7033232-1989_39_09.jpg
Digital In Arbeit

Vom Horror der Altkommunisten vor den Masse

19451960198020002020

Am I.Oktober 1949 - vor 40 Jahren -wurde die Volksrepublik China mit der Hauptstadt Peking ausgerufen. Die Kommunisten mit dem Vorsitzenden Mao Zedong übernahmen die Herrschaft. Ministerpräsident wurde Tschou En-Iai. Was aus China geworden ist und wie es nach dem4.Juni 1989weitergehen kann, versucht das Dossier darzustellen.

19451960198020002020

Am I.Oktober 1949 - vor 40 Jahren -wurde die Volksrepublik China mit der Hauptstadt Peking ausgerufen. Die Kommunisten mit dem Vorsitzenden Mao Zedong übernahmen die Herrschaft. Ministerpräsident wurde Tschou En-Iai. Was aus China geworden ist und wie es nach dem4.Juni 1989weitergehen kann, versucht das Dossier darzustellen.

Werbung
Werbung
Werbung

FÜRCHE:PaterLöwe, Siewaren von Oktober 1947 bis Mai 1952 Chinamissionar. Wie haben Sie den Umbruch zu Beginn der fünfziger Jahre erlebt?

LÖWE: Den Umbruch habe ich als Deutschlehrer in Peking erlebt. Peking wurde ja nicht erobert, sondern übergeben - und zwar am zweiten Tag des chinesischen Neujahrsfestes. Die Tschiang Kai-schek-Truppen hatten noch das neue Jahr eingeschossen, dann haben sie die Waffen abgeliefert. Am zweiten Tag kamen dann die kommunistischen Truppen in die Stadt. Das war sehr interessant Die hatten zuvor Friedensgespräche mit 18 Punkten ausgehandelt. Und diese Punkte enthielten Großartiges - sie waren wenige Tage vorher publiziert worden. Meine Studenten fragten mich: Na,Pater, was halten Sie davon. Ich antwortete, da kann man nicht mehr erwarten. Es wurde alles garantiert: Jede Art von Freiheit - politischer wie geschäftlicher Natur. Es wurde das Blaue vom Himmel versprochen. Nur zwei Sachen hat man davon ausgenommen, indem man von der Möglichkeit sprach, Großgrundbesitz und Großkapital zu beseitigen.

FURCHE: Hat sich äußerlich etwas verändert?

LÖWE: Man hat sofort bemerkt, daß da etwas anderes ist. Die gesamte Polizei wurde schlagartig kaserniert - sie wurde entweder von der Partei oder vom Militär übernommen. Sogar die polizeilichen Meldestellen verschwanden fürs erste. Viele Kollegen waren nach Süden abgewandert. Ich blieb aber. Auch bei den Studenten änderte sich alles schlagartig. Während ich vorher viele Kontakte hatte, sah das nachher ganz anders aus. Nur ein Katholik kam später noch zu mir. Unter den Lehrern gab's kaum eine Veränderung. Ich habe auch weiterhin alle Versammlungen besucht. Aber da kamen dann neue Formulare auf, bei denen man schon angeben mußte, durch wen man in die Universität gekommen war, wer einen empfohlen hatte - man versuchte schon, Querverbindungen nachzugehen. Die Informationsmaschinerie setzte voU ein. Manche Lehrer - viele großartige Menschen - waren voll vereinnahmt von der Hoffnung auf die Kommunisten. Einen, der mich empfohlen hatte, traf ich nach der Gehirnwäsche wieder. Dieser Mann hatte in Berlin Deutsch studiert, war ein hervorragender Mensch. Er war nach der Gehirnwäsche praktisch nicht mehr ansprechbar.

FURCHE: Wie ging das mit der Gehirnwäsche vor sich?

LÖWE: Das hat sich sogar im Hof vormeinem Fenster abgespielt. Und zwar noch im ersten halben Jahr 1949 in Peking. Tausende machten da auf dem großen Platz beim roten Gebäude der Pekinger Universität Schulungen mit. Zu Tagesbeginn wurde das Programm verlesen, dann gab es die SpezialSchulungen. Ich habe dann erfahren, daß hier auch jene Untergrundgruppen ausgebildet wurden, die später in den Süden gingen. Am Nachmittag sassen sie zu Gruppen von je zwanzig Leuten beisammen und ließen sich indok-trinieren.

Sehr beliebt war dabei das Verlesen von Beichtspiegeln. Denn auch bei den Kommunisten galt Wenn du beichtest, was du getan hast, wird dir das Volk gnädig sein und dir deine Sünden vergeben. Aber es mußte alles gebeichtet werden. Und diesbezüglich waren die Schulungsleiter über einzelne schon bestens vorinformiert Wenneiner also etwas vergessen hatte - etwa, was er vor Jahren gegen die Kommunisten gesagt hatte - wurde er so lange behandelt, bis er auch das gestand.

FURCHE: Hat das auch Sie persönlich betroffen?

