China kauft sich in Europa ein und drosselt seine Rohstoffexporte. Muss man aber deshalb in Panik geraten? Argumente gegen das chinesische Feindbild.
Tief unter der Oberfläche von wirtschaftlicher Konjunktur und der Diskussion um aktuelle politische Themen in Europa und Nordamerika fließt ein zäher Meinungsstrom. Er speist sich aus Generationen von berechtigten oder unberechtigten Urteilen und Meinungen über Personen, Völker und Systeme. China ist ein Beispiel für das Funktionieren dieses unterschwelligen Meinungsflusses. Sobald dieses Land in den Medien auftaucht, beginnen im Unterbewusstsein des geborenen westlichen Demokraten gesichtslose rote Massen zu marschieren. Kein Wunder: China ist riesig, undemokratisch und weitgehend menschenrechtsfrei. Nationalitäten werden unterdrückt, Tibeter geknechtet. Aber rechtfertigt das Unterstellungen über die drohende chinesische Welteroberung?
Angst vor dem "Roten Riesen“
Hier einige Beispiele zur geschätzten Bedachtnahme: China kauft Anleihen notleidender Euro-Staaten, nachdem sich die EU-Regierungen monatelang als zu lahm und mutlos erwiesen haben, das Problem der Staatsschulden wirklich gemeinsam zu lösen. Diese Ankündigung der chinesischen Regierung reichte aus, um schockartige Phantasien über der chinesischen Bedrohung freizusetzen. Nicht mehr als Helfer in der Not wurde Peking da gesehen, sondern als "roter Riese“ (Der Spiegel), der gerade massiv seine undemokratischen Interessen durchsetzen wolle. Ach? Würde also Portugals Regierung seine Stimme dämpfen, wenn es um die Forderung nach Menschenrechten in China oder Tibet geht? Würde China gar die EU durch bösartigen Verkauf von Anleihen ins Trudeln bringen können? Würde es also auf die Politik direkt Einfluss nehmen? Möglich. Aber welches Interesse hätte China, sich seinen nach den USA wichtigsten Absatzmarkt zu runieren? Würde China seine Währungsreserven wirklich als Karte im Poker um die Weltmacht benutzen, riskierte es gleichzeitig den Verfall der eigenen Ersparnisse. Dabei geht es um drei Billionen Dollar.
Realistisch gesehen hat die Frage der Wirtschaftsbeziehungen zu China aber noch eine entscheidende zweite Seite: Schon die wirtschaftlichen Eigeninteressen der Europäer reichen aus, um aus strahlenden Demokraten Duckmäuseriche zu machen, ohne dass jemand diesen Rollenwechsel angeschafft hätte. Man betrachte nur alljährlichen den Eiertanz um Empfang oder nicht Empfang des Dalai Lama.
Das zweite große China-Thema dieser Tage: "Seltene Erden“. Die Regierung in China verhängt Ausfuhrbeschränkungen für diese in der Elektronikindustrie benötigten Metalle. Und nicht nur das, plant China auch noch schärfere Umweltauflagen für die Förderung der Metalle. Ist es nicht verwunderlich, dass in chinesischen Zusammenhängen Umwelt- und Arbeiterschutz keine Freudentänze bei uns guten Europäern auslöst, sondern das Gegenteil: Die USA und die EU erwägen gar eine Klage vor der WTO gegen China.
Häufige Erden
Nun beschäftigen wir uns doch einmal näher mit "seltenen Erden“. Die erste Erkenntnis über diese 17 Metalle ist: Sie sind alles - nur nicht "selten“. Cerium, Yttrium und Neodym kommen in der Erdkruste häufiger vor als Blei. Thulium, das seltenste Element der Erden, ist immer noch nicht so selten wie Gold oder Platin.
Warum also das Geschrei als stünde die Elektronik-Industrie am chinesischen Schafott, wenn es diese Erden doch überall auf der Welt gibt? Das Geheimnis lässt sich lüften: Seltene Erden sind chemisch schwer zu isolieren. Was China zum Zentrum der Weltproduktion machte, war nicht das exklusive Vorkommen, sondern waren erstens: Niedriglöhne, und zweitens: ungehinderte Umweltverschmutzung bei der chemischen Gewinnung.
Noch eines: Ist es verständlich, wenn die US-Handelskammer vor der "akuten Bedrohung des freien Zugangs“ zu seltenen Erden warnt? Wie denn - freier Zugang? Muss demnach ein Land - ob es will oder nicht - seine Bodenschätze dem Weltmarkt preisgeben? Was würde etwa Österreich tun, wenn jemand anklopfte und sagt: "Die Welt braucht dein Wasser, wir zahlen auch, also rück es heraus.“ Sind das Methoden der Globalisierung, die wir wollen?
Thema drei: China kauft Afrika. Tatsächlich spricht einiges dafür. Jüngst raunzte der für Afrika zuständige US-Unterstaatsekretär, China dränge Konkurrenten "ohne jede Moral“ aus dem Geschäft. Wollen wir ihm das glauben und festhalten, dass Chinas Multis noch brutaler vorgehen als man das von manchem US-Konzern kennt. Trotzdem ein kleiner Kontrapunkt: Unlängst weilten Vertreter der afrikanischen Bischofskonferenz in Wien. Sie rieten, auf das Thema angesprochen zur Vorsicht: Die finanzintensivsten und für Afrika wertvollsten Entwicklungsprojekte stammten nicht von westlichen Menschenfreunden, sondern von den Chinesen. Aber was ist schon die Meinung eines kleinen Bischofs gegen den großen Strom der Weltmeinung?
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