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„In einem Zoo leben“

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Der vorliegende Text ist die Übersetzung eines Aufrufes von Chen Yuan-shen, 27, einem in der rotchinesischen Küstenprovinz Fukien geborenen Chinesen, der 1963 an der Kommunistischen Schule der Schönen Künste in Amoy graduierte. Er war dann Kunstlehrer an einer Schule und ein Führer der Roten Garden während der Unruhen der Kulturrevolution. Am 8. August 1968 gelang ihm die Flucht vom chinesischen Festland, indem er zehn Kilometer von der Küste bei Amoy nach Kinmen (Quemoy) schwamm, als die Armee begann, die Roten Garden zu liquidieren. Der Aufruf wurde kürzlich von der größten englischsprachigen Tageszeitung Taipehs, „The China News“, veröffentlicht.

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Der vorliegende Text ist die Übersetzung eines Aufrufes von Chen Yuan-shen, 27, einem in der rotchinesischen Küstenprovinz Fukien geborenen Chinesen, der 1963 an der Kommunistischen Schule der Schönen Künste in Amoy graduierte. Er war dann Kunstlehrer an einer Schule und ein Führer der Roten Garden während der Unruhen der Kulturrevolution. Am 8. August 1968 gelang ihm die Flucht vom chinesischen Festland, indem er zehn Kilometer von der Küste bei Amoy nach Kinmen (Quemoy) schwamm, als die Armee begann, die Roten Garden zu liquidieren. Der Aufruf wurde kürzlich von der größten englischsprachigen Tageszeitung Taipehs, „The China News“, veröffentlicht.

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„Hier ist die Stimme von siebenhundert Millionen Menschen. Hört!

Das ist ein Appell und ein lauter Aufschrei des Protestes von 700 Millionen Menschen in ganz China.

Wir protestieren heftig gegen die Äußerungen einiger halbblinder westlicher Politiker, die der chinesisch-kommunistischen Tyrannei gefällig sein wollen, indem sie Rotchina in die UNO bringen, mit der Begründung, daß Mao uns kontrolliert, uns, die 700 Millionen Menschen von China.

Zu allererst wollen wir Euch sagen, daß kein Herrscher in der Geschichte jemals so jämmerlich versagt hat und jemals von uns, den 700 Millionen Menschen Chinas, so. bitter und vollständig gehaßt worden ist wie Mao Tse- tung.

Und hört weiter!

Wir verhungern. Unsere Bevölkerungszahl wächst mehr und mehr, und deshalb haben wir immer weniger zu essen. Aber Mao will, daß wir Atombomben produzieren und nicht mehr Reis. Kein Volk der Erde kann glücklich sein, wenn es hungert.

Wir leben in einem Zoo; wenn Ihr in der übrigen Welt schon unbedingt sagen wollt, daß uns die Kommunisten gänzlich unter Kontrolle haben, so antworten wir: „Ja, in gewisser Weise habt Ihr recht: Sie steckten uns, die 700 Millionen, in einen großen Zoo. Aber wir sind keine Affen, wir sind Menschen, und wir wollen ausbrechen: heraus aus dem Zoo, heraus aus dem großen Konzentrationslager, der Kommune! Jetzt haben wir keine Freiheit, außer einer gewissen begrenzten Freiheit, zu vegetieren und zu sterben. Unter uns bestand einige Hoffnung während des Korea- und des Vietnamkrieges, daß der Eiserne Vorhang gelüftet werden könnte. Aber diese Chancen sind nun in weite Ferne gerückt. Da die kommunistische Regierung es nicht wagt, dem Volk die Erlaubnis zu geben, Festlandchina zu verlassen, ist der einzige Fluchtweg für uns der über Hongkong oder nach Quemoy. Das aber bedeutet, viele Stunden durch von Haien verpestete Gewässer zu schwimmen.

Mao und Tschu En-lai hören nicht auf, uns zu morden. Es gefällt ihnen, Menschen in Säuberungsaktionen und Massenexekutionen zu vernichten. Sie leugnen es nicht, weil es ihr Gewissen nicht berührt und sichtlich auch nicht das Gewissen der westlichen Politiker, die Rotchina besuchen wallen. Nach den Hinrichtungen setzen sie unsere Namen in die chinesischen Lokalzeitungen und auf Plakate an der Wand. Bitte, öffnet Eure Augen und zählt und lest die Namen. Die Zahl der ermordeten Menschen ist größer als die durch das Internal Security Sub-Committee des US-Senats am 12. August 1971 veröffentlichte Zahl. Die US-Zählung beläuft sich auf ein Minimum von 34 Millionen Menschen! Wir wissen, daß es mehr sind.

Die Regierung der Republik China wurde noch auf dem Festland vor dem Sieg der Kommunisten, den gesetzlichen Normen entsprechend, durch das gesamte Volk in China gewählt. Wenn sie auch vorübergehend Ihr Arbeitszentrum in Taipeh aufgeschlagen hat, so ist sie doch die einzige legale Regierung, die uns, die 700 Millionen, vertreten darf, denn seither — unter Mao — hat es keine demokratischen Wahlen auf dem Festland mehr gegeben.

Wenn die kommunistische Regierung glaubt, sie sei die legale Regierung in China, könnten wir zustimmen, vorausgesetzt, sie wäre zustandegekommen auf Grund einer Stimmenmehrheit bei demokratischen, freien und geheimen Wahlen. Wir schlagen daher vor, in ganz China freie Wahlen unter der Aufsicht und Kontrolle der UNO abzuhalten. Diese würden uns eine Chance geben, in Freiheit diejenigen zu wählen, die uns repräsentieren sollen.

Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Republik China, als Gründungsmitglied, das die UNO-Charta im August 1944 unterzeichnete, als der Krieg mit Japan auf dem chinesischen Festland und im Pazifik immer noch weiterging, einziger rechtmäßiger Repräsentant des chinesischen Volkes.

Die Zehntausende, die in den letzten Jahren aus Rotchina geflohen sind, verlangen im Namen der 700 Millionen, die heute noch zum Schweigen verurteilt sind, freie Wahlen auf dem chinesischen Festland. Bis das möglich ist, möge die Republik China auf Taiwan uns repräsentieren, uns, die 700 Millionen Chinesen!“

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