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Sturm über Kerala

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„Die kommunistischen Studenten Keralas haben beschlossen, ant 15. Juni vor den Wohnungen der Bischöfe und dent Hauptgebäude der Nair-Schulzentrale in Tivandrunt ein öffentliches Fasten zu beginnen.“

Diese Zeitungsnachricht zeigt wieder einmal, daß auch die politische Geschichte Indiens ihre Launen hat. Die Methoden Gandhis, der mit geistigen Mitteln für die Freiheit kämpfte, werden jetzt von Materialisten übernommen, die prinzipiell auch vor Gewalt nicht zurückschrecken. Die Nairs, die bedeutendste Hindugruppe in Kerala (etwa 17 Prozent der Bevölkerung), die in der Vergangenheit von jeder Möglichkeit Gebrauch machten, den gerechten Stolz der Christen zu brechen, sind jetzt zu Bundesgenossen der katholischen Bischöfe im Kampf um die Schulfreiheit geworden. All das beweist auch, wie verworren die Lage in diesem von den Kommunisten regierten Staate ist. Wie bekannt, sind die Kommunisten zwei Jahre Herren in diesem Staate an der Südwestküste Indiens, ein wenig größer als Holland, mit gut 14 Millionen Einwohnern.

Im übrigen kann das Unternehmen der kommunistischen Studenten auch unerwartete Folgen haben. Die große Mehrzahl der Studenten hat bestimmt nicht vergessen, daß die Regierung keine Eile gezeigt hat, ihren 195 8 gegebenen Versprechen nachzukommen. Auch die Erinnerung an den großen Streik im Juni vergangenen Jahres lebt immer noch fort. Nicht nur die Universitätsstudenten, auch die Jungen und Mädchen der Mittelschulen nahmen daran teil. Es wirkt noch etwas von der verbissenen Zähig-

keit nach, mit der man damals durchgehalten hat; man erinnert sich noch der Aufzüge in den Städten und Dörfern, dem Sitzstreik mit den Gefängnisstrafen und den Schlägen, die man gelegentlich von der Polizei hinnehmen mußte. Die Aktion der kommunistischen Studenten kann sehr leicht auch die Regimegegner auf den Plan rufen.

Im Grunde geht es aber jetzt um anderes als im vorigen Jahr. Damals handelte es sich um die erhöhten Fahrgelder für die Studenten. Jetzt steht die Freiheit des Unterrichtswesens selbst auf dem Spiel. Die Kommunisten sagen, die neuen Einschränkungen beträfen ja nur das vom Staat bezahlte Unterrichtswesen. Das ist an sich richtig. Aber erstens ist es klar, daß die meisten Schulen in Kerala ohne dauernde Staatshilfe nicht bestehen können, zweitens ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die nicht subventionierten Schulen unter Gewissenszwang gebracht sein Werden.

Das neue Schulgesetz Keralas läßt vom Selbstbestimmungsrecht der freien Schulen in der Praxis nichts übrig. Nach ihm stellen die kommunistischen Behörden die Liste auf, aus der das Lehrpersonal entnommen werden muß. Die Regierung bezahlt das Lehrpersonal unmittelbar, ohne die Schulleiter dabei einzuschalten. Sie schreibt die von ihr verfaßten Lehrbücher vor, und man hat Erfahrung darüber, wie sie aussehen.

Für die meisten Beteiligten ist der Streit um das Schulgesetz im übrigen nur ein Teil des Widerstandes gegen die kommunistische Regierung. Deshalb können sich auch die politischen Parteien nicht ganz passiv verhalten.

So ist es vielleicht kein Zufall, daß die Kongreßpartei gerade in diesen Tagen mit einer Liste von alten, aber jetzt schärfer umschriebenen Anklagen gegen die Regierung aufkreuzte: Der Staatsapparat werde zugunsten der Kommunistischen Partei gebraucht. Staatsgelder flössen in die kommunistische Parteikasse. Die Regierung weigere sich, das Resultat der parlamentarischen Untersuchung über den sogenannten Reisskandal zu publizieren. Kommunisten, die Ruhe und Ordnung stören, werden gar nicht oder sehr milde bestraft. Man habe kein Vertrauen mehr in die Wahllisten, nachdem bei einer vom Gericht auferlegten Revisionrwahl,

die von der Regierung beaufsichtigt wurde, in dem betreffenden Distrikt auf einmal tausende Wähler mehr wohnten als kurz vorher. Was immer man davon zu halten hat, es ist sicher nicht mehr eine isolierte Partei, welche die Kommunisten angreift. Es hat sich eine Art demokratische Union gebildet, in der sich die Kongreßpartei, die Prajasozialisten und die Muslimliga zusammenfinden.

