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Österreichs Handelsprobleme

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Die Wiener Frühjahrsmesse als Spiegelbild der österreichischen Wirtschaft gibt Anlaß, zu einigen aktuellen wirtschaiftspolitiischen Problemen Stellung zu nehmen, wobei aus der Fülle der gegebenen Probleme natürlich nur einige wenige herausgegriffen werden können.

Die Entwicklung der österreichischen Wirtschaft seit 1945 ist ohne Unterbrechung dadurch gekennzeichnet, daß eine ihrer wesentlichsten Säulen nach wie vor der Außenhandel ist; die Exportorientierung der österreichischen Wirtschaft äst gleichbleibend wichtig. Rund ein Viertel des österreichischen Volkseinkommens resultiert raus dem Verkauf österreichiischer Waren im Ausland. Rechnet man zur Expor.twirt-schaft auch noch den Fremdenverkehr hinzu, so ist der aus der Gesiamtexportwirt-schaft kommende Prozentsatz des Volkseinkommens noch größer, ganz abgesehen davon, daß mit dem Devisenertrag aus dem Fremdenverkehr das immer mehr steigende strukturelle Handelspassivum Jahr für Jahr fast zur Gänze auf der Zahlungsbilanzseite abgedeckt werden kann. Damit sind wir schon bei einem wichtigen wirtschaftlichen Problem: dem Handelspassivum. Zwei Gründe sind für dieses Handelspassivum gegeben: die weitgehende Liberalisierung der Einfuhr, die heute mit Ausnahme von vierzehn Positionen des industriell gewerblichen Sektors im GATT-Rereich eine hundertprozentige ist (mit Ausnahme von Japan, CSSR und Kuba) und die ständig steigende Binnenkonjunktur. Könnten wir dieses Handelspassivum nicht durch die Devisenerträgnisse aus dem Fremdenverkehr abdecken, so würde das für Österreich ein sehr ernstes wirtschaftliches Problem ergeben, das ohne Zweifel unter anderem Importrestriktionen notwendig machen würde. Die liberale österreichische Handelspolitik hat also einen funktionierenden Ausländerfremdenverkehr zur unbedingten Voraussetzung.

Die österreichischen Exportquoten sind im großen und ganzen in den letzten Jahren gleich geblieben. Rund die Hälfte unserer Exporte geht in den EWG-Bereich, rund ein Sechstel in die EFTA-Staaten und in die Oststaaten, der Rest in die übrigen Teüe der Welt. Nun haben sich im vergangenen Jahr rstmals kleine, aber nicht zu übersehende Verschiebungen bemerkbar gemacht. Die Exportquote in die EWG ist um rund zweieinhalb Prozent zurückgegangen, die in die EFTA-Staaten hat ungefähr um den gleichen Prozentsatz zugenommen. Die Ursachen für diese Entwicklung liegen klar auf der Hand. Die tändig zunehmende Zolldiskriminierung seitens der EWG erschwert zusehends die österreichischen Exportmöglichkeiten dorthin, während der Zollabbau im Bereich der EFTA diese erleichtert. Freilich wäre es völlig verfehlt, anzunehmen — was wider besseres Wissen aus politischen Gründen manchmal behauptet wird —, daß bei Portschreiten der Diskriminierung seitens der EWG die dort ausfallenden Exportquoten durch Vermehrung der Exporte in die EFTA auch nur annähernd ausgeglichen werden könnten. Allein die EFTA-vertragswidrige Einführung der 15pro-zentigen Importabgabe auf britische Importe hat bis jetzt schon einen Rückschlag der österreichischen Exportmöglichkeiten nach Großbritannien gebracht, der die zweieinhalbpro-zentige Zuwachsrate wieder aufgezehrt hat. Aber auch wenn man von dieser Tatsache absieht, könnte nur mit einer außerordentlich langsamen und auf jeden Fall beschränkten Steigerung unserer Exporte in den EFTA-Raum gerechnet werden. Darum sind unsere Bemühungen um die Regelung unseres wirtschaftlichen Verhältnisses zur EWG so außerordentlich dringend, wovon noch die Rede sein wird.

Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang aber auch eine andere Tatsache. Während die Importe aus der EWG nach Österreich, trotz der Zolldiskriminierung, der die EWG seitens der EFTA-Staaten unterliegt, prozentmäßig gleichgeblieben sind (rund 58 Prozent der Gesamtimporte), sind auch die Importe aus den EFTA-Staaten nach österreich, trotz des Zollahbaues um 70 Prozent, prozentmäßig nicht gestiegen. Man hätte annehmen können, daß der EFTA-Anterne Zollabbau zu eiiner Verstärkung des Imports aus den EFTA-Staaten nach Österreich führt. Dies ist aber nicht eingetreten, womit wieder einmal eindeutig bewiesen ist, daß die wirtschaftlichen Kräfte innerhalb einer Freihandelszone kaum nennenswert beeinflußt werden.

Ganz das Gegenteil müssen wir von der internen Wirtschaftsentwicklung innerhalb der EWG feststellen. Die dynamische Kraft, die dieser Wirtschaftsgemeinschaft innewohnt, hat zu einer wesentlichen Verstärkung der EWG-internen Wirtschaftsbeziehungen und damit zu einer bedeutend rascheren Steigerung von Produktivität und Volkseinkommen geführt. Wir sehen das am besten aus einem Vergleich der Wirtschaft der EWG-Staaten mit der Österreichs. Während das bestehende Wohlstands- und Entwicklungsgefälle zwischen Österreich und allen westeuropäischen Staaten sich in den Jahren 1953 bis 1958 verringert hat, ist dieses Wohlstandsund Entwicklungsgefälle zwischen Österreich und dem Westen seit 1958, dem Jahr der Gründung der EWG, bis 1963 leider wieder im Steigen begriffen. So war das reale Wachstum des Bruttonationalproduktes Österreichs während der Periode 1953 bis 1958 wesentlich höher als das der EWG. Während der Periode 1958 bis 1963 reversierte jedoch der Trend. Die Entwicklung in der EWG war durch konstantes, dynamisches Wachstum gekennzeichnet, während das Wachstum des österreichischen Bruttonationalproduktes merklich zurückging und unter jenes der EWG fiel. So war die Wachstumsrate der EWG, was das Bruttonationalprodukt anlangt, in der Periode 1958 bis 1963 mit 31 Prozent um zirka ein Drittel höher als die Österreichs (1958 bis 1963: 23 Prozent).

Die Verlangsamung des Wachstums des österreichischen Bruttonationalproduktes muß um so unerfreulicher angesehen werden, als das EWG-Pro-Kopf-Bruttonationalprodukt im Jahre 1963 mit 1395 Dollar um rund 30 Prozent über dem österreichischen mit 1080 Dollar lag, ein Unterschied gegenüber dem EWG-Durchschnitt, der sich in den nächsten Jahren noch vergrößern wird, wenn es Österreich nicht möglich sein sollte, durch ein befriedigendes Arrangement mit der EWG Zutritt zu diesem großen, dynamischen Wirtschaftsraum zu erhalten.

Wenn nun am 2. März 1965 endlich, nach langen österreichischen Bemühungen, ein Verhandlungsmandat erteilt werden konnte, so sehe ich darin den bedeutendsten Erfolg der österreichischen Wirtschaftspolitik seit 1961, da wir unseren Antrag auf Aufnahme von Verhandlungen in Brüssel abgegeben haben.

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