auch von staatlichen Missionsprotektoraten, die in den letzten Jahrzehnten allmählich wie von selbst verblichen sind. Die abendländischen Missionare sind nicht etwa durch die Schaffung der neuen Hierarchie brüsk entthront, sondern ein so altes Kulturvolk wie das chinesische mit seiner empfindsamen Pflege des Dankgefühls wird sich der Pflicht der Dankbarkeit gegenüber den Glaubensboten aus Europa und Amerika bewußt bleiben. Das Zusammenwirken beider wird für den künftigen Werdegang einer Weltkultur von vielleicht epochemachender Wirkung sein. Sie wird sich einstellen, wenn es im Sinne von Hsi-Lung zu der abschließenden Synthese in der Weltgeschichte, zu einer höheren Einheit kommt.

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