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Europakrise ?

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Als man sich einst frohgemut zusammenfand, um den einheitlichen Wirtschaftsraum „Europa” zu planen und die einzelnen Volkswirtschaften zu einem Ganzen zu integrieren, war Hochkonjunktur. Es war eine Zeit, da man sich gegenseitig die Arbeitskräfte abwarb und die Regierungen es nicht gerne sahen, wenn Arbeiter außer Landes gingen. Die Lieferfristen überschritten ein Jahr. Rohmaterial war knapp und daher teuer.

Diese schöne Zeit ist nun vorbei. Wahrscheinlich erleben wir nur eine Unterbrechung der wirtschaftlichen Expansion. Jedenfalls sehen nun die Dinge anders aus als seinerzeit. Erstens haben die Sechs von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sich ihr eigenes Nest gebaut und nennen, was Resteuropa ist, in diskreter Uebertreibung Europa. Zweitens ist von der Europasehnsucht, die sich sogar im Nieder- reißen von Schlagbäumen Luft zu machen suchte, nur noch wenig geblieben. Was noch da ist, das ist die Sehnsucht nach Sicherung des Absatzes der großen Konzerne.

Die Europabürokratie in Brüssel und die großen, alten Männer im Hintergrund der „supranationalen” Wirtschaftskombinationen sind dabei, einen Paragraphenvorhang aufzurichten, den sie auf dem Zollsektor bescheiden „einheitlichen Außentarif” nennen. Von den „anderen Sechs”, jenen europäischen Ländern (zu denen auch Oesterreich gehört), die von der Teilnahme an der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ausgeschlossen wurden, aber erwartet man, daß sie weiter brav zur europäischen Solidarität stehen und, wenn auch ohne Rechte, die beschworenen Pflichten fernerhin erfüllen. Man ist also immer noch für Europa. Aber kosten darf es nichts. Nun sind die Flitterwochen der EWG vorbei. Und die Krise ist da. Nicht als ob die EWG in der Krise stände. Die mehr als tausend Europabeamten in der Zentrale der EWG in Brüssel werden sicher dafür sorgen, daß das Ganze hält. Letzten Endes leben sie nicht allein f ü r „Europa”, sondern auch von „Europa”. Wenn von Krise die Rede ist, dann ist das gemeint, was die Amerikaner so schön mit Rezession umschrieben haben. Die Nachwirkungen dieser in den USA voll entwickelt gewesenen Halbkrise sind nun auch in Europa zu spüren. Oesterreich konnte sich bisher freilich seine Wirtschaft vor einer Infektion weitgehend absichern.

Nichts wäre verfehlter, als anzunehmen, daß es nunmehr wieder zu einer Weltwirtschaftskrise kommen müsse. Was es aber gibt, das ist — wie in Oesterreich — eine Verringerung der Zuwachsraten in der Gütererzeugung, eine Verminderung des Wachstumstempos unserer Wohlfahrt. Wir waren gewohnt, daß es uns von Jahr zu Jahr erheblich „besser” gehe, und verfügten dementsprechend auch auf Jahre hinaus über unser Einkommen, wußten, wann wir das ersehnte Auto bekämen und wann wir die Möglichkeit haben würden, die Aegyptenreise anzutreten. Die Nahziele sind nun bei vielen zu Fernzielen geworden.

Noch eines Umstandes werden wir nun gewahr. Sicher ist es im Interesse bestmöglicher Versorgung gelegen, wenn jedes Land das erzeugt, wozu es kostenmäßig am besten geeignet ist. Gleichzeitig müssen dann alle Behinderungen des internationalen Handels fallen. Lediglich die Transportkosten bleiben als Hindernis und machen den Export frachtempfindlicher Güter schwer möglich. Niemand will in einer Zeit wie dieser, in einer Konsumgesellschaft, eine utopische Selbstversorgung. Anderseits sollte aber kein Land der Idee der allgemeinen Wirtschaftsfreiheit seine eigene Industrie und Landwirtschaft opfern. Das wird aber oft und oft, wenn auch unter anderen Titeln, verlangt.

Das gilt auch für die europäische Integration. Wie oft wurde nicht im Interesse Europas und einer sagenhaften Wirtschaftsfreiheit die Aufgabe aller „eigensüchtigen” Bestrebungen1 zur Absicherung der inländischen Wirtschaft verlangt. Freilich wurde das Verlangen jeweils nur an die anderen gestellt. Jeder versuchte, dem anderen den „Schwarzen Peter” zuzuspielen.

Die Errichtung der EWG wie auch die Planung der Freihandelszone ist jedenfalls allzu rasch erfolgt, ohne Bedachtnahme auf die Anpassungsschwierigkeiten und auch ohne Rücksicht darauf, daß gerade die mittelständische Industrie nicht im gleichen Tempo ihre Betriebe modernisieren kann wie etwa die kapitalkräftigen und vor allem kreditwürdigen großen Kombinate, die sich verschämt der Privatwirtschaft zurechnen.

Was wir nun, angesichts der Anlaufschwierigkeiten der europäischen Gemeinschaften und der uns neuen Erfahrungen einer Teilkrise, brauchen, das ist ein neuerliches Ueberdenken der Konzepte. Was nützen Termine, wie jener für die zweite Zollsenkung innerhalb des EWG-Raumes, wenn in der viel zu kurz bemessenen Frist einerseits die schwachen Unternehmungen in den EWG-Staaten, und vor allem die diskriminierten Unternehmungen außerhalb der EWG, ihre Betriebe nicht auf jenen Ausrüstungsstand bringen können, der allein sie v vor der Liquidation im Konkurrenzkampf mit den großen Kombinaten bewahrt? Auch in einem „grenzenlosen” Europa müßte die eigene Wirtschaft der fremden gegenüber bevorzugt werden, will man nicht von der grotesken Idee eines Einheitsstaates „Europa” ausgehen. Wenn es aber zu einer europäischen Integration kommt, dann nur um des Menschen willen. Eine wirtschaftliche Maßnahme, die nicht dem Menschen, dem konkreten einzelnen Menschen, dient, ist sinnlos. Die Aufopferung etwa der österreichischen Landwirtschaft oder der mittelständischen Betriebe wäre jedenfalls kaum im Interesse Europas gelegen.

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