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Osterreich und Atlantikpartner

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Die Zollverhandlungen Im GATT, denen der tote Präsident der Vereinigten Staaten den Namen gab, sind ein integraler Teil des „grand design“ für die atlantische Partnerschaft zwischen Nordamerika und dem freien Europa. Das Partnerschaftssystem soll wirtschaftlich durch eine enge handelspolitische Zusammenarbeit und Verflechtung, ergänzt durch eine koordinierte Konjunkturpolitik, abgestützt werden.

Gegen den Widerstand protektioni-stischer Wirtschaftskreise gelang es der Administration Kennedys, sich in einer neun Monate dauernden, zähen Auseinandersetzung im Kongreß jene gesetzlichen Vollmachten zu verschaffen, die für die Aufnahme umfassender Zollverhandlungen notwendig waren — die Trade Expansion Act erlangte am 11. Oktober 1962 Gesetzeskraft.

Die Trade Expansion Act verleiht dem Präsidenten die mit fünf Jahren befristete Ermächtigung, die US-Einfuhrzölle bis zu einem Ausmaß von 50 Prozent gegen entsprechende Konzessionen anderer Länder zu senken. Sie ermächtigt ihn weiter, die Zölle für Güter, bei denen 80 Prozent des Exportes der freien Welt auf die USA und die Länder der EWG entfallen, auf Null zu reduzieren.

Diese Vollmachten sind die größten, die einem Präsidenten der Vereinigten Staaten jemals auf handelspolitischer Ebene erteilt wurden. Sie erlauben es, einen neuen, ungemein wirkungsvolleren Stil in internationale Zoll Verhandlungen zu bringen; an Stelle des mühsamen positionsweisen Aushandelns und Ausbalancierens von Konzessionen ermöglichen sie eine generelle Halbierung der Zollsätze und die Schaffung einer partiellen Freihandelszone, das heißt den Freihandel mit jenen Waren, bei denen USA und EWG einen überragenden Anteil am Welthandel auf sich vereinen.

Handelspolitisch scheint das Konzept für die Kennedy-Verhandlungen vernünftig ausgewogen zu sein. • rt Seine Verwirklichung würde Europa große Exportchancen auf dem heute durch hohe Zollmauern abgeschirmten amerikanischen Markt eröffnen. Die reziproke Senkung des gemeinsamen Außentarifes der EWG würde anderseits den Diskriminierungseffekt für Außenseiter des Gemeinsamen Marktes, seien dies nun die USA oder europäische Drittstaaten wie die EFTA-Länder, beträchtlich mildern.

Die amerikanische Idee von der atlantischen Partnerschaft, die auf der Erkenntnis der Interdependenz Europas und der Vereinigten Staaten beruht, traf und trifft auf den Widerstand Generals de Gaulle. Der französische Staatschef sieht darin eine Gefahr für sein Ziel eines politisch, militärisch und wirtschaftlich selbständigen Kontinentaleuropas. Er befürchtet die Aufweichung, ja Auflösung dieses Europas in einem atlantischen System unter angelsächsischer Vorherrschaft. Die atlantische Partnerschaft dürfte in den Augen de Gaulies nur die Form einer losen Kooperation zwischen an sich selbständigen und voneinander unabhängigen Gebilden haben; eine Integrierung und Automatik in den Beziehungen der Partner lehnt de Gaulle, eben aus Furcht vor einer dadurch etablierten Vorherrschaft der USA, ab.

Die Reaktionen Frankreichs gegenüber den einzelnen Aspekten des Partnerschaftskonzeptes Kennedys waren daher im Sinne der Vorstellungen de Gaulles durchaus logisch. Dem Vorschlag zur Schaffung einer multilateralen Atomstreitmacht setzte Frankreich ein klares Nein entgegen. Gegen den Beitritt Großbritanniens zur EWG legte der französische Staatspräsident im Jänner dieses Jahres sein Veto ein. Damit wurde dem „grand design“ der Partnerschaft nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich ein schwerer Schlag versetzt. Durch das Fernbleiben Englands von der EWG verlor die 80-Prozent-Klausel der Trade Expansion Act — das heißt die vorgesehene totale Abschaffung der Zölle für jene Waren, bei denen auf die USA und die EWG zusammen 80 Prozent des Weltexportes entfallen — praktisch ihre Bedeutung, da ohne Einbeziehung des englischen Handels in die Berechnungen der Kreis der unter dieses Kriterium fallenden Waren materiell bedeutungslos wurde.

