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Politischer Weizen

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Als In der schon sehr fortgeschrittenen Dezemberzeit der EWG-Ministerrat in Brüssel die Einigung über einen gemeinsamen Getreidepreis auf den Gabentisch der Sechsergemeinschaft legen konnte, ging ein bedeutsames Kapitel in der Geschichte der Europäischen Integration zu Ende. Die Entscheidung fiel buchstäblich in der letzten Minute, um noch termingerecht zu sein, nach einer durchwachten Nacht der Minister. Frankreichs Außenminister Couve de Murville war noch um drei Uhr früh, von Paris kommend, zu seinen Kollegen von der Landwirtschaft in Brüssel gestoßen. Die Einigung wurde von der politischen Öffentlichkeit eigentlich nicht so recht erwartet, trotz der martialischen Drohung des Generals, im Falle eines Scheiterns aus der EWG auszutreten. Und so wurde dann der Nachricht aus Brüssel eine Bedeutung zugemessen, die ihr in diesem Ausmaß wohl nicht gebührt.

Das unterschiedliche Preissystem auf dem Getreidesektor und seine Höhendifferenz sind nur eines der vielen Hindernisse auf dem Weg zur Verwirklichung des Rom-Vertrages. Spektakulär wurde es dadurch, daß sich die deutsche Bundesrepublik etwa ein Jahr lang weigerte, darüber überhaupt erfolgversprechend zu verhandeln, und durch eine starre Haltung die Frage blockierte.

Der Gedanke des deutschen Vertragspartners war wohl, vor den bevorstehenden Bundestagswahlen durch Senkung des Getreidepreises auf das Niveau eines Gemeinschaftspreises die Bauern nicht vergrämen zu können. Solche innenpolitische Erwägungen überzeugen aber“ außenpolitisch nicht immer.

Was sieht die Einigung über den EWG-Getreidepreis im Konkreten vor, und welche wirtschaftspolitischen Folgen hat sie?

• Ab Mitte 1967 wird es für Getreide und seine Veredlungs- und Verarbeitungserzeugnisse einen einheitliehen Preis im gesamten Gebiet der Sechsergemeinschaft geben.

• Die Bundesrepublik, Italien und Luxemburg, bisher „Hochpreisländer“ , bekommen für die darauffolgenden drei Jahre für die Landwirte aus dem Agrarfonds der EWG Einkommenssubventionen. Diese verringern sich in jedem der drei Jahre um ein Drittel, so daß sie 1970 ausgelaufen sind.

• Italien wurde überdies zugebilligt, daß von gewissen Terminen an auch andere landwirtschaftliche Produkte, und zwar Obst und Gemüse, Hartweizen und Tabak, aus dem Fonds gestützt werden können. Ferner wird Italien in den nächsten zwei Ernte Jahren von der Beitragsleistung an den Fonds befreit. — Alles als Preis für seine Zustimmung zur Einigung in der Nacht in Brüssel.

0 Vom Zeitpunkt der Preisverein-einheitlichung werden dann alle notwendigen bisher national durchgeführten Stützungen und Exportrückvergütungen aus der gemeinschaftlichen Kasse des Fonds gezahlt.

• Ab Mitte 1967 dürfen für Veredlungserzeugnisse auf Getreidebasis, wie Schweinefleisch, Eier und Geflügel, keine nationalen Schutzmaßnahmen, außer Marktinterventionen, mehr zulässig sein.

• Der vorgesehene Basisrichtpreis vom Vereinheitlichungszeitpunkt beträgt je Tonne: Weichweizen 425 DM; Gerste 365 DM; Mais 362 DM; Roggen 375 DM und für Hartweizen 500 DM.

Weltwirtschaftlich gesehen, ist die Einigung in Brüssel vor allem für die Arbeiten in der Kennedy-Runde in Genf von Bedeutung. Hier hatte die EWG-Kommission in optimistischer Voraussicht einer Einigung und gestützt auf den Mansholt-Plan, der ja auch letztlich, modifiziert, die Grundlage für die Einigung gebildet hat, den jetzt beschlossenen Weichweizenpreis als Verhandlungsgrundlage für die Zollsenkungsverhandlungen angegeben. Allerdings wird dieser Preis noch so manchem Partner der Kennedy-Runde zu hoch sein, aber es hätte schlimmer kommen können. Und zwar nicht nur was die Höhe des Preises anbelangt. Eine uneinige Sechsergemeinschaft hätte die gesamten Verhandlungen um die 50-Prozent-Zollsenkung im Rahmen der Kennedy-Runde zwangsläufig frustriert. So bedeutet das grüne Licht für den Getreidepreis in Brüssel vielleicht auch grünes Licht für die Zollsenkungsverhandlungen in Genf.

Also hat die Einigung über den einheitlichen Preis eines Sektors von landwirtschaftlichen Produkten innerhalb der EWG doch so entscheidende Bedeutung? Die Antwort ist, daß im problemschwangeren Rom-Vertrag jede ungelöste Frage zu ?inem Weltproblem hochgespielt werden kann. Die Causa Getreidepreis wurde von Deutschland qualifiziert. Sicher hat es hier echte Opfer der Gemeinschaft des Rom-Vertrages zu bringen. Sicher waren aber diese allein nicht für seine ablehnende Haltung maßgebend. Es wollte vielmehr in der Ära Erhard eine Atempause im Integrationsprozeß haben. Den Vorwand für eine solche kann natürlich jedes Problem liefern. Erhard ist im Innersten die enge Gemeinschaft der Sechs, unter der Hegemonie von Frankreich, unheimlich. Er, der Freihändler im weltweitesten Sinn, hat nie ein Hehl aus seiner Sympathie für die anglo-amerikanischen Seemächte gemacht. Erst als die Vereinigten Staaten, die um ihre Kennedy-Runde fürchteten, einen massiven Druck auf Deutschland auszuüben begannen, gab Erhard enttäuscht nach.

Ein weiterer Beweggrund mag allerdings auch gewesen sein, daß die neue englische Labour-Regierung mit ihren dirigistischen Intentionen auf Erhard sehr abkühlend gewirkt haben dürfte. Von ihren hemdärmelig eingeführten Handelsbeschränkungen, die die EFTA in ihren Fugen ächzen lassen, gar nicht zu reden. Letztlich, und das mag das Hauptmotiv gewesen sein, kann es sich Deutschland nicht leisten, in der jetzigen Krisensituation der EWG den Sprengmeister der Gemeinschaft zu mimen. Und die EWG ist in einer Krise, da ihr der Sprung von der Wirtschaftsgemeinschaft zur politischen Gemeinschaft noch nicht gelungen ist.

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