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Reagans Not mit der Handelsbilanz

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Jahrzehntelang waren die USA in Sachen Freihandel die Lehrer Westeuropas und Japans. Heute befaßt sich der Kongreß immer mehr mit protektionisti-schen Gesetzesentwürfen.

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Jahrzehntelang waren die USA in Sachen Freihandel die Lehrer Westeuropas und Japans. Heute befaßt sich der Kongreß immer mehr mit protektionisti-schen Gesetzesentwürfen.

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Industriestaaten und Entwicklungsländer blicken heute voller Bangen und Sorge auf die Vereinigten Staaten, die schon seit dem Beginn der siebziger Jahre in ein protektionistisches Fahrwasser zu geraten drohen. Seither wurde das „liberalste Außenhandels-Regime der Welt“ immer häufiger durch Quoten-Regelungen (bei uns hieße das Importkontingente) und durch die Erwirkung sogenannter „freiwilliger“ Export-Selbstbeschränkungs-Abkommen durchlöchert.

Diese letztere, den Handelspartnern aufgezwungene und daher alles andere als freiwillige Maßnahme hat in den letzten Jahren besonders stark um sich gegriffen und reicht von japanisehen Autos über Schuhe bis zu Textilien und Bekleidung. Importquoten gibt es bereits für derart viele Waren - Österreich ist besonders von den Restriktionen für Stahl und für Käse betroffen -, daß es kaum noch möglich ist, sie hier, und sei es'auch nur demonstrativ, aufzuzählen.

Um zu verstehen, weshalb sich der Kongreß und immer mehr Abgeordnete beziehungsweise Senatoren diesen Entwürfen gegenüber aufgeschlossen zeigen, muß man wissen, daß Ge-setzes-Entwürf e in den USA nicht von Partei-Sekretariaten eingebracht werden, es keinen Klubzwang gibt, das Parlamentsmitglied direkt und ausschließlich seinen Wählern — und seinem Gewissen — verantwortlich ist, und vor allem noch etwas: Die Wähler üben auf die Abgeordneten ihres Wahlkreises und auf die Senatoren ihres Bundesstaates Druck aus, das heißt, sie drohen, ihm bei den nächsten Wahlen nicht ihre Stimme zu geben.

Im Sommer vorigen Jahres hatte sich die protektionistische Stimmung aufgebaut wie eine Flutwelle. Das ist weiter nicht verwunderlich, wenn man einen Blick auf die immer tiefer in die roten Zahlen rutschende Han-delsbüanz wirft, die den enorm angewachsenen Import und die unbefriedigende Entwicklung der Ausfuhr reflektiert: 1981 betrug das Handelsbilanzdefizit 39,7 Milliarden US-Dollar, 1985 bereits 148,4 Milliarden und 1986 (geschätzt) 165 bis 170 Milliarden Dollar.

Um dieser protektionistischen Welle entgegenzuwirken, willigte Präsident Ronald Reagan im September vergangenen Jahres ein, daß sich die USA an Interventionen auf den Devisenmärkten beteiligen, um den Außenwert des Dollars zu senken. Der bedrängten amerikanischen Industrie und Landwirtschaft sollte so von der Wechselkurs-Seite her geholfen werden.

Die Rechnung ging auf: Der protektionistische Druck ließ nach, allerdings nur temporär, es gelang nur, Zeit zu gewinnen, nicht mehr. Obwohl der Dollar seither — es ist dies jetzt fast ein Jahr her — ein Drittel seines Außenwertes einbüßte, hat sich das Außenhandels-Ungleichgewicht weiter vergrößert, und eine Trendumkehr ist vorerst nicht in Sicht.

Vor zwei Monaten kam ein neues Problem hinzu: Zum ersten Mal seit Jahrzehnten exportieren die USA weniger Agrarprodukte als sie einführen: Die traditionell aktive Agrarbilanz wurde passiv.

Was bedeutet es, wenn der Einfuhrüberschuß heuer auf 165 bis 170 Milliarden Dollar (rund 2500 Müliarden Schilling) anschwellen wird? Die Nachfrage wird in den USA zu einem immer größeren Teil durch importierte statt durch im Land selbst erzeugte Ware befriedigt, und immer weniger Waren werden exportiert. Mit anderen Worten: Es werden Arbeitsplätze vernichtet. Nach Berechnungen von Professor William H. Branson von der Princeton University sind bisher 1,7 Millionen Arbeitsplätze verlorengegangen; Bergbau, Landwirtschaft und Industrie schrumpfen. Das verschlechtert wieder die ohnedies katastrophale Budgetsituation (geschätztes Defizit im Fiskaljahr 1985/86 nach neuesten Berechnungen: 232 Milliarden Dollar) durch reduzierte Steuereinnahmen und höhere Arbeitslosenzahlungen. Schließlich beschwört diese Entwicklung die Gefahr einer Rezession herauf.