Nach dem Zusammenbruch der EWG-Beitrittsverhandlungen Englands konzentrierten sich die Vorbereitungen für die Kennedy-Runde auf die Möglichkeit einer generellen Zollsenkung, und zwar möglichst bis zu der von der Trade Expansion Act gegebenen äußersten Grenze von 50 Prozent. Es gelang der Bundesrepublik Deutschland und den anderen EWG-Ländern trotz öffentlicher Deklarationen und Versuchen zu einer Junktimierung der Kennedy-Verhandlungen mit der Lösung verschiedener interner EWG-Probleme bisher nicht, Frankreich für eine wirklich positive EWG-Politik gegenüber der handelspolitischen Initiative der USA zu gewinnen.

Vor diesem Hintergrund sind die bisherigen Vorbereitungsarbeiten für die Kennedy-Runde zu sehen und zu verstehen. Die im Mai dieses Jahres abgehaltene spektakuläre Ministerkonferenz des GATT sollte den positiven Grundsatzbeschluß bringen. Ein Beschluß wurde auch gefaßt — die Minister vereinbarten, daß am 4. Mai 1964 in Genf umfassende Zollverhandlungen mit dem Ziele einer bedeutenden linearen Zollsenkung unter Einschluß der landwirtschaftlichen Produkte beginnen sollten. Der Weg zu der in der amerikanischen Initiative vorgesehenen Halbierung der Zolltarife wurde damit aber nur scheinbar geöffnet. Über Drängen Frankreichs war in das Verhandlungskonzept ein neuer Begriff eingeführt worden — der Begriff der Zolldisparitäten, der, wie bald deutlich wurde, alle Möglichkeiten für die Aushöhlung des ursprünglichen Konzeptes bietet.

Der Begriff „Disparitätsproblem“ leitet sich aus der verschiedenartigen Struktur des EWG- und US-Ta-rifes ab. Der EWG-Außentarif als arithmetisches Mittel der früheren nationalen Zollsätze der Mitglieder zeigt ein relativ ausgeglichenes Bild; die Zollsätze für die einzelnen Waren bewegen sich im wesentlichen um 20 Prozent. Der Tarif der USA hat demgegenüber eine große Streuungsbreite: sehr niedrige Sätze stehen hohen Sätzen, die bis 80 Prozent reichen, gegenüber. Frankreich argumentiert daher, daß eine allgemeine fühfzigprozentige Zollsenkung den EWG-Tarif auf ein Niveau hinunterdrücken würde, das den Zöllen ihre faktische Schutzwirkung nähme, während ein großer Teil der US-Zölle auch noch nach ihrer Halbierung eine beachtliche Höhe mit starker produktiver Wirkung hätte. (Illustrative EWG-Berechnungen zeigen, daß nach einer Halbierung der Zölle ungefähr 90 Prozent der EWG-Zölle, aber nur 60 Prozent der US-Zölle unter dem Zollsatz von 10 Prozent zu liegen kämen.) Nach Ansicht Frankreichs ginge dem EWG-Tarif mit der Sohutzwirkung auch der Charakter eines effektiven Verhandlungsinstrumentes bzw. Handelsobjektes für künftige Zollverhandlungen verloren. Die EWG schlug daher vor, daß bei Bestehen einer bedeutsamen Disparität zwischen konkreten Zollsätzen der EWG und der USA der höhere Zollsatz stärker (zum Beispiel um 50 Prozent), der niedrige Zollsatz jedoch schwächer (zum Beispiel nur um 25 Prozent) zu senken wäre.

Die USA zeigten sich kompromißbereit und gingen auf diesen Gedanken ein. Die Minister vereinbarten, bei Bestehen „bedeutsamer Disparitäten“ vom Prinzip gleich hoher Zollsenkungen abzugehen. Allerdings wäre eine bestehende Disparität nur dann als „bedeutsam“ anzusehen, wenn ihr tatsächliche Bedeutung für den Handelsverkehr zukäme.