Eine eigene Rolle in der jetzigen Bewegung spielt der Nair-Leiter Mannath Padmanabhan. Obwohl er mehr als 80 Jahre alt ist, zieht er noch immer Zehntausende an, wenn er seine begeisterten Reden gegen die kommunistische Diktatur hält. Ohne Umschweife sagt er offen heraus, es gehe jetzt darum, die kommunistische Regierung innerhalb weniger Wochen zu stürzen. Alle Gruppen, sogar ein Teil der Ezhavas, haben sich jetzt vereinigt. Darin hat er bestimmt recht. Aber es bleibt auch wahr, daß die Gruppeninteressen auch in diesem Streit ein Wort mitreden. Die Nairs wissen ganz genau, daß es diesmal auch um ihre Schulen geschehen ist, wenn das Schulgesetz durchgeführt wird. Sogar die Kommunisten stützen sich in Kerala an erster Stelle auf die große Mehrheit der Ezhava- Gruppe, etwa 26 Prozent der Bevölkerung Keralas. Diese Hindugruppe hat sich mit staunenswerter Energie, nicht ohne die Hilfe von Christen und Mohammedanern, innerhalb 40 Jahren aus ihrer Erniedrigung und Unterdrückung emporgearbeitet. Leider hat ein Großteil geglaubt, ihr Heil bei den Kommunisten finden zu können. Damit ist die Kommunistische Partei aber auch ziemlich stark an diese Gruppe gebunden. Das ist für Kerala charakteristisch.

Die Hauptlast des Schulstreiks tragen die Direktoren der mehr als 7000 freien Schulen, unterstützt freilich von den katholischen Bischöfen, die ihren Schulleitern in einem besonderen Hirtenschreiben über das Recht der Eltern, ihre Sympathie und Hilfsbereitschaft aus- fIfgespr epi Xa"» gegenjĮię I giįnpg .'Jung.r tioinmep, . Dięh įjll |r nun mitgeteilt, daß sie unter den neuen Gesetzen ihre Schulen nicht wieder eröffnen würden. Die Regierung versuchte, die Einheit des Widerstandes durch Unterhandlungen zu bre-

chęn, aber man weigerte sich, darauf einzugehen, wenn nicht zuerst in einigen fundamentalen Forderungen nachgegeben werde. Daraufhin verlegte die Regierung die Schuleröffnung um 14 Tage. Das konnte einen demagogischen und organisatorischen Vorteil haben, war aber sicher kein Beweis der Stärke. Auch Ministerpräsident E. M. S. Nambudiripad gab nicht gerade einen Beweis von Selbstsicherheit, als er nach New Delhi flog, um die Unterstützung der Zentralregierung anzurufen.

Uebrigens wissen die Kommunisten genau, daß es an erster Stelle den Privatschulen, vornehmlich der Christen und erst recht der Katholiken, zu danken ist, daß Kerala zum kulturell fortgeschrittensten Staate wurde. 70 Prozent der Schulen, Volksschulen sowie Mittel- und Hochschulen, sind Privatschulen. Für so große Dienste müßte der Staat eigentlich dankbar sein. Einen stichhaltigen Grund dafür, daß die Privatschulen nun „zum Dank“ ihrer Freiheit beraubt werden sollen, gibt es nicht. Einigen Mißständen in der Bezahlung der Lehrkörper — die übrigens der Vergangenheit angehören — hätte man auch durch eine einfache Gesetzgebung abhelfen können.

So reifen also die Dinge langsam zur Entscheidung. Die Kommunisten verfügen natürlich über die Regierungsorgane und Staategelder, also über die Macht. Ueberall hört man, daß die Regierung kommunistische Parteimitglieder als Hilfspolizei an die Stelle von abgesetzten Polizisten setzt. Die Zeitungen veröffentlichten eine Verordnung, nach der alle Feuerwaffen abgeliefert werden müssen. Aber auch die Gegner der Regierung sind nicht untätig. Freiwillige wurden aufgefordert, im Notfall die Schulgebäude zu schützen. Man bereitet sich auf einen passiven Widerstand vor. Inzwischen stehen die streikenden Schulen vor dem Problem, wie sie die Lehrer bezahlen sollen. Auch von den Lehrern, die zum Teil nicht sehr demokratisch eingestellt sind, wird es abhängen, ob sie der Schulleitung Folge leisten werden.

Es herrschte eigentlich immer Hochspannung, seitdem den Kommunisten vor gut zwei Jahren zu ihrer eigenen Ueberraschung die Macht in den Schoß fiel. Nach den politischen Morden im letzten Jahr, nach dem Generalstreik der Studenten im Sommer 1958 geht es jetzt einem Höhepunkt zu.

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