Reich der Mitte, mitleidlos

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Europa wird Chinesisch lernen müssen. Peking sieht den Rest der Welt wieder als Peripherie. Das Fortschrittsstreben ist brutal, schreibt Michael Stürmer.

Drei Jahrhunderte lag das Reich der Mitte am Rande der Welt. Mit der Expo Shanghai wollen die roten Mandarine nach den Olympischen Spielen von Peking wieder einmal ihr Mittelpunkt sein. Zur Halbzeit nach drei Monaten sollen nach offiziellen Angaben bereits 35 Millionen Menschen die Weltausstellung gesehen haben […] Europa wird Chinesisch lernen müssen. Das Reich der Mitte sieht den Rest der Welt wieder als Peripherie, wo tributpflichtige Völker wohnen. […]

China ist brutal, Globalisierung hat kein Mitleid. Ob das europäische Fortschrittsmodell des umfassenden Wohlfahrtsstaats noch Zukunft hat? Selbst Amerika, gestern noch alleinige Supermacht, muss sich vorsehen. Chinas System der „Governance“ mag im Westen nicht gefallen, und ob Markt und schöpferische Fantasie auf Dauer ohne Menschenrechte auskommen, ist offen. China ist heute der größte Exporteur von Gütern und von CO2, im Energieverbrauch vor den USA. […]

Unheilvolle soziale Bruchlinien

Dabei sind die Schwächen unübersehbar. Es gibt vier Chinas: Peking und Shanghai, die Küstenprovinzen, die Provinzen im Innern, und das Kolonialland der Uiguren und Tibeter. […] Die sozialen Bruchlinien sind unheilvoll. Vor zwei Jahren wurden 80.000 Unruhen registriert – niemand weiß, wie hoch die Zahl wirklich ist. Die Regierung in Peking wird getrieben vom Konsumhunger der neuen Mittelschicht. Der Griff nach Rohstoffen reicht weit über die Region hinaus und bestimmt die Anbiederung an – beispielsweise – den Iran oder afrikanische Rohstoffbesitzer. China und die USA sind gefangen in Doppeldeutigkeit. China kauft amerikanische Staatspapiere und finanziert Amerikas Wohlstand, zugleich gefährdet China durch eine neomerkantilistische Politik und die Niederhaltung seiner Währung, des Renminbi, die Beziehungen.

Die Ein-Kind-Politik der Regierung war dazu bestimmt, die Reisschüsseln zu füllen und das Land regierbar zu halten. Auf Sicht aber ist sie noch gefahrenträchtiger als die sozialen Klüfte zwischen superreich und bettelarm: Hier staut sich Frust der jungen Männer, die keine Frau finden, keine Familie gründen können. In welche Richtung der Kessel explodiert, kann niemand sagen. Extremer Nationalismus ist ebenso denkbar wie Implosion. Zu den Strukturproblemen zählt auch der technokratische Zynismus im Umgang mit der Natur. China erklärt den Klimawandel, dem doch das Riesenland sich nicht entziehen kann, zu einem Problem des Westens. Erdbeben und Überschwemmungen fügen sich nicht Wunschdenken und Schönreden.

Das Imperium ohne Freunde

China ist das Imperium ohne Freunde, das wie eh und je Tribute einfordert und den Nachbarn die Beziehungen diktieren will. Fernsehserien und Ausstellungen argumentieren, dass alles friedlich und freiwillig vor sich gehen soll. Habe China, so wird in aller Unschuld gefragt, jemals angegriffen? Die Kriegslehre des Sun Tzu besagt, der beste Krieg sei der, den der Feldherr gewinnt, ohne einen Schuss abzufeuern.

Chinas Militär- und Sicherheitspolitik setzt auf High Tech, der Militärhaushalt enthält nur Andeutungen. Zur Sicherung der Rohstoffe […] greift China weltweit aus. Die Rüstung zeigt, wohin es geht: Schwerpunkt Cyberspace und Cyberwar, um Widersacher im Zentralnervensystem zu lähmen. China ist Atommacht mit Interkontinentalsystemen. […] Die Barfuß-Armee des langen Marsches jedenfalls ist Vergangenheit.

Wenn das 19. Jahrhundert das britische Jahrhundert war, so war das 20. das amerikanische. Vieles spricht dafür, dass das 21. Jahrhundert die Epoche des großen roten Drachens wird.

* Die Welt, 3. August 2010

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