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Barrieren gegen den Freihandel

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In Frankreich und in den USA formieren sich einflußreiche Gegner eines weiteren Abbaus von weltweiten Handelshemmnissen. Der neue Generaldirektor des GATT, des Allgemeinen Zoll-und Handelsabkommens, muß massiv gegen die neuen Protektionismustendenzen ankämpfen.

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In Frankreich und in den USA formieren sich einflußreiche Gegner eines weiteren Abbaus von weltweiten Handelshemmnissen. Der neue Generaldirektor des GATT, des Allgemeinen Zoll-und Handelsabkommens, muß massiv gegen die neuen Protektionismustendenzen ankämpfen.

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Die Flucht nach vorn hat der neue Generaldirektor des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT angetreten, als er auf sieben knappen Seiten unter dem aussagekräftigen Titel „Trade, the Uruguay Round and the Consumer - The Sting: How Governments Buy Votes on Trade with the Consumers Money?” klarstellte, daß handelspolitischer Protektionismus überall in der Welt zu Lasten der Verbraucher geht.

Peter Sutherland, einst zielstrebiger und gefürchteter EG-Kommissar in Brüssel und später angesehener Unternehmer in Ir land, sucht in der breiten Öffentlichkeit Unterstützung für einen raschen Abschluß der Achten Welthandelsrunde, die vor sieben Jahren in Punta del Este ihren Ausgang genommen hat und nach mehrfachen Verzögerungen bis 15. Dezember dieses Jahres endgültig unter Dach und Fach gebracht werden soll.

Ursprünglich hätte der radikale Abbau weltweiter Handelshemmnisse bereits an der Ministerkonferenz in Brüssel im Dezember 1990 beschlossen werden sollen.

Die Studie, die sich weitgehend auf Schätzungen der OECD stützt, will somit durch einen Appell an den Konsumenten dem politischen Einfluß jener Wählergruppen, Unternehmen und mächtiger Lobbies entgegenwirken, die an einem erweiterten Freihandel keinen rechten Gefallen finden.

Der Bericht des GATT-Sekretaria-tes macht deutlich, daß nationale Schutzmaßnahmen - vor allem bei Konsumgütern wie Nahrungsmitteln, Unterhaltungselektronik, Autos, Textilien und Bekleidung - stets und überall zu erheblichen Verteuerungen und Steuerbelastungen führen, die weltweit über 350 Milliarden Dollar (4.200 Milliarden Schilling) betragen sollen. Dies wäre deutlich mehr als das Doppelte des österreichischen Bruttoinlandsproduktes.

Das Ausmaß des Protektionismus ist allerdings von Land zu Land verschieden. So werden die Belastungen durch Importbeschränkungen allein auf dem landwirtschaftlichen Sektor im OECD-Durchschnitt mit 440 Dollar pro Kopf der Bevölkerung angegeben. Österreich liegt mit 530 Dollar knapp darüber, Norwegen mit 970 Dollar an der Spitze, gefolgt von Finnland (910 Dollar) und der Schweiz (840 Dollar). Der Durchschnitt für die Europäische Gemeinschaft beträgt 450 Dollar, für die USA 360 Dollar. Reis ist beispielsweise in Japan fünfmal so teuer als auf dem Weltmarkt, Milch kostet in Kanada doppelt so viel wie in den USA.

Ein gutes Beispiel bietet auch die Autoindustrie. So zeigen etwa britische Untersuchungen aus dem Jahre 1990, daß der Kunde im Vereinigten Königreich für das gleiche Modell bis zu 70 Prozent mehr bezahlen muß als in Japan. Die Restriktionen bei der Unterhaltungsindustrie sollen den Verbraucher in der Europäischen Gemeinschaft mit 1,3 Milliarden Dollar jährlich belasten. Auch die Verteuerung von Textilien und Bekleidung ist überdurchschnittlich hoch.

„Selbstbeschränkung”

Die Methoden der Handelsbeschränkungen sind vielfältig: Neben Zöllen und quantitativen Einfuhrrestriktionen spielen „freiwillige” Selbstbeschränkungsabkommen der Exporteure, Antidumping-Maßnah-men und technische Vorschriften eine wichtige Rolle.

Der Vorstoß Sutherlands kommt nicht zur Unzeit: Vor allem in Frankreich und in den USA formieren sich einflußreiche Gegner des GATT. So fordert der Präsident des französischen Parlaments, Philipp Seguin, nicht weniger als die Handelsorganisation ohne weitere Umstände aufzulösen.

Unternehmerverbände und Gewerkschaften erklären in seltener Eintracht, daß die Freizügigkeit des Welthandels eine veraltete Theorie sei, da sie auf strukturelle Unterschiede hinsichtlich Lohnkosten, Umweltschutz, soziale Sicherheit und Kaufkraftpari-täten keine Rücksicht nehme. Dies zeige sich insbesondere im Handel mit dem Fernen Osten und den postkommunistischen Reformländern Europas.

Die Tageszeitung Le Figaro spricht von Perversionen des weltweiten Freihandels. Dieser sei zwar wünschenswert, doch könne er nur zwischen Ländern mit ähnlicher Wirtschaftsstruktur und bei Beachtung entsprechender Spielregeln angewandt werden.

In den Vereinigten Staaten glauben einflußreiche Kreise, die Wirtschaftskraft ihres Landes in bilateralen Verhandlungen mit Japan und auch mit der Europäischen Gemeinschaft besser ausspielen zu können als im Korsett des GATT, das bekanntlich die Meistbegünstigung vorsieht.

Auch in der EG-Kommission gibt es Bestrebungen, den ord-nungspolitischen Kompaß durch Interventionen und Dirigismus in Industrie- und Forschungspolitik außer Kraft zu setzen.

Die Befürworter des Freihandels halten dem entgegen, daß gerade das Ausnützen von bestehenden Differenzin im internationalen Wettbewerb die eigentliche Triebfeder zum Handel sei. Diese Unterschiede können Rohstoffzugang, Arbeitskosten, Ausbildungsniveau, Gesundheitswesen, Infrastruktur und anderen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sein.

Sicherlich wären nicht alle bestehenden Differenzen wünschenswert, doch gerade der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen biete Chancen zu einer Verringerung der Unterschiede. Diese Auffassung wird in der Europäischen Gemeinschaft vor allem von Großbritannien, Deutschland und der Niederlande vertreten.

Vor einigen Jahren hielt der frühere Generalsekretär der Vereinigung Österreichischer Industrieller vordem renommierten Düsseldorfer Industrieclub einen Vortrag über Österreich und die Europäische Gemeinschaft. So eloquent und treffend seine Ausführungen, so hochstehend die anschließende Diskussion auch waren, die Quintessenz des Abends kam von einer eleganten Dame im gesetzten Alter, die das Auditorium mit folgender Aussage konfrontierte: „Ich verstehe von der Wirtschaft eigentlich nichts, doch möchte ich eine Frage stellen: Ich verbringe eine Hälfte des Jahres in Düsseldorf, die andere Zeit in Baden bei Wien. Können Sie mir bitte sagen, warum Milch und Schlagobers in Österreich um so viel teurer sind als in Deutschland?”

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