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Experiment Rotchina

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Durch den XIII. Parteitag der KP Chinas wurde der seit ungefähr sieben Jahren beschrittene öffnungs- und Reformkurs in China wesentlich gestärkt. Im Rückblick auf das letzte halbe Jahr schien diese Bestätigung durchaus nicht so sicher. Jetzt wurden die konservativen Kräfte zurückgedrängt, die nach den Studentenunruhen zu Jahresbeginn noch zum Sturz Hu Yao-bangs als Parteichef beigetragen hatten. Hu Yaobang ist jetzt wieder an führender Stelle im Politbüro zu finden.

Diese Tatsache und das Faktum, daß Li Peng als zweiter

Mann bestätigt wurde — er wird im kommenden Frühjahr Zhao Ziyang offiziell als Ministerpräsident ablösen, sodaß sich dieser auf seine Aufgaben als Parteichef konzentrieren kann —, läßt für Chinas Zukunft hoffen; wobei noch gar nicht ausgemacht ist, ob das frühere Tempo des Reformkurses, vom großen alten Mann Deng Xiaoping vorgegeben, auch beibehalten werden kann. Li Peng könnte einen Mittelkurs steuern, der dramatische Schritte und damit auch ein Umkippen des Öffnungsprozesses vermeidet.

Wesentlich für künftige politische Entscheidungen in China ist die Vorgabe des Parteitages, daß sich das Land „im Anfangsstadium des Sozialismus“ befinde. Mit diesem theoretisch nicht anfechtbaren Bekenntnis — China bleibt ja „auf dem Weg zum Sozialismus“ - läßt sich in der Praxis mancherlei anfangen. In einem Anfangsstadium läßt sich noch vieles verwirklichen, ohne gleich Revisionismus befürchten zu müssen. Aufbau und Modernisierung des Landes, auch mit kapitalistischen Methoden, sind also durchaus erwünscht.

China hofft jetzt, in eine sehr solide Reformphase eintreten zu können, nachdem das theoretische Problem geschickt gelöst werden konnte. Zhao Ziyang, der nur mehr für die Partei arbeiten wird, gilt als weitsichtiger Politiker und ist in China sehr beliebt. Er kann auf lange Jahre als Gouverneur in der Provinz zurückblicken, wo er sich Verdienste um Sozialreformen erworben hat.

Die chinesischen Medien, die mit dem XIII. Parteitag zum erstenmal eine weitgehende Öffnung erlebten, sehen neue Perspektiven für Rotchina. Unterschiede in der Einschätzung der Lage ergeben sich aus der Nähe zur Partei. Parteizeitungen referieren kaum über wahrscheinlich auftretende Schwierigkeiten bei der Verwirklichung der Reformen. Andere Publikationen machen aber auf die jetzt erst beginnenden Probleme aufmerksam.

Die Bevölkerung Chinas hat eine unterschiedliche Einstellung zu den Ergebnissen des Parteikongresses. Intellektuelle und Stadtbewohner begrüßen die neuen Entscheidungen nicht vorbehaltlos. Denn die bisherigen Reformvorteüe haben sich nur auf die Landbevölkerung ausgewirkt. Man fordert jetzt aber mehr Freiheit und größere Rechte für Wissenschaft und Forschung; dahingehend, daß wissenschaftliche Forschung mehr Eigenverantwortung erhält.

Gerade auf diesem Sektor war früher alles vom Staat reglementiert. Jetzt sollen Kosten und Ausgaben in Eigenregie kalkuliert und verantwortet werden. Die Konsequenz: es dürfen auch Gewinne gemacht werden. Chinesische Wissenschaftler erwarten von dieser Reform sehr viel, weil das wissenschaftliche Potential in China noch lange nicht ausgeschöpft ist.

Die von der Reform bisher meistbegünstigte Schicht Chinas, die Landbevölkerung, steht den jetzigen Vorschlägen nicht besonders enthusiastisch gegenüber. Noch haben viele Bauern in Privatbetrieben Angst, daß der Reformwille umkippen könnte. Deswegen hat man sich bisher gescheut, auf dem Agrarsektor größere Investitionen zu tätigen. Jetzt hofft man auf eine Beruhigung und damit auf größere Produktivität der Landwirtschaft.

Um die landwirtschaftliche Produktivität zu heben, müssen in China neue Energiequellen erschlossen werden. Dazu sind Investitionen notwendig, für die China das Kapital fehlt. Eine Erschließung des Bergbaus wird sieben Jahre dauern; die ganze Wirtschafts- und Versorgungslage hängt davon ab. China ist daher sehr aktiv, um ausländisches Kapital ins Land zu holen. Die Zahl der Joint ventures in China beträgt zur Zeit mehr als 7.000.

Die größten Befürchtungen vor dem Parteitag hatten die Arbeiter, und zwar wegen der Preisentwicklung. Für bestimmte Waren gibt es in China schon seit Jahren freie, das heißt vom Markt bestimmte Preise. Das soll weiter so gehandhabt und ausgeweitet werden. Die Arbeiter hoffen auf überlegte Schritte, damit sich Grundnahrungsmittel nicht zu sehr verteuern.

Vor allem will man in China Spekulationen der Kleinhändler, die in der Vergangenheit zu horrenden Preisen führten, verhindern. Der Schwarzmarkt florierte, während viele Geschäfte in den Städten leer waren. Mit Bestimmungen für ein bestimmtes Ankaufvolumen im Kleinhandel will die chinesische Regierung jetzt diese negative Entwicklung in den Griff bekommen. Man setzt auf eine positive Konkurrenz zwischen Kleinhandel und verstaatlichten Geschäften.

Rotchina geht in eine interessante Zukunft. Die wirtschaftliche Öffnung wird forciert. Und diese Phase des Experimentierens wird ihre Wirkung auf die politische Mentalität des Landes nicht verfehlen.

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