Jetzt flammt daher die protektionistische Gefahr erneut auf: Es bedurfte der ganzen Uberzeugungskraft Präsident Reagans, der bekanntlich ein überzeugter Anhänger der Freihandels-Idee ist, um einen protektionistischen Gesetzesentwurf Anfang August zu Fall zu bringen. Aber um ein Haar hätte er die erforderliche Mehrheit erreicht: nur acht Stimmen haben gefehlt, und es wäre beschlossen worden! Dem Präsidenten gelang letzten Endes, die Abgeordneten davon zu überzeugen, daß die Handelspartner mit Retorsionsmaßnahmen reagieren würden, wovon in erster Linie der amerikanische Agrar-Export betroffen wäre. Dieses Argument überzeugte, denn von 34 Senatoren, die sich im November dieses Jahres der Wiederwahl stellen, kommen 22 aus „Farm-States“, also aus Bundesstaaten, in denen die Landwirtschaft eine überragende Bedeutung hat. Diesmal ist es also noch gutgegangen, aber es hat nicht viel gefehlt, und wir hätten den Beginn eines Handelskrieges erlebt.

Die Tabelle zeigt, wie stark sich die Einfuhr im Zeitraum 1972 bis 1984 erhöht hat. Für die USA galt ein etwa 20prozentiger Anteil von Importware schon immer als Reizschwelle.

Die protektionistischen Bestrebungen, die es derzeit in Washington gibt, lassen sich in fünf voneinander sehr verschiedene Kategorien einteilen:

• Maßnahmen gegenüber einzelnen Ländern:

Die Abgeordneten der Demokratischen Partei streben einen 25prozentigen Zuschlag zum Einfuhrzoll für solche Waren an, die aus einem Land geliefert werden, das um mindestens 65 Prozent mehr in die USA exportiert, als es von dort bezieht. Wenn ein Land in einem bestimmten Jahr seinen Ausfuhrüberschuß gegenüber den USA um mindestens zehn Prozent abbaut, wäre die Importabgabe in dem betreffenden Jahr nicht zu entrichten. Diese Maßnahme würde sich vor allem gegen Japan richten, aber auch Südkorea, Taiwan und Brasilien in Mitleidenschaft ziehen.

Demgegenüber treten die meisten republikanischen Volksvertreter dafür ein, daß der Präsident ermächtigt wird, im Falle von „unfairen Handelspraktiken“ (ein sehr dehnbarer Begriff!) innerhalb von 90 Tagen Ausgleichszölle, Importquoten oder sogar Importverbote von sich aus, also ohne daß der Kongreß aktiv wird, zu verhängen.

• Importschutz für bestimmte Waren:

Hier handelt es sich um Maßnahmen, die einzelne Produkte beziehungsweise Branchen gegenüber einem Land (zum Beispiel Kupferimporte aus Chile) oder einer Ländergruppe (Rosen aus der Europäischen Gemeinschaft) schützen sollten. Dem Kongreß liegen Dutzende solcher Anträge zur Behandlung vor.

Bilateraler Handel?

• Strengere Anwendungen der bestehenden Vorschriften:

Die Reagan-Administration steht auf. dem Standpunkt, daß neue gesetzliche Regelungen nicht notwendig sind und daß die bestehenden legistischen Möglichkeiten, gegen handelspolitische „Verstöße“ vorzugehen, durchaus ausreichen, sie müßten nur strenger gehandhabt werden als bisher.

• Subventionierung der Exporte: Um der Exportstützung anderer

.Länder entgegenzuwirken, beabsichtigt die Regierung, zunächst auf dem Agrarsektor ein Subven-tionierungssystem auf- beziehungsweise auszubauen. Im Vorjahr wurden Getreideexporte nach Ägypten subventioniert, vor wenigen Wochen erregte der Beschluß, die Brotgetreide-Ausfuhr in die Sowjetunion zu stützen, großes Aufsehen und löste eine heftige Kontroverse aus.

• Abkehr von der multilateralen Handelspolitik:

Dieser möglicherweise gravierendste Schritt sieht langfristig die Rückkehr zu einer bilateralen Handelspolitik, wie sie früher einmal bestand, beziehungsweise eine Regionalisierung, also zum Beispiel die Schaffung einer Freihandelszone zwischen den USA und ihrem wichtigsten Handelspartner Kanada, vor.

Der Druck auf die Regierung wird also immer stärker. Dazu Finanzminister James Baker: „Da draußen wütet ein Steppenbrand, es wird all unserer Kräfte bedürfen, um diese Gefahr abzuwehren.“

Der Autor ist Leiter der Repräsentanz der Genossenschaftlichen Zentralbank AG.

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