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Warnung vor Kleinmut

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DIE QUADRATUR DER INTEGRATION. Das Beispiel Österreich. Von Friedrich Wlat- ii. (Europäische Perspektiven). Europa-Verlar, 194 Seiten.

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DIE QUADRATUR DER INTEGRATION. Das Beispiel Österreich. Von Friedrich Wlat- ii. (Europäische Perspektiven). Europa-Verlar, 194 Seiten.

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Man muß Friedrich Wlatnig, den langjährigen Korrespondenten der „Zürcher Zeitung1 in Wien, dankbar sein für sein im „Europa-Verlag“ veröffentlichtes Buch „Die Quadratur der Integration“. Es ist ein Versuch, die österreichische Integrationsdiskussion, die leider zu oft durch ein einseitiges gebanntes Starren auf die EWG bestimmt ist, auf eine vernünftige und ausgewogene Basis zu stellen.

Friedrich Wlatnig beweist politisches Fingerspitzengefühl, wenn er als wichtige Ursache für Österreichs Drang zur EWG den Zweifel an sich selbst und das mangelnde Selbstvertrauen auf die eigene Kraft sieht. Der Autor unterstreicht immer wieder die Notwendigkeit einer besseren, weiteren Streuung des österreichischen Außenhandels, der heute in abnormaler Weise auf Europa, hier wieder auf die EWG und hier wiederum auf die Bundesrepublik Deutschland konzentriert ist. Übrigens findet Wlaitnigs These, wonach nur eine regional und warenmäßig weite Streuung des Außenhandels seine unentbehrliche Unabhängigkeit gewährleiste, die volle Unterstützung des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung; das Institut stellt in seinem Monatsbericht vom Mai dieses Jahres eine ungewöhnliche, überdurchschnittliche regionale Konzentration des österreichischen Exportes fest und meint, daß es in wirtschaftspolitischem Interesse liege, den Absatz weit zu streuen, um sich gegen Konjunkturschwankungen in einzelnen Ländern abzusichem. Von dem letztlich auch politischen Interesse, die Abhängigkeit von bestimmten wenigen Exportmärkten zu vermeiden, soll hier gar nicht die Rede sein. Friedrich Wlatnig verweist darauf, daß Österreich in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte in Richtung einer besseren Exportstreuung gelungen seien. Nicht zuletzt hat hiezu die Mitgliedschaft bei der hier so viel gelästerten EFTA beigetragen; von 1959 bis 1964 erhöhte sich Österreichs Export nach den EFTA-Län- dern um 138 Prozent; der Anteil der EFTA am österreichischen Gesamtexport stieg gleichzeitig von etwa 11 Prozent auf etwa 20 Prozent in den ersten Monaten dieses Jahres. Fürwahr ein beachtlicher Erfolg. Man würde sich allerdings wünschen, daß der Autor anstelle der sehr detaillierten und einigermaßen verwirrenden und ermüdenden Analyse des österreichischen Außenhandels eine zusammenfassende Qualifikation des österreichischen EWG- und EFTA-Exportes nach Fertigwaren, Halbfabrikaten und Rohstoffen vomähme; eine solche vergleichende Qualifikation sollte nämlich zeigen, daß der Anteil der hochwertigen arbeitsintensiven Fertigwaren am EFTA-Export wesentlich höher ist als an der Ausfuhr in die EWG; und daß daher die volkswirtschaftliche Qualität des Exports in die EFTA höher ist, als eine bloß quantitative Darstellung vermuten läßt.

Schließlich stellt Wlatnig auch das in den letzten Jahren erfolgreiche Vordringen österreichischer Exporteure auf den Überseemärkten dar.

Diese erfreuliche Entwicklung könnte im Falle eines Austritts aus der EFTA als Folge eines engeren Arrangements mit der EWG unterbrochen werden. Die Anhebung der österreichischen Zölle gegenüber den EFTA-Ländern von null oder praktisch null auf ihre volle Höhe und vice versa müßte zu Exoortverlusten führen. Gleichzeitig würde sich der österreichische Erzeuger wohl einem wesentlich gesteigerten Importdruck von Seiten der EWG gegenyber- sehen. Ob gleichzeitig auch ernste Schwierigkeiten für die österreichischen Ausfuhren nach Osteuropa entstehen werden, ist jetzt noch schwer abzusehen und hängt nicht nur von bloß wirtschaftlichen Momenten ab. Ob diese erwarteten und möglichen Exportverluste, gepaart mit dem zu erwartenden Importdruck, von den verbesserten Chancen der österreichischen Exporteure auf dem EWG-Markt kompensiert werden können, wird wohl nicht zuletzt auch von der dann herrschenden internationalen Wirtschaftslage abhängen. Jedenfalls ist zu befürchten, daß der in den letzten Jahren so erfreulich begonnene Streuungsprozeß unterbrochen beziehungsweise ins Gegenteil umgekehrt werden würde.

Der Autor erwähnt neben gewissen preissenkenden Tendenzen als Folge eines EWG-Arrangements die zu erwartende Verteuerung bei Nahrungsmitteln, ein Effekt, der wohl das ohnehin prekäre österreichische Preis- und Lohngewicht in Unruhe versetzen und zu verstärktem Lohn- druck auf die Unternehmer führen müßte.

Schade, daß Wlatnig obige mögliche Folgen eines EWG-Arrangements nur sehr am Rande streift.

Der Autor wendet sich auch den Bedingungen zu, die sich für die österreichische Integrationspolitik aus der immerwährenden Neutralität stellen. Er erkennt, daß es sich bei den sogenannten Neutralitäts- Vorbehalten — wie die Vertragshoheit und das Kündigungsrecht — darum handelt, dem neutralen Österreich die unerläßliche wirtschaftliche Entscheidungs- und Handlungsfreiheit zu sichern; es geht dabei nicht um formal juristische Konstruktionen, sondern um die Sicherung der Unabhängigkeit Österreichs, jenes Ziel nämlich, dem die immerwährende Neutralität dient.

Wlatnigs Buch trägt dazu bei, die österreichische Diskussion über die Integration aus zu großer Einseitigkeit hinauszuführen. Ohne die Chancen einer Teilnahme am gemeinsamen Markt zu vernachlässigen, zeigt Wlatnig auch die Risiken auf. Und vielleicht das wichtigste — sein Buch ist eine Warnung davor, daß Kleinmut, Zweifel an sich selbst und mangelndes Selbstvertrauen die Politik beeinflussen. Es ist zu hoffen, daß Wlatnigs Buch viele aufmerksame Leser in unserem Lande findet.

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