Die bisher in der Disparitätsfrage von. der EWG angewandte Taktik läßt trotzdem befürchten, daß die ursprüngliche Verhandlungsinitiative der USA ausgehöhlt wird.

Durch die Auseinandersetzung um die Kennedy-Runde und das Disparitätsproblem werden auch die wirtschaftlichen Interessen der EFTA-Länder, darunter Österreichs, direkt betroffen. Gerade die EFTA-Länder erhofften sich von den Kennedy-Verhandlungen eine wesentliche Milderung der Diskriminierung auf dem EWG-Markt. Eine Lösung, die zu relativ geringen Senkungen des gemeinsamen EWG-Tarifes führen würde, müßte diese Hoffnung zerstören. Man könnte einwenden, daß Österreich, das ein Arrangement mit der EWG unter Übernahme des EWG-Tarifes anstrebt, an der Hochhaltung der EWG-Zölle interessiert sein könnte, da diese künftig auch den Zollschutz für die österreichische Industrie bestimmen würden. Die Verwirklichung eines Arrangements zwischen Österreich und der EWG ist allerdings noch nicht klar sichtbar. Der qualitativ und quantitativ wesentliche Konkurrenz- und Importdruck, dem sich die österreichische Wirtschaft ausgesetzt sieht, kommt außerdem von seiten der EWG; dem Zollschutz gegenüber EWG-Außenseitern, der im Falle einer EWG-Assoziierung Österreichs durch die Höhe des gemeinsamen Tarifes gegeben wäre, kommt daher relativ geringe Bedeutung zu. Dies führt zu dem Schluß, daß auch Österreich an einer möglichst weitgehenden Verwirklichung des ursprünglichen Verhandlungskonzeptes für die Kennedy-Runde, das heißt an einer fünfzigprozentigen linearen Zollsenkung interessiert sein muß.

Die bisherige Haltung und Taktik der EWG in den Vorverhandlungen zur Kennedy-Runde muß zu einer skeptischen Beurteilung ihres Ausganges führen. Auch die dramatische Sitzung des EWG-Ministerrates im vergangenen Dezember brachte keine entscheidende Wendung zum Besseren: Ebenso wie bei der vorweihnachtlichen Marathonkonferenz der EWG die französischen Forderungen zur gemeinsamen Agrarpolitik nur teilweise erfüllt wurden, zahlte auch Frankreich auf dem Gebiet der Außenhandelspolitik der Gemeinschaft, das heißt in der Frage der Kennedy-Verhandlungen, keinen vollen Preis. Das EWG-Kommunique vom 23. Dezember 1963 wiederholt wohl frühere positive Grundsatzfeststellungen zur Verhandlungsinitiative der USA. Die vom EWG-Ministerrat zur Kernfrage, nämlich dem Disparitätsproblem, vorläufig festgelegten Regeln gehen jedoch in Richtung einer sehr weitgehenden Anwendung des Disparitätskriteriums und sind für die USA, aber auch für die europäischen Nicht-EWG-Länder kaum befriedigend; sie bieten nach wie vor Handhabe für die Aushöhlung des ursprünglichen Verhandlungskonzeptes der USA.

Ein erfolgreicher Ausgang der Kennedy-Runde wird die Weiterentwicklung der im Dezember vom EWG-Ministerrat festgelegten Verhandlungsregeln im liberalen Sinne voraussetzen. Die innere Auseinandersetzung der EWG über ihre Haltung zur Kennedy-Runde ist noch immer nicht entschieden; ihr Ergebnis wird davon abhängen, ob die EWG-Partner Frankreichs ihre atlantischen Sympathien und liberalen Prinzipien weiterhin mit Nachdruck vertreten und Konzessionen in den noch offenen Problemen der gemeinsamen Agrarpolitik vom Entgegenkommen Frankreichs in der Frage der Außenhandelspolitik abhängig machen werden, um so Frankreich Zug um Zug zu einem wirklich positiven Votum zur Kennedy-Runde zu bewegen.

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