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Für einen gesunden Bauernstand

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Österreich verbinden mit den EWG-Ländern durch seine geographische Lage, durch Geschichte und Kultur, vor allem aber auf dem Gebiet der Wirtschaft enge Bande. Daraus erwächst das vitale Interesse Österreichs an einer Regelung seiner wirtschaftlichen Beziehungen mit der EWG durch einen „Vertrag besonderer Art“, der es erlaubt, den wirtschaftlichen Austausch mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern — unter Wahrung der in der Bundesverfassung verankerten immerwährenden Neutralität — womöglich noch auszuweiten.

Die Situation der österreichischen Landwirtschaft in Beziehung zum Gemeinsamen Markt der Sechs läßt sich am besten an Hand der Exportzahlen charakterisieren, ist doch der EWG-Raum der weitaus wichtigste Exportmarkt für die österreichische Land- und Forstwirtschaft. Im Jahre 1963 gingen rund 80 Prozent der Agrarexporte und rund 90 Prozent der Ausfuhren forstlicher Erzeugnisse in die EWG. 1964 betrug der Anteil der EWG an den österreichischen Agrarex-porten trotz eines angebotsbedingten außergewöhnlichen Rückganges der Schlachtrinderausfuhren noch immer rund 75 Prozent. Die österreichische Land- und Forstwirtschaft hat daher den Abschluß eines wirtschaftlichen Übereinkommens mit der EWG seit jeher verlangt und unterstützt.

Ein System wird gesucht

Die EWG arbeitet derzeit am Ausbau und an der Verwirklichung ihrer gemeinsamen Agrarpolitik, durch die nicht nur schlechthin die Verhältnisse eines agrarischen Binnenmarktes der sechs Mitgliedstaaten geschaffen, sondern darüber hinaus die Erhaltung und gedeihliche Entwicklung ihrer bäuerlichen Landwirtschaft und die „Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen“ gewährleistet werden sollen. Es ist selbstverständlich, daß das System der Preisziele, Abschöpfungen, Interventionen und Erstattungen den Zweck verfolgt, stabile Marktverhältnisse in der Gemeinschaft bei einem für Erzeuger und Verbraucher von Agrarprodukten tragbaren Preisniveau zu schaffen. Das System richtet sich nicht gezielt gegen die Agrarproduzen-ten von Drittländern, vor allem von traditionellen Exporteuren. Es schafft aber eine innergemeinschaftliche Präferenz und drängt bei Störungen des Marktgleichgewichtes zunächst die Lieferanten der Nichtmitgliedsländer zurück. Die Landwirtschaft Österreichs sucht daher einen Zugang zum Markt der EWG zu gleichen Bedingungen wie für Mitgliedsländer, um ihr traditionelles und naturgegebenes Absatzgebiet, für das es außerhalb der EWG keinen gleichwertigen Ersatz gibt, nicht zu verlieren. Das kann aber nicht einfach durch einen Abbau der Handelsschranken geschehen, denn das komplexe System der EWG-Agrarmarktordnung kann nur in seiner Gesamtheit zufriedenstellend funktionieren. Ein Handelspartner mit gleichen Zutrittsmöglichkeiten zum Markt ohne entsprechende Marktordnung könnte unzulässige Störungen verursachen. Die österreichische Landwirtschaft wünscht daher eine weitestgehende Angleichung der österreichischen Agrarpolitik an die Agrarpolitik der EWG.

Ähnliche Verhältnisse

Die agrarpolitische Zusammenarbeit Österreichs mit der EWG würde sich um so leichter gestalten, als die landwirtschaftlichen und agrarpolitischen Verhältnisse da und dort einander sehr ähnlich sind; das gilt sowohl für die natürlichen Voraussetzungen wie für die Betriebsstrukturen und die Marktordnung. Die Preise für die wichtigsten Agrarprodukte in der EWG und in Österreich liegen nahe beisammen. Die landwirtschaftlichen Löhne und die Handelsdüngerpreise sind bei uns niedriger, die landwirtschaftlichen Maschinen teurer, während die Sozialleistungen der landwirtschaftlichen Arbeitgeber und die Treibstoffkosten annähernd gleich sind. Besondere Förderungsmaßnahmen für das extreme Bergland, wie sie in Österreich notwendig sind, liegen auch im Sinne des Vertrages von Rom und der derzeitigen EWG-Agrarpolitik. Die Institutionen und Maßnahmen, deren sich die EWG in der Markt- und Preispolitik sowie in ihrer Agrarstruktuir-und Sozialpolitik bedient, sind mit denen Österreichs vergleichbar. Die EWG-Marktordnungen erfassen jetzt schon zirka 85 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte, also wesentlich mehr als die Marktordnungen in Österreich.

