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Kein Touristentratsdi

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Noch ist die Westliteratur über China lückenhaft; noch ist das Land hinter der großen Mauer jenes Reich der Geheimnisse: unheimlich, unverständlich und voller Rätsel.

Es hat nicht erst eines Mannes wie Mao bedurft, aus dem chinesischen Reich ein verbotenes Land zu machen. China: das war für die Europäer schon immer ein Land, in dem sich der Fremde nur mit Gänsehaut bewegte.

Seit die Ping-Pong-Diplomatie im Frühling dieses Jahres einsetzte Und seit selbst der US-Präsident mit seiner Peking-Reise zur Sensation des Jahres wurde, ließ die Tauwetterperiode auch Visaanträge für Jomalisten, Publizisten und Kommentatoren möglich werden.

Klaus Mehnert, der deutsche Sowjetologe und Sinologe, hatte das Glück, sogar noch vor den ersten westlichen Reportern nach China zu fahren — auf Intervention des in Peking residierenden Exil-Staatschefs Sihanouk von Kambodscha. Mehnert ist freilich weder Journalist oder schlechthin Publizist. Er ist Wissenschaftler, der das Talent hat, auch so zu schreiben, daß ihn alle jene Leser verstehen, die nur ein schlichtes Interesse für die Themen seiner Bücher mitbringen. Und wen interessiert, fasziniert das rote Gelbe Reich heute nicht?

So ist der Erfolg von Mehnerts neuester Arbeit auch sicher. Und der Verlag tut das Seine dazu, Mehnerts Buch in die Buchläden und von dort unter die Masse der Leserschaft zu bringen: Mehnerts Buch wird zum „politischen Buch des Jahres“ schlechthin hoch gelobt.

Nun, was der Autor hier auf 340 Seiten darstellt, gliedert sich in zwei Teile: einem Reisebericht, der am 6. März 1971 begonnenen 32tägi- gen Fahrt durch das Imperium Maos und eine Hintergrunddarstellung Chinas nach der Kulturrevolution. Es scheint, daß die Methode Authentizität verspricht. Denn in 32 Tagen kann man nicht die vielfältige Facette des Lebens in China erfahren — und erst die Symbiose aus Informationsmaterial an Ort mit dem Material aus allen sonstigen wissenschaftlich verfügbaren Quellen sichert ein Maximum an möglicher und exakter Beschreibung.

Mehnerts Buch ist reich an Beispielen, reich an Fakten, Geschehnissen, Tatsachendarstellungen. Was er bietet, ist nicht fabulierter Touristentratsch. Und man merkt dem Bericht an, daß ihn ein Fachmann geschrieben hat, dessen Forschungstätigkeit durch ein ganzes Leben der Politik der Sowjetunion und Chinas gewidmet ist.

Bietet Mehnert auch eine Theorie vom Gelben Riesen und seiner Zukunftsentwicklung? Mehnert leugnet, daß es so etwas wie eine „Gelbe Gefahr“ durch einen aggressiven Riesenstaat von unvorstellbarer Expansionslust gäbe, getrieben von seinen hunderten Millionen. China, so Mehnert, will zuallererst die eigene Entwicklung zu verbesserten Bedingungen im Leben für seine

Massen und im Zusammenleben mit seinen asiatischen Nachbarn erreichen. Mehnert übersieht freilich nicht, daß heute ein Sendungsbewußtsein besteht, in dem China zum Bannerträger der Dritten Welt wird, zum Herold im Kampf des Weltdorfes gegen die Weltstadt: Also die Führung der globalen Auseinandersetzung zwischen (farbigen) Entwicklungsländern und (weißen) Industrienationen. Das wird in China auch als ungebrochene Beziehung zur Revolution verstanden — aber realisiert sich (noch) nicht in der aktuellen Aggression. Dennoch: „Der Maoismus ist eine Kraft, die Berge versetzt — chinesische Berge.“

Und was kommt nach Mao?

Auch Mehnert kann uns keine Antwort geben, wenngleich sehr vieles für die Kontinuität der Poli tik Chinas unter Maos Nachfolgern spricht. Denn die Kulturrevolution war nicht zuletzt eine Hofbestellung Maos, die in seinem Sinne verlief.

Wenn es eine Erkenntnis aus dem Erlebnis- und Ergebnisbericht über dieses China 1971 gibt, dann die, daß sich diese dreiviertel Milliarden Gelber unter den roten Fahnen eben erst „die Ärmel aufgekrempelt“ haben. Und daß sich hinter diese Bewegung der Aufbruch Asiens verbirgt; Mehnert: „Die Antwort auf den Auf- bruch Asiens ist der Zusammenschluß Europas.“

CHINA NACH DEM STURM. Von Klaus Mehnert. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, 340 Seiten. DM 25.—.

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