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Mit dem Schweizer Boot zur EWG

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Optimismus kennzeichnet wieder die Meldungen aus den Europazentren. Mit den Einigungsversuchen des Kontinents scheint es wieder aufwärtszugehen. Und in der Tat; der Optimismus entspringt nicht nur den ewig hoffnungsschwangeren Diplomatenkommuniques oder den Äußerungen von Europapro-fis mit Beschäftigungssorgen, sondern ist handfest:

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Optimismus kennzeichnet wieder die Meldungen aus den Europazentren. Mit den Einigungsversuchen des Kontinents scheint es wieder aufwärtszugehen. Und in der Tat; der Optimismus entspringt nicht nur den ewig hoffnungsschwangeren Diplomatenkommuniques oder den Äußerungen von Europapro-fis mit Beschäftigungssorgen, sondern ist handfest:

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Die EWG-Minister verabschiedeten letzte Woche in Luxemburg den sogenannten Avignon-Bericht, demzufolge sich die EWG-Außenminister nunmehr regelmäßig treffen sollen, um politische Fragen zu beraten. Nicht nur aHein dieser erste Schritt der Sechsergemeinschaft von der reinen Wirtschafts- zur politischen Union ist erfreulich — erfreulich ist vielmehr auch die ständige Einbindung des Straßburger Europarates über seinen politischen Ausschuß in diese Konsultationen. Das erste Treffen der Außenminister wird bereits am 19. November in München stattfinden.

Der zweite Grund für Optimismus ist die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion der EWG. Freilich, der französische Außenminister mußte jn Luxemburg sagen, daß noch kein Mitglied der französischen Regierung „ja“ zum Stufenplan der Wirtschafts- und Währungsunion sagen könne. Pompidou braucht Zeit, um die Alt-Gaullisten in Paris zu beruhigen; so wird sich die Regierung in der Nationalversammlung demnächst einer Anfrage des gaullistischen Abgeordneten Vendroux stellen müssen. • Denn bekanntlich sieht der „Stufenplan“ den kontinuierlichen Abbau der nationalen Souveränität zugunsten einer „föderalen Superregierung“ vor, wie sie die „Frankfurter Allgemeine“ bezeichnete.

Schwierigkeiten wird in jedem Fall die Gemeinschaft also nach wie vor aus Paris erwarten können. Dennoch ist man in Brüssel optimistisch: die Düsseldorfer Commerzbank und Credit-Lyonnaise haben sich zur größten Banken-Kooperation Konti-nentaleuropas zusammengefunden. Die faktische Fusionierung hat aber nur dann einen Zweck, wenn bald die europäische Währungsunion kommt. Und die Credit-Lyonnaise gehört dem französischen Staat...

Der dritte Grund zum Optimismus ist die Tatsache, daß Großbritannien sensationell verkündet hat, daß England bis 1974 sein Agrarfinanzie-rungssystem nach EWG-Muster umstellen wird. Freilich wird es die Regierung Heath nicht leicht haben: den neuesten Meinungsforschungen zufolge sind 61 Prozent der Briten nach wie vor gegen jeden EWG-Beitritt, weil er zu starken Preissteilgerungen führen Wird. Dennoch scheint mit dem Offert aus London das wesentlichste Problem bereinigt zu sein.

Anfang Dezember wird die Verhandlungsrunde beginnen, die die EWG mit den übrigen beitrittswilligen Staaten, nämlich mit Dänemark, Irland und Norwegen, zusammenführen wird.

Aber auch die Vorgespräche mit den neutralen Ländern haben eingesetzt. Schweden hat Frankreichs EWG-Vertreter, Deniau, nach Stockholm eingeladen. Am 10. November wird Schweden eine Denkschrift in Brüssel deponieren, in dem die Problematik aus Neutralität und den Römischen Verträgen vorgetragen wird. Immerhin hat auch Ministerpräsident Palme bereits im Frühsommer in Moskau den Sowjets die schwedische Neutralitätspolitik erläutert. Nun hat letzte Woche auch Industrieminister Wickman den Russen erklärt, daß eine Verbindung mit der EWG weder Schwedens Neutralität belastet noch die Spannungen in Europa erhöht. Im Gegenteil: ein Einfluß neutraler Staaten könne in der EWG nur den Ausgleich fördern. Nicht so klärend freilich sind die Äußerungen aus Bern. Die Schweiz läßt sich bis auf weiteres Zeit.

Und das schafft für Österreich entscheidende Probleme. Auch wenn die auf Beamtenebene stattfindenden Gespräche über einen Handelsvertrag zwischen der EWG und Österreich hinsichtlich eines 30prozenti-gen Zollabbaus zu einem positiven Ergebnis führen, soll — nach dem Willen des EWG-Ministerrates — ein Abkommen erst dann dn Kraft treten, wenn auch die künftigen Beziehungen der EWG zu den anderen neutralen Ländern feststehen.

Der Optimismus in Sachen Europa hat also — aus Wiener Perspektive — einen langen Schatten. Nach Jahrzehnten im Vorzimmer der europäischen Technokraten wird nun endgültig klar, wie kompliziert Europas Konstruktion auch diesseits des Eisernen Vorhangs ist.

Wir Österreicher jedenfalls sitzen mit den Schweizer Nachbarn im gleichen Europa-Boot — eine Tatsache, die Brüssel ganz ähnlich sieht wie Moskau.

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