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Zwischen den Blöcken

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Obwohl unser innenpolitisches Interesse durch den anlaufenden Wahlkampf in Anspruch genommen zu sein scheint, dürfen wir doch gerade jetzt eine Entwicklung nicht verschlafen, die einmal für die Existenz Oesterreichs von entscheidender Bedeutung sein wird. In aller Stille wird nämlich ein Prozeß weitergetrieben, der die politische Struktur unseres Kontinents zu verwandeln mag.

Es geht um die wirtschaftliche Einigung Europas, konkret gesprochen um die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) der Sechs (Frankreich, Deutsche Bundesrepublik, Italien, Beneluxstaaten). Eine Integration dieser Staaten dürfte, nun einmal erfolgreich begonnen und fortgesetzt, rascher vor sich gehen, als selbst im Gründungsübereinkommen, dem sogenannten Vertrag zu Rom, vorgesehen ist. Zwar sollen die handelshindernden Barrieren in vier Etappen von insgesamt 15 Jahren beseitigt werden, doch tritt jetzt schon innerhalb der Wirtschaftsgemeinschaft eine sö starke Verflechtung von Großbetrieben ein, daß die Zollschranken, gleichsam auf kaltem Weg, viel früher überflüssig werden dürften.

Oesterreich steht außerhalb des Zaunes, und mit ihm die Schweiz, Skandinavien, England und die restlichen Staaten der einst so gut funktionierenden Organisation für die wirtschaftliche Zusammenarbeit Europas (OEEC) in Paris, die seit dem Scheitern des Freihandelszonenplanes wohl eine sterbende Organisation ist.

Als im November vorigen Jahres der französische Informationsminister Soustelle, von einer Kabinettssitzung kommend, mit brutaler Offenheit erklärte, die EWG werde niemals einer Freihandelszonengründung zustimmen, setzte er den Schlußstrich unter zweijährige, mühselige Verhandlungen. Er desavouierte hiermit nicht nur Frankreichs EWG-Partner, die niemanden zu einer solchen Erklärung ermächtigt hatten, sondern brachte sein Land in ein merkwürdiges Licht, da sich dieses während der vergangenen Verhandlungen im Ministerrat der OEEC ausdrücklich für die Schaffung einer Frei- har’.’Iszone ausgesprochen hatte.

Als Antwort legte der sonst so geduldige Mr. Maudling, der dem Intergouvernementalen Komitee zur Schaffung einer Freihandelszone Vorstand, sein Mandat zurück. Die Europäische Freihandelszone englischer Prägung, die die EWG wie einen Mantel umgeben sollte, war somit ein totgeborenes Kind.

Aber die EWG unter Führung Frankreichs wollte wohl nicht vor der Oeffentlichkeit die Verantwortung für eine wirtschaftliche Spaltung Europas tragen. Die französische Regierung dementierte etwas unklar die Erklärung Soustelles, und neuerdings spricht man von einer Assoziation der Elf an die Sechs. Was heißt das? Und worin liegt der Unterschied zu der gescheiterten Freihandelszone?

Eine Assoziation an die EWG ist im Rom- Vertrag vorgesehen (Artikel 238) und besagt, daß ein dritter Staat, eine Staatenverbindung oder eine internationale Organisation mit der EWG ein Abkommen schließen kann, das eine Assoziierung mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, gemeinsamem Vorgehen und besonderen Verfahren herstellt.

Eine reichlich dunkle Bestimmung, die auch durch eine jüngste Interpretation der EWG-Kommission nicht viel klarer wird. Sicher ist nur, daß die Sechs, und zwar einstimmig, bestimmen, wer und wie assoziiert wird.

Um den von Frankreich und der EWG gewünschten Einzelverhandlungen auszuweichen, versucht nun England einen Gegenblock der industrialisierten „Außenseiter” (die skandinavischen Staaten, die Schweiz, Portugal und Oesterreich) zusammenzubringen; nicht etwa, um die wirtschaftlich und politisch so verschiedenen Staaten zu einer „Anti-EWG” oder einer eigenen „Freihandelszone” zu sammeln — so weltfremd ist man an der Themse nicht. Es soll lediglich eine Interessengemeinschaft gegründet werden, die in sich geschlossen mit der EWG wegen einer Assoziierung verhandeln kann. Aber so bestechend diese Idee im ersten Augenblick erscheint — vor allem, wenn man sich das kleine Oesterreich als Gesprächspartner der großen EWG vorstellt —, sie ist ein Trugschluß.