LÖWE: Ab August 1949 habe ich bis Dezember 1951 in Shanghai Religion unterrichtet. Ab Jänner 1952 habe ich damit aufgehört, weil ich meine philosophisch-theologischen Studien fortsetzen mußte. Das war mein Glück. Denn während dieser Zeit waren schon Spitzel in den Katechismusunterricht eingeschleust worden. Da müssen dann gewisse Informationen bei den Behörden eingelaufen sein. Denn ich bekam plötzlich Besuch. Die Polizisten waren sehr höflich, haben gefragt, was ich mache. Ich konnte zu dem Zeitpunkt schon darauf verweisen, daß ich nur mehr studiere, keinen Religionsunterricht mehr erteile. Später kamen sie noch einmal und sahen sich in meinem Zimmer um, konnten aber nichts finden.

FURCHE: Wie haben Sie diese Besuche bewertet?

LÖWE: Die wollten uns weghaben, das war klar. Sofort bei der Machtübernahme haben sie ja alle Missionshäuser beschlagnahmt, auch alle unsere Miethäuser. Geldeinkünfte waren von da nicht mehr zu erwarten. Unsere Universität, Spitäler, Schulen, Pfarren ohne Zahl, auch die theologische Fakultät mit einer Mittelschule konnten nicht mehr finanziert werden. Ebenso wurde uns der auslandische Geldhahn zugedreht. Und deswegen entschieden unsere Oberen, alles, was nicht Pfarrer oder Kaplan ist muß die Ausreise beantragen. Die Kommunisten hatten also erreicht, daß alles möglichst schmerzlos ging.

FURCHE: Sie sind seit 1952 aus China weg, haben den Kontakt mit dem Land aber nie verloren. Heute sind Sie Chinesenseelsorger in Wien. Wie beurteilen Sie die Lage in China nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung im Juni durch die Reformhoffnung DengXiaoping?

LÖWE: Es wiederholt sich in China immer wieder, was ich schon zu Beginn der Machtübernahme der Kommunisten erfahren habe. Der dialektische Materialismus macht es möglich, alles zu begründen und als Volkswillen darzustellen. Deswegen bin ich persönlich skeptisch gegenüber allen Aussagen der chinesischen Kommunisten. Momentan sehe ich gewisse Anzeichen einer Milderung: der abgesetzte Parteichef Zhao Ziyang wurde beispielsweise nicht vor Gericht gestellt. Die müssen ja auf einen vernünftigen Kurs einschwenken. Die blutige Niederschlagung der Protestbewegung war eine Angstreaktion. Die führenden Kommunisten fürchteten tatsächlich um ihr Leben. Hätten sich die Studenten durchgesetzt, wären die, die jetzt noch oben sitzen, alle unten gewesen.

FURCHE: Die chinesische Propaganda spricht nur von wenigen Aufrührern, Deng Xlaoping nannte sie den Abschaum der Gesellschaft.

LÖWE: Ich habe Leute hier in Wien gesprochen, die mit dabei waren, als zum Beispiel die Freiheitsstatue auf dem Tiannanmen-Platz errichtet wurde. Die Studenten hatten die Idee der Freiheit. Und das war keine kleine Gruppe. Die Demokratiebewegung war eine Massenbewegung. Sie hat das ganze Volk - also auch die Bauern und die Arbeiter - erreicht. Ja selbst in der Armee hat es da Differenzierungen gegeben. Aber, wer die Chinesen kennt, weiß, daß dann, wenn Gegenwind kommt es niemand gewesen sein will

FURCHE: Ist China heute international isoliert?

LÖWE: Kurzfristig vielleicht. Aber Geld spielt die größte Rolle. Und die westliche Welt wird weiter investieren. Vielleicht ist Geld für kurze Zeit ein gewisses Druckmittel - aber früher oder später spielt sich die Sache wieder perfekt ein.

FURCHE: Versäumt der Westen, in China die Menschenrechte einzufordern?

LÖWE: Die Chinesen, die hierher kommen, hoffen auf den Westen. Sie glauben noch an die Aufrichtigkeit der Europäer mit ihren Wertbekenntnissen und hoffen, daß Druck ausgeübt wird. Aber neuerliche Annäherungen sind nur eine Frage der Zeit.

FURCHE: Ist es mit einer Demokratiebewegung in China jetzt lange Zeit vorbei?

LÖWE: Das war eine Volksbewegung - völlig klar. Und die ist irreversibel. Nur, die Studenten haben den Fehler gemacht, daß sie auf die Beschwörungen des Parteichefs Zhao Ziyang, an die Universitäten zurückzugehen (gerade am Vorabend des Gorbatschow-Besuches inPeking, FÜRCHE20und21/1989, Anm.dRed.), nicht hörten. Und da überlegten die Alten: Wenn sie auf Zhao nicht hören, dann kann bald alles verloren sein. So versuchte man mit allenMitteln - der Materialismus macht's möglich - mit Lüge, Verleumdung und dem Gebrauch der Waffen das zu retten, was der Partei nützt.

Meine Hoffnung ist, daß das Umdenken im Volk, irreversibel ist. Wenn der Vorgang des Protestes durch Führerpersönlichkeiten gesteuert gewesen wäre, hätte die Sache anders ausgehen können.

Mit Pater Anton Löwe, Leiter der chinesjach-la-liachmGememdainderPulwBUuuinii , Wien 9, prach Franz. Garorigler.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung