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Von Brüssel nach Genf?

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Der Stillstand der Verhandfangen in Brüssel betrifft särnffliche Staaten, die einen vollwertigen Beitritte zur EWG oder eine Assoziierung anstreben und bedeutet eine Vertagung der wirtschaftlichen Integration des freien Europa. Die Diskussion über das Verhältnis der Wirtschaftsgemeinschaft zu den Drittländern, die das Regaine Haustein vorsorglich auf die lange Bank geschöben hat, weil sie die inneren Gegensätze an das Tageslicht bringen) mußte, ist lim Sirane Frankreichs abgeschlossen: Zunächst wird die Fusion EWG — Euratom — Montanunion durchgeführt, aber zugleich, gewissermaßen als erste Vorstufe einer künftigen Erweiterung, die wirtschaftliche Union zwischen Frankreich und Italien, Westdeutschland und

den Beneluxl ändern gefestigt. Alle anderen Bedenken, Erwägungen und Bedingungen sind Vorwände, um die Fortdauer der wirtschaftlichen Spaltung des freien Europa zu beschönigen.

Die EWG ist nämlich, worüber niemand gerne spricht, nicht in der Lage, sich gegenwärtig auf irgendweiche Experiimienite oder gar auf eine rasche Erweiterung einzulassen, weil sie zuerst die nicht leichten Folgen der Kennedyrunden verdauen muß. Die EWG kann unmöglich ihre Zölle im Rahmen des GATT abbauen und gleichzeitig die Zahl ihrer Mitglieder erweitern, ohne daß einige Staaten in ernste Schwierigkeiten geraten, vor allem Frankreich. Im Augenblick bieten daher das GATT und die Kennedyrunden viel größere Chancen als Brüssel. Daa Wirtschaftsleben reagierte rascher als die Staats-kanzleien und berücksichtigte bereits die neuen Perspektiven des Welthandels, auch in Österreich, wie es schon die ersten Monate des laufenden Jahres bewiesen.

„Tendenzen 1967“

Die Handelsbilanz von Jänner bis April war zunächst gekennzeichnet durch die Beendigung der Import-schwerrume (siehe Tabelle A), die Österreich im Vorjahr in eine äußerst prekäre Lage gebracht hatte. Eine Zunahme verzeichneten nämlich nur die Bezüge aus der EFTA, besonders aus Schweden (+ 24 Prozent), während der Ostblock und die Randstaaten, vor allem der amerikanische Doppel-kontinent teilweise empfindliche Rückgänge beklagten und die EWG eine vollkommene Stabilität erwirkte, weil die Verluste Westdeutschlands durch erhöhte Importe aus Belgien, Holland und Italien ausgeglichen werden konnten. Das Geheimnis dieser neuen Stabilität enthüllte die Warenordmumg. Mais (— 63 Prozent), Gerste und Weizen,

Obst, Gemüse und Pflanzenöl, sehr stark fühlbar weiter Eisen und Stahl, Erze und Schrott, verzeichneten Rückgänge, schließlich auch Wolle, Kupfer, Traktoren und Lederwaren, zuletzt Koks und Steinkohle, Rohöl, Erdölprodukte und natürliche Düngemittel Stabil blieben Maschinen, Textilien und Automobile, Kaffee, Baumwolle, Rohkautschuk und Futtermittel.

Unter diesen Urnständien beschränkten sich die Importerhöhun-gen auf chemische Produkte und elektrische Apparate, Kleidung, Schuhe und Feinmechanik, in den untersten Rängen auf Holz, Möbel und Papier, Fleisch, Schweine und Rohtabak. Die einzelnen Waren-kategorien unterlagen dabei höchst verschiedenartigen Einflüssen, die

ihren Niederschlag eben in den Bezugsquellen finden mußten. Vielleicht ändert sich das Bild im weiteren Verlauf des Jahres, aber die „Tendenzen 1967“, die von ganz bestimmten Kräften getragen werden, sind in ihren großen Linien bereits erkennbar. Der wichtigste Fort-

schritt liegt darin, daß der Auto-mobilmport, der von Jahr zu Jahr geradezu sinnlos gestiegen ist, eine gewisse Stabilisierung erreicht zu haben scheint. Jedenfalls ist es ein Denkfehler, ohne Unterlaß und mit steigender Beschleunigung immer höhere Umsätze, immer größere Importe und Exporte durchsetzen zu wollen, eine Irrlehre, deren blinde Befolgung nur in einem Debakel enden kann.

Reflexe der Weltpolitik

Die Exporte von Jänner bis April haben sich, gemessen an der gleichen Periode des Vorjahres, um 7 Prozent erhöht (siehe Tabelle B). Die Lieferungen nach Belgien, Holland und Westdeutschland sind gesunken, wobei der schwere Rückschlag in der Bundesrepublik, an dem mit Ausnahme von Milch, Glas-waren, Verkehrsmitteln und elektrischem Strom alle Warengruppen beteiligt waren, weniger eine Folge der Diskri>miniieruing als das Ergebnis einer Rezession sein dürfte. Dagegen sind die Exporte nach Frankreich (368,5 Millionen Schilling, + 17 Prozent) und Italien (+ 26 Prozent) sehr stark gestiegem, eine Tendenz, die sich bei Skandinavien und Großbritannien, der Schweiz und den Donauländern wiederholte. Auf Grund überaus lebhafter politischer Bewegungen erfuhren auch die Relationien zwischen den einzelnen Staatengruppen einige Verschiebungen. Vom Gesaimtexport entfielen auf die EWG 41,6, die EFTA 21,7, den Ostblock 16,4, die Randstaaten 5,7 und die überseeische Staatenwellt 14,6 Prozent.

Noch interessanter gestaltete sich die Warenordnung. Eisen und Stahl erreichten zwar keine suggestive Zuwachsrate, aber angesichts der Lage auf dem Weitmarkt eine beachtenswerte Erhöhung um 4 Prozent, gestützt auf Bleche (Jänner bis März 671 Millionen Schilling, + 7 Prozent), Rohre, Drähte, Stab-stahl und Ferrolegierungen, die gleichzeitig alle Verluste 'bei Bandeisen und Warmbreitband ohne weiteres zu tilgen vermochten. Die Zunahme der Maschinen ruhte wiederum auf Pumpen, Getrieben, Kühltruhen, Dampfkesseln, Benzinmotoren, Industrieöfen, Verlade-geräten und FWterappairaten. Stabil blieben Armaturen und Papiermaschinen. Verluste beklagten Drehbänke, Kugellager und Wassertur-

binen. Textilien verdankten ihre Steigerung gewiß den Garnen, Woll-und Baumwollgeweben, am meisten jedoch den Geweiben aus synthetischen Spinnstoffen. Der Rückschlag bei Holz (940,5 Millionen

Schilling, — 8 Prozent) wurde durch den Aufschwung der Zellulose (+ 25,iP.rozent) gemildert. Unter den chemischen Produkten hatten Farben und Kunststoffe am besten abgeschnitten, daneben Chloride, Phosphate und Atominiumoxyd. Femer gingen Rinder (302,2 Millionen Schilling, + 91 Prozent) nach Italien, Trockenmilch nach Großbritannien und elektrischer Strom nach WesMeutschland. Stabil blieben Kauibschukwaren und elektrische Apparate. Verluste erlitten Kupfer, Magnesit, Glaswaren, Spinnstoffe, Motorräder, Aluminium, Gedenkmünzen, Schnittholz der Nadelbäume und Stickereien (Jänner bis März 159,5 Millionen Schilling, — 12 Prozent).

Somit ist die Schlußfolgerung zulässig, daß der Außenhandel, der sich nicht mehr den Luxus leisten kann, starren Dogmen und haltlosen Illusionen nachzujagen, von selbst in Bewegung geraten ist, um mit großer Verspätung eine Anpassung an die reallen Verhältnisse zu erwirken. Die ImteressentenpoMitak hat sich bei dem Versuch, der Öffentlichkeit ein Trugbild vorzugaukeln, selbst belogen. Unter diesen Umständen wäre es an der Zeit, ein« sachliche Überprüfung der landesüblichen Theorie durchzuführen, wonach alles Heil, jede Dynamik und jeder Wohlstand, kurzum sämtliche Fortschritte nur in Brüssel zu finden wären. Einseitigkeit ist immer von Übel, schon gar bei

einem Lande, das von Natur aus eine wertvolle Brückenstellung besitzt. Genf hat mit dem Erfolg der Kennedyrunden auch Österreich einige Wege gewiesen, die zumindest studiert werden sollten, weil zwei neue Faktoren aufgetaucht sind: einmal bleibt es nicht beim gegenwärtigen Stand der Zollsenkungen, sondern die internationalen Aktionen zur Erleichterung des Welthandels werden fortgesetzt; dann gibt es gerade in Brüssel ernste Bemühungen, alle Bewerbungen um eine Mitgliedschaft, eine Assoziierung oder einen „Vertrag besonderer Art“ nur im Rahmen des vielgeschmähten GATT zu berücksichtigen. Damit ist für Österreich der Schwerpunkt von Brüssel nach Genf verlegt.

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