Unter Assoziierung verstehen nämlich die Engländer immer noch eine Art Freihandelszone, und ähnlich denken die übrigen Außenseiter.’ Frankreich ist aber wohl weiterhin kaum gewillt, auf diesen Gedanken einzugehen, nur weil plötzlich die Etikette geändert wurde. Für dieses bedeutet Assoziation entweder einen Anschluß an die EWG, und es gebraucht daher diese Bezeichnung nicht aufrichtig, oder ein weltweites Abkommen im Rahmen des GATT, durch das auch nichteuropäische Staaten mit- einbezogen würden, und es verläßt damit die europäischen Ziele der OEEC. Ein Drittes gibt es nicht.

Frankreich glaubt, innerhalb der Sechs eine gewisse Hegemonie behalten zu können und dazu sogar verpflichtet zu sein. Nicht nur wegen des „Gloire”, sondern wegen Algerien. Mit dem Besitz oder Verlust seines nordafrikanischen Gebietes steht oder fällt es als Großmacht. Gemäß dem Rom-Vertrag leisten die übrigen fünf Staaten ihren Beitrag für die Entwicklung des französischen Afrikagebietes, eine Freihandelszone mit England als Partner würde nicht nur Frankreichs Einfluß innerhalb der Gemeinschaft mindern, sondern auch jene Kräfte stärken, die die Integration Algeriens an Frankreich nicht gerade für eine europäische Aufgabe halten. An der Seine denkt man gar nicht daran, was die Kolonien betrifft, den englischen Weg des Verzichtes zu gehen.

Die Sackgasse, in welche daher die Assoziierungsverhandlungen geraten sind, ist tief. Kann aber ein Gegenblock, auch wenn er nur als Verhandlungsblock gedacht ist, herausführen? Wohl kaum. Die Gegensätze sind zu groß und es ist im politischen Leben nicht anders als in der Geschäftswelt: der jeweils stärkere Partner diktiert den Gang der Verhandlung. Und dies ist gegenwärtig zweifellos Frankreich, die EWG, denn es hat Zeit, indes die „Außenseiter” Monat für Monat mehr diskriminiert werden.

Frankreich wird in naher Zukunft seine Haltung nicht ändern, aber auch der „Gegenblock” kann seine Ziele nicht wechseln. Aus natürlichen Gründen muß er das gleiche anstreben, was seinerzeit schon das Freihandelszonenprojekt vorsah: ein Abkommen, das für die Außenseiter die Diskriminierung durch die EWG vermeidet, ohne daß sie die Bindungen der EWG auf sich nehmen müssen.

Aber vielleicht, argumentiert man, könnte ein Gegenblock eine Europäische Freihandelszone erzwingen? Ein Handelskrieg? England, das seinem Wirtschaftspotential nach wohl in der Lage dazu wäre, würde kaum so weit gehen, wickelt es doch lediglich, Zirka zwölf Prozent seines Außenhandels mit der EWG ab. Ein Prozentsatz, um dessentwillen man keine ernstlichen Schüsse abgibt. Die übrigen Staaten aber, die wie Oesterreich über 50 Prozent, die Schweiz 40 Prozent, ihres Außenhandels mit den Sechs abwickeln, hätten wohl nicht die Potenz, mit ihnen anzubinden; ganz abgesehen von den verheerenden Folgen, die ein solch unreifes Verhalten für Europa, aber auch für die ganze freie Welt haben müßte.

Wozu also dann einen Gegenblock? Er ist ein nutzloses Unterfangen, das Zeit kostet. Oesterreich wird einen anderen Weg finden müssen, um zu einer Lösung der für ihn lebenswichtigen Frage zu gelangen. Ein starres Festhalten mit der trotzigen Gläubigkeit eines Kindes an einem gegenwärtig undurchführbaren Projekt ist nicht weise. Vielleicht haben andere „Außenseiter” Zeit, zu warten; unser Land Lat es nicht.

Seit 1. Jänner dieses Jahres begannen die ersten Maßnahmen der EWG wirksam zu werden, und schon ist Oesterreich mit einigen Prozent (etwa acht) seines früheren Exportes diskriminiert. Dazu kommt das psychologische Moment, daß Importeure innerhalb der EWG bereits jetzt Lieferanten aus der Gemeinschaft vorziehen, auch wenn österreichische Firmen noch konkurrenzfähig sind, da sie damit rechnen, daß mit fortschreitender Integration der EWG diese nicht mehr werden Schritt halten können.

Oesterreich wird umdenken und initiativer werden müssen. Es braucht mehr Selbstvertrauen. Ein Mitsegeln im ausgefahrenen Gewässer mag vorderhand bequem sein, kann aber sehr gefährlich werden, wenn das Ziel überhaupt nicht oder zu spät erreicht wird. Genau so verhängnisvoll wäre jedoch ein gleiches Verhalten, nur unter anderer Flagge; gern eint ist ein absoluter Anschluß an die EWG.

Mit dem bisherigen Kurs im Schatten eines „Gegenblocks” aber wird unser Land auf jeden Fall nicht gut fahren, daher Segel umstecken und mit österreichischem Kurs voraus!

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