Unsere agrarpolitische Zielsetzung, die auf die Erhaltung einer leistungsfähigen bäuerlichen Landwirtschaft gerichtet ist, stimmt mit der Europäischen Gemeinschaft grundsätzlich zusammen. Die Landwirtschaft in ganz Europa steht vor der schwierigen Aufgabe, sich in die moderne Industriegesellschaft einzufügen, wobei es der westlichen Agrarpolitik darauf ankommt, die bäuerliche Betriebsstruktur zu erhalten und die Landwirtschaft am Wirtschaftswachstum und der allgemeinen Einkommenssteigerung zu beteiligen. Die europäische, auf der Basis bäuerlicher Familienbetriebe aufgebaute Landwirtschaft muß sich mit der Agrarproduktion stark exportorientierter Uberseestaaten auseinandersetzen, die ihrerseits kein Bauerntum im europäischen Sinne haben. Auch in dieser entscheidenden Auseinandersetzung stimmen die Grundzüge der EWG-Agrarpolitik und jener Österreichs in allen wesentlichen Dingen überein.

Die österreichische Landwirtschaft ist sich bewußt, daß bei einer Harmonisierung der Agrarpolitik mit jener der EWG gewisse Schwierigkeiten zu überwinden sein werden, vor allem in der Übergangszeit. Der größere Markt wird auch eine schärfere Konkurrenz mit sich bringen. Die österreichische Landwirtschaft ist bereit, sich dieser Konkurrenz in qualitativer und preislicher Hinsicht, abgesehen von ganz geringen Ausnahmewünschen für eine erweiterte „Schonfrist“, zu stellen. Die Sogwirkung der Industrie auf die landwirtschaftlichen Arbeitskräfte wird sich möglicherweise noch verstärken und die laufende Umstellung von einer arbeitsintensiven zu einer kapitalintensiven Wirtschaftsweise noch beschleunigen. Die Möglichkeit, im größeren Wirtschaftsraum die natürlichen Produktionsvoraussetzungen besser zu nützen, wird aber daziu beitragen, die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Landwirtschaft weiter zu steigern. Die Bauernschaft ist bereit, alle Anstrengungen zu unternehmen, um in der verbleibenden Ubergangszeit die volle Europareife zu erlangen und eine günstige Ausgangsposition für die Teilnahme am EWG-Agrarmarkt zu gewinnen. Dabei wird sie durch die Grünen Pläne wirkungsvoll unterstützt, in deren Rahmen ihr die Allgemeinheit die notwendigen Mittel zur Verfügung stellt und so eine unentbehrliche Mithilfe zur Überwindung von Rückständen, vor allem auf dem Gebiet der Erschließung und der Kapitalausstattung, leistet.

Die Agrarpolitik wird weiterhin ergänzt werden müssen durch eine aktive Sozialpolitik für die Landwirtschaft und eine zielbewußte Entwicklungspolitik im ländlichen Raum; hier müssen vor allem die „Infrastruktur“ (Verkehrs-, Schul-, Gesundheitswesen, Versorgung mit öffentlichen Diensten) ausgebaut und neue Erwerbsmöglichkeiten auf dem Lande geschaffen werden.

Die Landwirtschaft kann sich nur in einer florierenden Gesamtwirtschaft günstig entwickeln. Sie mißt daher den Auswirkungen der Dynamik des wirtschaftlichen Großraumes auf die Gesamtwirtschaft Österreichs größte Bedeutung bei. Sie erwartet sich davon eine Unterstützung ihrer Bemühungen um die Erhaltung eines wirtschaftlich gesunden Bauernstandes und um die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage aller in der Landwirtschaft Tätigen. Sie wird keine Anstrengung scheuen, um die bestmögliche Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln auch weiterhin sicherzustellen.

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